Analyse von Ulrich Reitz - „Kampf gegen rechts“ statt neuer Asyl-Antwort: Die vielsagende Strategie der SPD
An diesem Mittwoch gibt Bundeskanzler Olaf Scholz nicht nur seine letzte Regierungserklärung als amtierender Regierungschef ab. Es dürfte auch seine letzte Chance sein, um auf großer Bühne eine große Menge von seiner Idee zu überzeugen, Bundeskanzler zu bleiben.
Gassenhauer statt neuer Antworten
Die Nervosität steigt also – und die SPD dreht auf den letzten Metern noch einmal ihren Wahlkampf. Nun intoniert sie den „Kampf gegen rechts“ – einen sozialdemokratischen Gassenhauer. Dabei allerdings schießt sie übers Ziel hinaus, und offenbart eine grundsätzliche Schwäche:
Die SPD will im Bundestag Gegenvorschläge auf den Tisch legen - neu sind diese aber nicht. Die Sozialdemokraten haben tatsächlich keine neue Antwort auf „Aschaffenburg“ – das Attentat, begangen von einem ausreisepflichtigen, abgelehnten afghanischen Asylbewerber, bei dem zwei Menschen getötet wurden, ein zweijähriger Kind migrantischen Ursprungs und ein Retter, der vergeblich versucht hatte, das Schlimmste zu verhindern.
Der „Kampf gegen rechts“ ist eine sozialdemokratische Identitätserzählung. Dazu zählt nun ein neues Wahlplakat, das der Kampagnenhelfer der SPD, Raphael Brinkert, ersonnen hat: „Keine Zusammenarbeit mit Nazis. Seit 1863.“
Wut über Nazi-Vorwürfe
Damit reagiert die SPD-Führung auf die Ankündigung von Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz, eine Asylwende im Bundestag zur Debatte und zur Abstimmung zu stellen, an diesem Mittwoch, und dabei die Zustimmung der AfD in Kauf zu nehmen. „Das, was in der Sache richtig ist wird nicht falsch dadurch, dass die Falschen zustimmen“, sagte Merz nach einer Präsidiumssitzung der CDU an diesem Montag in Berlin.
Ausdrücklich unter Nennung der Süddeutschen Zeitung wandte sich Merz gegen direkte Nazi-Vorwürfe gegen ihn und den CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann in den sozialen Netzwerken. Von einem Redakteur war Merz als „Führer“ verunglimpft worden, Linnemann musste sich nach einer Äußerung den Kommentar „Sieg Heil!“ gefallen lassen. Das werde er sich nicht bieten lassen, so Merz.
„Diese Leute leben nicht in dieser Welt“
Der CDU-Chef nahm auch die Grünen ins Visier. Sie hatten am dem Parteitag am Wochenende eine Erleichterung der Einreise nach Deutschland beschlossen – unter anderem beim Familiennachzug von Migranten. Merz reagierte darauf so klar wie harsch:
„Diese Leute leben nicht in dieser Welt.“
In den vergangenen Jahren kamen auf diesem Weg des Familiennachzugs jeweils mehr als 100.000 Menschen nach Deutschland. In der Talkshow von Caren Miosga wies der Bürgermeister von Fürth, der Sozialdemokrat Thomas Jung, der die bayerische Stadt seit mehr als 20 Jahren regiert, auf Fälle hin, dass ein Migrant bis zu sieben Familienmitglieder „nachgezogen“ habe.
Jung forderte eine Asylrechtsverschärfung nach dänischem Vorbild. Dort werden Asylbewerber in der Regel gar nicht hereingelassen. In Dänemark regieren Sozialdemokraten. Sie haben das Ziel ausgegeben, die Zahl der Asylbewerber auf „Null“ zu bringen. Die SPD-Spitze lehnt den dänischen Weg ab.
Die letzte Patrone?
Zurück zur SPD und deren „Kampf gegen rechts“. Soll das wirklich die letzte Patrone sein, um einen sich klar abzeichnenden Erfolg von Friedrich Merz bei der Wahl am 23. Februar zu verhindern?
Dieses Rezept hatte schon bei der jüngsten Europawahl nicht funktioniert. Allenfalls lassen sich damit überzeugte Sozialdemokraten zur Wahl motivieren, nicht aber Wähler aus der übrigen Mitte, die Olaf Scholz und seine Partei benötigen, um eine Niederlage überhaupt noch abwenden zu können.
Wirbel um Lauterbach-Tweet
An diesem Montag gab es erheblichen Wirbel um einen Tweet des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach, den er nach großen Protesten, auch von Politikwissenschaftlerin wie Carlo Masala, wieder löschte. Aber das Netz vergisst eben nichts, und so macht Lauterbachs Tweet weiter die Runde durchs Netz.
