Analyse von Ulrich Reitz - Hier zeigt sich, was „Kriegstreiber“ Pistorius so viel stärker macht als Scholz
Boris Pistorius ist zu einem Phänomen geworden. Kaum war er im Amt, wurde er zu Deutschlands beliebtestem Politiker. Er ist es immer noch, obwohl er zuletzt gegen die Ampelspitzen die Haushaltsschlacht um mehr Geld für seinen Verteidigungsetat krachend verloren hat. Es scheint den Menschen egal zu sein, dem Respekt vor dem Minister, der aus Osnabrück nach Berlin kam, tut das ganz offensichtlich keinen Abbruch.
Olaf Scholz, Friedrich Merz, Robert Habeck und Christian Lindner können von den Beliebtheitswerten, die Boris Pistorius regelmäßig erreicht, nur träumen. Zuletzt war der Sozialdemokrat der einzige Spitzenpolitiker, der unter den wichtigsten deutschen Politikern überhaupt einen positiven Wert erreichte.
Damit setzt sich Pistorius meilenweit von der Regierung ab, der er angehört. Und besonders bemerkenswert: Die Vertrauenswerte, die Pistorius in der Bevölkerung erreicht, sind bei den Unionsanhängern annähernd so hoch wie bei den Sympathisanten der eigenen Partei.
„Soll ich diskutieren mit jemandem, der mich Kriegstreiber nennt“, fragt Pistorius
Wer wissen will, woher der Kredit kommt, den Pistorius auf sein Konto verbuchen kann, findet eine Lösung bei jener Wahlveranstaltung in Sachsen, die von Linken so massiv durch Geschrei gestört wurde, dass sie kurz vor dem Abbruch stand. Die Polizei musste eingreifen. Diese Begebenheit zeigt: Entscheidend ist nicht, was Pistorius sagt, sondern, wie er es sagt. Der Mann ist authentisch, man spürt es gerade dann, wenn die Temperatur in der Küche steigt.
„Soll ich diskutieren mit jemandem, der mich Kriegstreiber nennt“, fragt Pistorius brave Leipziger Bürger, die sich vermutlich über diese Meute, die von „Frieden schaffen ohne Waffen“, der DKP und dem BSW von Sahra Wagenknecht hierhin geschickt worden ist, ebenso aufregen wie der Minister, der zu Wahlkampfzwecken hier aufgeschlagen ist. „Nö, muss ich nicht“, antwortet Pistorius sich selbst. Sie schreien weiter gegen ihn, ihm entfährt ein „Gott im Himmel“.
Pistorius ist authentisch, er spielt nicht mit seiner Rolle. Er musste nicht Bundesverteidigungsminister werden, er wurde es, weil er es wollte. Und nun benimmt er sich eben wie ein Verteidigungsminister.
Pistorius erklärt anders als Scholz, was da gerade passiert; und zwar auf Augenhöhe
Der Bundeskanzler hat die Nachrüstung der Nato mit Mittelstreckenraketen gegen die neuen russischen Arsenale noch nicht der Bevölkerung erklärt, vielleicht will er das auch gar nicht, aus welchen Gründen auch immer. Es hat wohl auch etwas zu tun mit der Möglichkeit, dass der nächste amerikanische Präsident Donald Trump heißen könnte und es darum für Deutschland schlau wäre, US-Raketen auf deutschen Boden zu stationieren, damit auch keine Zweifel auftauchen können an der Verteidigungsachse Washington-Berlin. Denn ohne die wäre auch Deutschland nicht zu halten gegen die Russen.
Scholz erklärt es nicht und der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich meldet – große – Bedenken an. Keine einfache Position für einen Sicherheits-Ressortchef, der irgendwie auch für diese Raketen verantwortlich ist, auch wenn es amerikanische sind. Aber Pistorius erklärt anders als Scholz eben, was da gerade passiert, und er macht das nicht arrogant, sondern setzt die Bürger zu sich auf Augenhöhe:
„Es geht darum, durch konventionelle Abschreckung alles dafür zu tun, dass es nie zu einem Konflikt kommt und erst recht kein nuklearer Konflikt entsteht. Das setzt eigene Stärke voraus.“ Man kann sicher anderer Meinung sein, aber jedenfalls kann man auch als Nicht-Fachmann einwandfrei verstehen, weshalb Berlin und Washington das jetzt so entschieden haben.
Die Friedensbewegten in Sachsen beleidigen Pistorius als „Kriegstreiber“, doch er hat vorher schon erklärt, was aus seiner Sicht der Sinn der Nachrüstung ist: „Es geht um Abschreckung, nicht um irgendwas anderes.“ Also nicht um Kriegstreiberei – was die Russen naturgemäß anders sehen, wie auch diese Linksradikalen, die in Leipzig gegen Pistorius aufgezogen sind. Und auch nicht darum, „Vasall“ der Amerikaner zu sein.
Und noch eins fällt auf: Pistorius kommt ohne Belehrungen aus
Die amerikanischen Raketen werden 2026, das ist Pistorius' Botschaft, in Deutschland stationiert, weil es vergleichbare europäische Waffen noch nicht gibt. Die müssen erst gebaut werden, und dann sollen sie die US-Raketen ersetzen. Ein deutliches Signal, dass die Europäer verstanden haben, zumindest einen Teil ihrer Sicherheit in Zukunft selber zu organisieren. Die Sicherheit zum Discountpreis aus den Vereinigten Staaten zu bekommen, das ist wohl vorbei – die Furcht vor Trump hat es möglich gemacht, dass nun nicht mehr nur wenige, sondern die Mehrzahl, nämlich 20 der Nato-Mitgliedstaaten das Zwei-Prozent-Ziel bei den Militärbeiträgen erfüllen.
Und noch eins fällt auf: Pistorius kommt ohne Belehrungen aus. Im Nahostkonflikt lässt sich der Verteidigungsminister nicht herab, der israelischen Regierung Vorgaben zu machen, eine Linie, die seine grüne Kollegin Annalena Baerbock inzwischen überschritten hat. Pistorius bleibt hingegen diplomatisch – ohne mit seiner Netanjahu-kritischen Meinung hinter dem Berg zu halten. „Deeskalation ist das Gebot der Stunde“, sagt Pistorius dann. Und wenn ihm die Krakeeler wie in Leipzig die Situation in Gaza entgegenbrüllen, dann verweist er kühl auf das Selbstbestimmungsrecht Israels.
Pistorius macht auch keine Welle. Als, da war er noch Landesinnenminister in Niedersachsen, seine alte Parteifreundin Monika Griefahn bei ihm anrief und ihn bat, ihr zu helfen im nordrhein-westfälischen Kommunalwahlkampf, in Mülheim an der Ruhr, da war sich Pistorius auch für einen Auftritt nicht zu schade, von dem er selbst definitiv nichts hatte.
Die Wahl in der Ruhrgebietsstadt hat Griefahn dann verloren. Allerdings hat man danach niemanden getroffen, der behauptet hätte, es habe an Pistorius gelegen.