Eine Analyse von Ulrich Reitz - Mit seinem Lügen-Vorwurf begibt sich Scholz auf extrem dünnes Eis

Olaf Scholz hat, von Davos aus, vom Weltwirtschaftsgipfel , ein Foto gepostet, das ihn und Wolodymyr Selenskyj nebeneinander zeigt. Der Bundeskanzler sitzt lässig lächelnd im weißen Clubsessel, Ukraines Präsident ist schon wieder auf dem Sprung. Darunter die deutsche Ukraine-Strategie in einem Olaf-Satz:

„Nothing about Ukraine without Ukraine.“

Das ist das Mantra der Bundesregierung und ihres Kanzlers, Nichts über die Ukraine hinweg, das meint: Die Ukraine agiert, obwohl sie abhängig ist – in ihrem Überleben – von westlichen, auch deutschen Waffenlieferungen , als souveräner Staat. Es ist ein frommer Wunsch.

Den der Bundeskanzler gerade selbst dekonstruiert hat, mit seiner Weigerung, unter Wahrung der Schuldenbremse noch einmal drei Milliarden Waffenhilfe locker zu machen. Was ihm Selenskyjs höchstselbst mahnend um die Ohren gehauen hat, weil Scholz es gut fand, zu sagen, die deutschen Rentner dürften nicht Opfer der deutschen Ukraine-Hilfe werden.

Für Telefonat mit Putin hat Scholz eine Menge diplomatischer Prügel bezogen

Jedenfalls findet sich unter dem Bundeskanzler-Post auf Elon Musks Plattform X das, was man eine „Community note“ nennt – eine kontextuelle Einordnung aus der Schwarmintelligenz. So eine Community Note ist die Alternative zu den Faktencheckern, die der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk für alternativlos, für unersetzlich hält zur Aufrechterhaltung der Pressefreiheit, also der Demokratie.

Die Anmerkung der Leser zum Kanzlerpost, „Nichts über die Ukraine ohne die Ukraine“, lautet: 

„Chancellor Scholz telephoned Russian dictator Putin on November 15, 2024, to talk about Ukraine without Ukraine.“

Für sein Telefonat mit Putin hat Scholz eine Menge diplomatischer Prügel bezogen seinerzeit, aber man kann sagen: Nichts ist so treffend, so schnell und so hart und so ironisch und humorvoll zugleich wie diese Anmerkung aus der anonymen Leserschaft.

Scholz fällt regelmäßig aus Kanzlerrolle

Olaf Scholz sorgt mit einigen seiner Bemerkungen für Ärger über seine Person. Vermutlich kommt der Ärger auch daher, dass Scholz inzwischen regelmäßig aus der Kanzlerrolle fällt.

Scholz, der Wahlkämpfer, ist dem Sozialdemokraten augenscheinlich wichtiger als Scholz, der Bundeskanzler. Ein „Lügen-Wahlkampf“ lässt sich mit einer souverän-kanzlerhaften Aura, welche die Bevölkerung erwartet von seiner operativen Nummer Eins, auch schlecht in Einklang bringen.

Die erste rummelboxerhafte Äußerung von Scholz betrifft die Ukraine-Hilfe, die nicht zulasten der Rentner gehen dürfe. Darauf reagierte Selenskyj vor der Kapitalisten-Elite und der zugeschalteten Weltöffentlichkeit, so:

„Man darf nicht mit den Emotionen der Menschen spielen und sagen, dass die Verteidigung auf Kosten der Medizin oder der Renten oder was auch immer geht. Das ist wirklich nicht fair.“

Es kommt jetzt nicht so oft vor, dass ein ausländischer Staatschef den Bundeskanzler im Wahlkampf mahnt, bei der Wahrheit zu bleiben. Zur Erinnerung: Die Rentenhöhe ist garantiert, sie nimmt nicht ab, wenn man der Ukraine Waffen liefert.

Ein aggressiver Lügenvorwurf des Kanzlers

Mindestens ebenso viel Ärger trägt dem Kanzler ein aggressiver Lügenvorwurf ein, den er im Zusammenhang mit einer in Rede stehenden Ukraine-Hilfe in Höhe von drei Milliarden Euro in der FAZ erhoben hat. Er lautet so:

„Ich habe das Gefühl, ich sage das hier so offen: Im Augenblick wird mit größter Intensität, großer Umsicht, das deutsche Volk belogen.“

Der FAZ-Moderator fragt nach: „Von wem?“ Und der Kanzler antwortet: „Von allen, die sich darum bemühen, eine Frage auszuklammern: Wie bezahlen wir es?“

Es gab empörte Reaktionen darauf, vom Bundesvizekanzler, von der Bundesaußenministerin, beide grün, vom ehemaligen Bundesfinanzminister, liberal. Christian Lindner reagierte so:

Olaf Scholz sagt, das Volk werde belogen und knüpft neue Ukraine-Hilfen weiter an die Aufhebung der Schuldenbremse. Dabei ist das Kartenhaus seiner Erzählung längst in sich zusammengefallen. Es ist kein Notlagenbeschluss nötig. Die Zahlen lügen nicht.“

Zahlen lügen nicht – aber der Kanzler?

