Merz und Klingbeil ringen mit ihrer Glaubwürdigkeit - stark ist gerade ein anderer
Der Bundeskanzler sagt, der Sozialstaat sei so nicht länger finanzierbar. Der Vizekanzler sagt, der Staat müsse die Steuern erhöhen, sonst sei der Sozialstaat nicht mehr finanzierbar. Der über seinen CSU-Vorsitz mitregierende, de facto zweite Vizekanzler sagt, wo der Sozialstaat reduziert werden müsse, damit er finanzierbar sei.
Wichtig ist, was Friedrich Merz, Lars Klingbeil und Markus Söder nicht sagen: Warum der Sozialstaat nicht mehr finanzierbar sein soll. Und wer dafür verantwortlich ist. Und wo man sonst noch sparen könnte.
Weg von einer Finanz-, hin zur Neiddebatte
Die Sommerpause, die ohnehin keine war, neigt sich dem Ende zu. Die SPD hat vorgelegt, das war geschickt, weil sie damit den Spin gesetzt hat: Weg von Sozialstaatsreformen, hin zu einem Reichen-Inkasso. Weg von einer Finanz-, hin zu einer Neiddebatte. Das ist nicht böse gemeint: Neiddebatten funktionieren in Deutschland sehr gut.
Nun rasen zwei Züge aufeinander zu, wobei: sie rasen nicht, sie holpern. Die Union hat einen von der Bevölkerung für schwach gehaltenen Bundeskanzler. Die SPD hat einen selbst von den eigenen Genossen für schwach gehaltenen Vizekanzler. Stark ist im Ansehen in den eigenen Reihen wie im Volk gleichermaßen ist nur einer.
Der zweite De-Facto-Vizekanzler – Markus Söder sitzt in Berlin nur dann am Tisch, wenn er am Tisch sitzen will. Die anderen beiden müssen dort sitzen. Das ist vielleicht der wahre Luxus.
Der stärkste Koalitionsmann kommt aus Bayern
Söder ist auch der Einzige, der wirklich eine Volkspartei führt. Die von Merz geführte CDU ist längst demoskopisch schwächer als die AfD – sie hat nur Glück, dass die Zustimmungszahlen von CDU und CSU nicht gesondert ausgewiesen werden.
Und die SPD, Deutschlands älteste Partei, ist inzwischen nur noch halb so stark wie die Partei, die sie am liebsten verbieten würde, und die die jüngste Partei ist – die AfD.
Markus Söder ist also von diesen Dreien der mit Abstand Stärkste – und der Einzige, der mit seiner Partei vor der AfD liegt. Das ist kein Zufall, es liegt am Opportunismus, den Wählern zu gefallen zu sein.
Söder hat Volkes Stimme hinter sich
Darum sollte man besser genau hinschauen, was Söder nun vorschlägt, weil: Dafür hat er Volkes Stimme hinter sich. Kürzen will Söder bei Bürgergeld, Asyl, Wärmepumpen, Entwicklungshilfe. Dafür gäbe es bei jeder Umfrage, die konkret danach fragen würde, wohl eine absolute Mehrheit.
Zwei Züge holpern nun aufeinander zu – ein roter und ein schwarzer. Wenn sie aufeinanderprallen, ist die Koalition am Ende. Nun schreiben Kollegen, die Koalition werde halten, denn: Es gäbe doch keine Alternative. Das ist viel zu rational.
Regierungsbündnisse sind noch nie am Verstand gescheitert, sondern immer am Gefühl – an der Empörung über den anderen, an mangelndem Vertrauen, an der kurzsichtigen Weigerung, das Gegenüber zu pflegen. Bei der letzten Koalition waren es am Ende drei Milliarden. Gemessen an dem, worum es nun geht, waren das weniger als Peanuts.
Scheitert die Regierung, geht die Welt auch nicht unter
Alternativen gibt es immer. Der Grund dafür ist überaus beruhigend: Deutschlands Institutionen sind stabil, sie sind nicht davon abhängig, wer aus welcher Partei an der Spitze einer Regierung steht.
Kurzum: Wenn diese Koalition auseinanderbricht, dann ist es eben so. Untergehen wird Deutschland davon sicher nicht. Nun ringen sie um die Dominanz in diesem „Herbst der Entscheidung“. Und beide spielen fahrlässig mit der Naivität der Bevölkerung.
Die Union verdrängt dröhnend, dass sie die nunmehr von Merz als unbezahlbar angeprangerten Zustände im Sozialstaat mitverantwortet hat. Mehr als das: Die Union hat die Lage verschlimmert – durch Mütterrente etwa.
Merz hat sich persönlich unglaubwürdig gemacht
Die SPD, dieser kümmerliche Rest von Sozialdemokratie, verdrängt dröhnend, dass die „Reichen“ die sie einmal zur Ader lassen will, den Staat finanzieren – auch den Sozialstaat. Ohne den Beitrag der Wohlhabenden (der Nicht-Ausgewanderten…), wäre der Steuer- und Sozialstaat unfinanzierbar. Die SPD will gerade den Ast abschneiden, auf dem sie selbst sitzt.
