Migrations-Politik der Merz-Regierung: Grünen-Chef warnt vor „Chaos“ und zieht Maut-Vergleich

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Die Grünen sehen Merz‘ Asyl-Vorhaben scheitern. Auch Migrations-Experte Hruschka kritisiert, die Regierung habe den Koalitionsvertrag bereits gebrochen.

Berlin – Sowohl bei der Opposition als auch bei den Nachbarstaaten stoßen die Migrations-Pläne der neuen Bundesregierung auf Kritik: Grünen-Parteichef Felix Banaszak spricht von „blankem Chaos“. Die Union verspreche seit Jahren, „mit dieser oder jener einen Maßnahme wären alle Asylfragen gelöst“, erklärt der Grünen-Chef gegenüber IPPEN.MEDIA. Im Wahlkampf habe Merz dies „auf die Spitze getrieben, mit einer Rhetorik, die an die Schnellschüsse von Donald Trump erinnert“. Nun sei die Union „in der Realität angekommen“.

Hintergrund der Kritik sind die Ankündigungen des neuen Innenministers Alexander Dobrindt kurz nach Amtsantritt deutsche Grenzen strenger kontrollieren zu lassen sowie auch Asylsuchende zurückzuweisen. Mit Blick auf den CSU-Innenminister prophezeit Banaszak, Dobrindt werde mit den Zurückweisungen „genauso scheitern, wie er mit der Maut und dem Ausbau der digitalen Infrastruktur gescheitert ist“.

Die „Migrationswende“ der Merz-Regierung: Dobrindt verteidigt Kurs und verweist auf EU-Ausnahmeregel

Nach Dobrindts Vorstoß sorgen die Migrationspläne der neuen Bundesregierung seit Donnerstag (8. Mai) für noch mehr Unruhe: Die Zeitung Welt berichtete, Bundeskanzler Friedrich Merz habe zur dauerhaften Kontrolle der deutschen Grenzen eine „nationale Notlage“ ausgerufen – nach Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Die Bundesregierung dementierte wenig später: „Der Bundeskanzler wird keinen nationalen Notstand ausrufen.“

Am Donnerstagabend äußerte sich dann der Innenminister zu den Plänen der Regierung. In der ZDF-Sendung „maybrit illner“ verteidigte Dobrindt seine Anordnung, auch Asylbewerber an der deutschen Grenze zurückzuweisen. Die Ausrufung der „nationalen Notlage“ schloss Dobrindt dabei explizit nicht aus. So erklärte der CSU-Politiker, um die verschärfte Migrationspolitik umzusetzen, nutze die Regierung deutsches Asylrecht, „im Zusammenhang mit bilateralen Verträgen und auch in Verbindung mit Artikel 72“.

Merz-Regierung kündigt Asyl-Verschärfung an – Experte für europäisches Migrationsrecht ordnet ein

Gegenüber IPPEN.MEDIA erklärt der Rechtswissenschaftler Constantin Hruschka, man könne „keine gesicherte rechtliche Auskunft geben“, was Artikel 72 erfordert – ob eine nationale Notlage ausgerufen werden müsste, sei demnach unklar. Dennoch erklärt der Professor für Sozialrecht an der Evangelischen Hochschule Freiburg, eine Ausnahme des Schengener Grenzkodex seien bereits die wieder eingeführten Grenzkontrollen: „Wenn man jetzt über das hinausgeht, nämlich auch Personen an der Grenze zurückweist, die einen Asylantrag stellen, dann geht man über die Ausnahmemöglichkeiten hinaus.“

Zurückweisung von Asylbewerbern

Dublin-Verordnung: Nach den EU-Bestimmungen der Dublin-Verordnung darf die Bundespolizei Asylbewerber nicht einfach an der Grenze zurückweisen. Vielmehr müssen die deutschen Behörden ein kompliziertes und in der Praxis oft schlecht funktionierendes Verfahren in Gang setzen, um sie an den zuständigen EU-Staat zu überstellen – also dorthin, wo sie in die EU eingereist sind.

Artikel 72 AEUV: Dieser enthält eine Art Notlagenklausel. Danach sind den Nationalstaaten Zurückweisungen an den Grenzen ausnahmsweise gestattet, wenn dies für „die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit“ erforderlich ist. Merz selbst hatte Ende August auf diese Bestimmung und die Möglichkeit verwiesen, eine „nationale Notlage“ in puncto Migration zu erklären.