Darf man ihn an dieser Stelle zitieren? Ich finde, man muss es sogar. Denn was Lauterbach schrieb, fügt sich ein in eine Erzählung der SPD, die mehr ist als bloßer Wahlkampf. Lauterbach stammt vom linken Flügel, er bekennt sich seit Jahren zum „Kampf gegen rechts“, versteht sich offensiv als „Antifaschist“, was er aggressiv gegen die Union wendet:
„Heute, am Tag 80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, führen wir die Vogelschiss-Debatte und Friedrich Merz hofiert die AfD. Als erster Demokrat sagt er im Prinzip: Wo es mir hilft, lasse ich mich auch von Nazis unterstützen. Moralisch bankrott.“ Linnemann forderte daraufhin Lauterbachs „Rauswurf“ durch den Bundeskanzler.
„Vogelschiss“, so hatte der damalige AfD-Fraktionschef Alexander Gauland die zwölf NS-Jahre bezeichnet. Dafür hat er sich allerdings inzwischen etliche Male entschuldigt.
Der heikle Nazi-Vergleich
Lauterbach sagt auch, die AfD seien „Nazis“. Davon allerdings ist nicht einmal der Bundesverfassungsschutz überzeugt. Für derlei bekommt man regelmäßig auf Demonstrationen „gegen rechts“ Applaus. Besonnenere Geister verweisen allerdings auf die Verharmlosung der historischen Nazis, die die Gleichsetzung mit der AfD eben auch bedeutet.
Merz hat inzwischen etliche Male darauf verwiesen, ihm gehe es nicht um eine „Zusammenarbeit“ mit der AfD. Masala sagte, Merz und die Nazis „in einem Atemzug mit dem Holocausttag zu nennen, ist infam“.
Eine Einladung an die Mitte
Merz „Erzählung“ geht auch völlig anders: Indem die Union an diesem Mittwoch Anträge und einen Gesetzentwurf zur Verschärfung des Asylrechts einbringt, will sie zeigen, dass Wähler sich nicht für die AfD entscheiden müssen, um eine Asylwende zu bekommen.
Auch verweist Merz auf den einladenden Charakter seiner Anträge für SPD und Grüne: Es komme darauf an, dass die politische Mitte zeige, dass sie gravierende Migrationsdefizite beseitigen könne. Dagegen steht die historische Version, die etwa die SPD-Vorsitzende Saskia Esken verbreitet.
Merz' „Brandmauer“ sei „aus Papier gebaut“ – sie brenne lichterloh. Die größte Gefahr für die Demokratie gehe von Konservativen aus, die sich gegenüber anderen Demokraten kompromisslos zeigten „und sich dann zu den Faschisten hinwenden in der Illusion, sie zu domestizieren“.
Tatsächlich waren die „Konservativen“ in der Weimarer Republik Steigbügelhalter für die Machtergreifung der Nazis. Allerdings ist die Union, die aus den beiden Parteien CDU und CSU besteht, eine Neugründung nach dem Zweiten Weltkrieg.
Weder CDU noch CSU verstanden sich als „konservativ“. Es handelt sich nicht um Weltanschauungsparteien, sondern um eine parteipolitische Sammlungsbewegung von katholischen und evangelischen Christen. Ein Umstand, worauf besonders der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl über Jahre hinwies.
Die Bewertung liegt bei den Wählern
Was den Bundeskanzler höchstpersönlich nicht davon abhält, den amtierenden Vorsitzenden Merz gegen den früheren Vorsitzenden Kohl auszuspielen. Merz' Asyl-Ziele seien weder mit dem Europarecht noch mit der Verfassung vereinbar. Weshalb, so Olaf Scholz: Helmut Kohl „nicht zufrieden“ wäre mit dem amtierenden Vorsitzenden.
Dazu ist in der Sache zu sagen, dass sich Merz bei der Abfassung der Asyl-Anträge auf den früheren Chef des Bundesverfassungsgerichts, Papier beruft. Der sagte, die Abweisung irregulärer Migranten an Deutschlands Grenze sei sogar „geboten“.
Bei allem Getöse bleibt diese Botschaft: Bei der Asylwende von Merz wird die FDP wohl mitziehen, SPD und Grüne werden am Mittwoch wohl ablehnen. Damit gerät Merz in die Rolle des Problemlösers, Rot-Grün in die undankbare Rolle der Asylwende-Verhinderer.
Ob dagegen die SPD mit einem „Kampf gegen rechts“ etwas ausrichten kann, ist abhängig davon, wie die Wähler diesen Streit für sich entscheiden.