Und Merz hat sich persönlich unglaubwürdig gemacht – nicht nur wegen seiner gebrochenen Versprechen – bei der Verschuldung, den Steuern, beim Asyl. Sondern:
Weil Merz ausgerechnet den wirksamsten Eingriff in den Sozialstaat, der am klarsten für Gerechtigkeit sorgen würde, selbst ausgeschlossen hat – und zwar, ausnahmsweise, schon im Bundestagswahlkampf. Man kann ihm also nicht einmal vorwerfen, dass er auch hier ein Versprechen gebrochen hätte, wenn er sagt, eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit wird es mit ihm nicht geben.
Wo auch Merz eine Sozialreform verweigert
Aber nirgendwo ist der Sozialstaat – neben dem Bürgergeld – so drastisch gescheitert wie bei der Rente, die längst schon mit mehr als 100 Milliarden Euro – pro Jahr – steuerfinanziert wird.
Und was für Merz gilt, gilt auch für Klingbeil. Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit – und selbst nur auf 68 Jahre – lehnt die SPD rundheraus ab. Bärbel Bas wird es – als SPD-Co-Vorsitzende und Bundesarbeitsministerin in ihren Kommissionen so organisieren, dass am Ende einer Rentenreform eins sicher nicht steht: Die Ausweitung der Arbeitszeit. Da kann Merz noch so wettern – Bas schafft Fakten. Machiavellistisch hat sie gerade mehr drauf als der Kanzler.
Und noch aus einem weiteren Grund ist die Spardebatte unglaubwürdig – weil sie einen wesentlichen Punkt ausklammert – die Ausgaben für die Wirtschaft. Tatsächlich: Will die Union Sozialausgaben streichen, die SPD will Steuern erhöhen, um Sozialausgaben nicht streichen zu müssen. Die Ausgaben des Staats für die Wirtschaft haben beide Ex-Volksparteien tabuisiert. Das aber ist nicht nur ungerecht, sondern auch fahrlässig – besonders, wenn man Geld braucht.
Und weshalb kriegt eine Dax-Firma Geld vom Staat?
Die Subventionen sind in den vergangenen Jahren drastisch gestiegen. Die gewerbliche Wirtschaft kassierte allein 2024 vom Staat 26,9 Milliarden Euro.
Hier zwei Zahlen, die klarmachen, weshalb Deutschland längst schon keine Marktwirtschaft mehr ist, sondern stabil auf dem Weg in eine Staatswirtschaft ist, bei der die Politik mehr und mehr die Aufgabe übernimmt, die Wirtschaft zu lenken – unter der Überschrift: „Transformation“.
Weder die Union noch die SPD hinterfragen das. Mit 10,7 Milliarden Euro wurden 2023 die Dax-Konzerne vom Staat unterstützt. Im selben Jahr fuhren sie einen Gewinn ein von, Achtung: 117 Milliarden Euro.
Die beiden Zahlen stammen aus einem Gutachten des seriösen Flosbach von Storch Research Institute. Weshalb muss man Unternehmen, die privatwirtschaftlich organisiert sind und deren einziger Zweck es ist, Gewinn zu erwirtschaften, mit Staatsgeld unterstützen?
Jede Subvention verfälscht die Gesetze von Angebot und Nachfrage
In den sieben Jahren zwischen 2016 (Angela Merkel war Kanzlerin) und 2023 (Olaf Scholz war Kanzler) flossen 35 Milliarden in die Dax-Unternehmen. Die größte Summe – allein 9,7 Milliarden – kassierte das Energieunternehmen Eon. Die zweithöchste Summe – 6,4 Milliarden Euro – ging an die Autofirma VW.
Jede Subvention ist ein staatlicher Eingriff in die Marktwirtschaft. Jede Subvention verfälscht die Gesetze von Angebot und Nachfrage. Jede Subvention ist auch ein Angriff auf die Intelligenz der Wirtschaftsbürger. Jede Subvention füttert die Neidgesellschaft – weshalb bekommt mein Nachbar Geld vom Staat, aber ich nicht?
Subventionen sorgen für Milliardengräber – siehe die Northvolt-Pleite, die der gerade aus dem Bundestag scheidende Ex-Klimaminister Robert Habeck zu verantworten hat – in Tateinheit mit der von einem CDU-Mann geführten Schleswig-Holsteinischen Landesregierung.
Wie wäre es mit einem ehrlichen Kassensturz?
Groß wäre es, Union und SPD würden sich nicht nur streiten über Sozialreformen. Sondern auch über die Behandlung sozialer Ungleichheit (bei der Zahl der Milliardäre liegt Deutschland mit 171 Menschen weltweit auf Platz vier).
Übrigens hinter Indien, wo es mehr Milliardäre gibt – und trotzdem zahlt Deutschland dorthin Entwicklungshilfe. Im Kern ist die deutsche Entwicklungshilfe für Indien damit ein Beitrag zur Förderung einer drastischen sozialen Ungleichheit in diesem Land. Was auch für China gilt – das auf Platz Zwei weltweit bei der Anzahl der Milliardäre steht. (Quelle: die Forbes Liste „The World’s Billionaires“.)
Sozialreformen, Ungleichheit, Industriesubventionen – das wäre der Dreiklang für eine große Reform der Staatsfinanzen. Was dem Wahlbürger gerade vorgeführt wird, ist mehr oder weniger eine Rosinenpickerei zur Pflege der eigenen Anhänger. Und der eigenen Bequemlichkeit.