Sich auf Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zu berufen, ohne vorher die EU-Institutionen gefragt zu haben, halte Hruschka „grundsätzlich nicht für rechtmäßig“. Vielmehr glaube der Experte für internationales und europäisches Migrationsrecht, dass die Regierung „gar nicht den schwierigen europarechtlichen Weg“ gehen wolle, sondern einfach deutsches Recht vorrangig anwende – was jedoch ebenfalls nicht rechtmäßig sei.

Migrations-Experte kritisiert Asyl-Pläne der neuen Regierung – „europapolitische eine Zumutung“

Sowohl die europäischen Asyl-Regeln als auch der Schengener Grenzkodex wurden zuletzt reformiert. Dass die deutsche Regierung nun einen Alleingang plane, halte der Rechtswissenschaftler für „politisch am schwierigsten“. Die EVP habe sich mit ihren Forderungen auf EU-Ebene nicht durchsetzen können, diese jetzt aber dennoch als ein Staat umzusetzen, sei „europapolitische eine rechte Zumutung“.

Neue Regeln an den Grenzen

Mit mehr Polizisten an den deutschen Landgrenzen und strengeren Regeln will der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) in Deutschland für einen Rückgang der irregulären Migration sorgen. Künftig sollten auch Asylsuchende an der Grenze zurückgewiesen werden können. Eine mündliche Weisung aus dem Jahr 2015, dies nicht zu tun, werde Dobrindt schriftlich zurücknehmen. Schwangere, Kinder und andere Angehörige vulnerabler Gruppen würden nicht zurückgewiesen.

Die Regierung wolle „im Grunde symbolisch das individuelle Asylrecht aussetzen“ – den Koalitionsvertrag hätte sie damit „schon an zwei Stellen gebrochen“: Zum einen „das Bekenntnis zum individuellen Asylreich“ und zum anderen „die Zurückweisungen in Kooperation mit dem Nachbarstaat“. Die schwarz-rote Regierung, so der Rechtswissenschaftler, sei „bereit, einen relativ hohen europapolitischen Preis dafür zu zahlen“, um das Vorhaben von CDU und CSU „trotz aller Bedenken als Symbol durchzuziehen“.

Asylpolitik der Merz-Regierung: Kritik von Grünen und Linken – „füttert die AfD“

Banaszak wirft der Regierung ebenfalls „großes Getöne auf Kosten europäischer Zusammenarbeit“ vor und nimmt hierbei den Kanzler in die Verantwortung. Merz überlaste deutsche Polizeibeamten, verunsichere „unsere Nachbarstaaten und lässt seinen Innenminister womöglich das Gesetz brechen“. Weiter erklärt der Grünen-Vorsitzende in Richtung Merz: „So geht man nicht mit einem verantwortungsvollen Amt um, und so geht man nicht mit den Menschen um, die bei uns Schutz suchen. Mit dieser Art der Politik vergrößert man Politikverdrossenheit und füttert die AfD.“

„Blankes Chaos“: Grünen-Chef Felix Banaszak kritisiert die Migrationspolitik der Merz-Regierung. (Symbolbild) © IMAGO / Jens Schicke, IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Die flucht- und rechtspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Clara Bünger, kritisiert, die Union wolle „mit aller Macht, das populistische Wahlversprechen von Friedrich Merz umzusetzen, einen faktischen Einreisestopp für Asylsuchende zu verhängen“. Die aktuelle Lage in Deutschland erfülle bei weitem nicht die Kriterien, die Artikel 72 AEUV vorsieht. „Sollte die Union unter Merz und Dobrindt dennoch an Zurückweisungen von Schutzsuchenden an den deutschen Grenzen festhalten, verletzt sie wissentlich europäisches Recht“, mahnt die Linken-Politikerin gegenüber unserer Redaktion.

Kanzler schaltet sich in Brüssel ein: „Es gibt hier keinen deutschen Alleingang“

In Brüssel schaltete sich auch Merz am Freitag ein: „Es hat niemand in der Bundesregierung, auch ich persönlich, nicht eine Notlage ausgerufen.“ Deutschland werde weiter zurückweisen, das sei im Einklang mit europäischem Recht, so der Kanzler. „Und darüber sind auch unsere europäischen Nachbarn vollumfänglich informiert. Es gibt hier keinen deutschen Alleingang“, sagte der CDU-Politiker bei einem Antrittsbesuch.

Die EU-Kommission hatte zuvor an die neue Bundesregierung appelliert, Grenzkontrollen eng mit ihren Nachbarn abzustimmen. Solche Maßnahmen erforderten enge Koordinierung „insbesondere mit allen betroffenen Mitgliedstaaten“, sagte ein Sprecher der EU-Kommission der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel. (pav)

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