Die Zahlen lügen nicht – aber der Kanzler? Zur Aufklärung und Wahrheitsfindung in dieser Kanzlersache trug der denkbare Scholz-Nachfolger bei. Friedrich Merz stellte die folgende Tatsachenbehauptung auf, er offenbarte vor aller Öffentlichkeit dies:

„Der Bundesverteidigungsminister hat mich angerufen und gefragt, ob wir das mitgehen. Die Bundesaußenministerin hat mich angerufen und gefragt, ob wir das mitgehen.“ Nämlich gemeinsam im Parlament eine außerplanmäßige Ausgabe zu beschließen aus dem Bundeshaushalt in Höhe von drei Milliarden. „Ich habe gesagt: Das kann ich mir vorstellen.“

Der Bundeskanzler wolle wegen der drei Ukraine-Milliarden die Schuldenbremse aussetzen. Der Etat für dieses Jahr lässt 50 Milliarden neuer Schulden zu, so wie auch der Etat für 2024. Das seien so viele Schulden wie der gesamte Etat des bevölkerungsreichsten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Die drei Milliarden für die Ukraine, das sei ergo „aus dem laufenden Haushalt“ zu lösen.

Gar nicht so ganz nebenbei: Für den Bundeshaushalt 2024 sind die Mehrausgaben für das Bürgergeld, von dem die Hälfte nicht Deutschen zugutekommt, allein um 2,7 Milliarden gestiegen – also fast um den Betrag, den:

Scholz nicht für die Ukraine zahlen will und dessentwegen er seinen Bundesfinanzminister Lindner aus dem Kabinett geworfen hat.

Mehrheit der deutschen Bevölkerung traut dem Bundeskanzler nicht mehr

Zusammenfassend CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen: „Der Verteidigungsminister sagt, es geht. Die Außenministerin sagt, es geht. Die Haushälter der Union sagen, eine außerplanmäßige Ausgabe ist möglich. Sie alle lügen laut Scholz?“

Dann die politische Schlussfolgerung, die vielleicht erklärt, weshalb nicht nur die Mehrheit der deutschen Bevölkerung dem Bundeskanzler nicht mehr traut. Röttgen: „Wer so mit Partnern umgeht, braucht sich nicht zu wundern, wenn er selbst keine mehr hat.“

Anders gefragt: Selbst, falls Scholz am 23. Februar doch noch vor Merz liegen sollte: Wer wollte ihn, nach diesen ehrverletzenden Äußerungen, in geheimer Abstimmung noch zum Bundeskanzler wählen?

Es gibt, nach der Rentner- und der Schuldenbremsen-Behauptung, eine dritte Äußerung, die dem Bundeskanzler gerade auf die Füße fällt. Mittlerweile greifen gleich eine ganze Reihe renommierter Juristen den Juristen Scholz an, und zwar, weil der in Davos dies sagte:

„We have the freedom of speech. In Europe and in germany everybody can say what he wants, even if he is a billionaire. What we do not accept is if this is supporting extreme right positions.“

„Hat Olaf Scholz seine juristische Ausbildung vergessen“

(Rechts)radikale Äußerungen sollen nicht unter die Meinungsfreiheit fallen? „Verfassungsrechtlich schlicht unhaltbar“, urteilt der als Bestsellerautor bekannte Jurist Steinhöfel. Und zitiert das Bundesverfassungsgericht, einen Beschluss aus dem Jahr 2018:

„Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehört zum freiheitlichen Staat. Der Schutz vor einer Vergiftung des geistigen Klimas ist ebenso wenig ein Eingriffsgrund wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte.“

„Absoluter Unfug“, urteilt der bekannte Rechtsanwalt und Autor Christian Brennecke über die Darlegung des Bundeskanzlers.

Hat Olaf Scholz seine juristische Ausbildung vergessen “, fragt der Verfassungsrechtler Christian Conrad.

„Sie bekämpfen die Meinungsfreiheit in Deutschland in verfassungsfeindlicher Weise. Sie versuchen noch nicht einmal mehr, einen Hehl daraus zu machen, dass Sie unsere Rechtsordnung missachten“, urteilt der Medienanwalt und „free-speech“-Experte Markus Haintz.

Beim Auftritt des deutschen Bundeskanzlers in Davos blieben die Plätze im Hauptsaal des Kongresszentrums rund zur Hälfte frei. Am Ende fragte Veranstalter Klaus Schwab ins Publikum, ob es Anmerkungen oder Fragen gebe an Scholz.

Es folgt: Stille. Die Sekunden werden peinlich lang. „People are to shy“, ermuntert sie Schwab - erfolglos. Weiter Stille. Die Welt bringt ein Video dazu. Darüber steht, was Wirtschaftsreporter Holger Zschäpitz festhielt:

„Scholz hat die Leute einschlafen lassen. Sie waren froh, als er fertig war.“