"Keine Arbeitslosenpartei": SPD-Mann verteidigt Stütze-Reform - linker Flügel rebelliert

Die am Donnerstagmorgen vorgestellte Reform des Bürgergelds stößt bei Vertretern des linken Flügels der SPD auf zunehmende Kritik. Auch wenn konservative SPD-Mitglieder die Pläne zunächst gut finden: SPD-Mann Bernd Rützel, Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Soziales, verteidigt die Beschlüsse. "Die meisten in der SPD tun das. Wir sind eine Arbeiterpartei, keine Arbeitslosenpartei", sagt er FOCUS online. 

Bernd Rützel: "Wer nicht mitmacht, der wird es schwer haben"

Rützel rechnet vor, dass es bei 5,5 Millionen Leistungsempfängern immer noch 16.000 bis 18.000 Totalverweigerer gibt. An die müsse man jetzt unbedingt ran. "Wer in Zukunft den Sozialstaat braucht, der wird ihn in Zukunft immer bekommen. Wer aber nicht mitmacht, der wird es schwer haben", so Rützel. Der Staat gebe viel Geld für Leistungsempfänger aus, dazu zählten Weiterbildungen und Umschulungen, so der SPD-Abgeordnete. „Wer sich nicht ernsthaft um Arbeit bemüht, der braucht unser Geld nicht.“

Bemängelt vom linken Flügel wird, dass Empfängern bei Versäumnissen die Unterstützung komplett gestrichen werden kann. Betroffene könnten, wenn die Reform so umgesetzt wird, sogar in die Obdachlosigkeit fallen, heißt es. 

In den Beschlüssen zur neuen Grundsicherung, wie das Bürgergeld künftig heißen soll, ist Folgendes vereinbart: Wer einen Termin beim Jobcenter zum dritten Mal hintereinander versäumt, für den werden Geldleistungen komplett eingestellt. Weiter heißt es wörtlich im Beschlusspapier: "Erscheint der Leistungsberechtigte zum darauffolgenden Monat nicht, werden alle Leistungen einschließlich Kosten der Unterkunft komplett eingestellt." Ausgenommen sind Härtefälle, "insbesondere wenn mögliche gesundheitliche oder andere schwerwiegende Gründe für das Nichterscheinen festgestellt werden."

Jan Dieren (SPD): Das kann im Ergebnis zu Obdachlosigkeit führen

Für Jan Dieren, stellvertretender Sprecher für Arbeit und Soziales der SPD-Fraktion, gehen die Pläne zu weit.  Er sagte FOCUS online: "Eine vollständige Leistungseinstellung, einschließlich der Kosten der Unterkunft, kann im Ergebnis zu Obdachlosigkeit führen. Das halte ich nicht für vertretbar. Alles Weitere besprechen wir am Freitag in der Fraktion."

Im Beschlusspapier steht ein zweiter wichtiger Punkt: "Sofern der Leistungsberechtigte die Arbeitsaufnahme verweigert, werden im Einklang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Geldleistungen gestrichen."  Wer zwar zu Terminen geht, aber partout nicht arbeiten will, behält also die Wohnung, bekommt aber irgendwann kein Geld mehr: Im Fall der Arbeitsverweigerung sollen "die Leistungen für Kosten der Unterkunft dann direkt vom Jobcenter an den Vermieter abgeführt werden", heißt es weiter,

Bärbel Bas: Verschärfungen nicht für kranke Menschen

Arbeitsministerin Bärbel Bas stellte am Donnerstag klar, dass die Verschärfungen nicht für Menschen mit gesundheitlichen oder psychischen Beeinträchtigungen gelten. "Wir wollen nicht die Falschen treffen."   

Konkret bedeute dies, "dass psychisch kranke Menschen oder Menschen, die schwere andere gesundheitliche Hemmnisse haben", nicht automatisch in der gleichen Weise sanktioniert würden, wenn sie etwa Beratungstermine verpassten oder Jobangebote nicht angenommen würden.

Jan Dieren ist Mitglied der Parlamentarischen Linken der SPD-Fraktion im Bundestag, der organisierte linke Flügel. Von dort ist am Donnerstag auf Nachfrage zu hören, man sei mit den Plänen überhaupt nicht einverstanden.  Die Parlamentarische Linke arbeitet an einer Erklärung, in der sie ihren Unmut zum Ausdruck bringen und die demnächst veröffentlicht wird.

Kritik kommt auch von Frank Werneke, SPD-Mitglied und Chef der Gewerkschaft Verdi: „Die Verabredungen zur sogenannten neuen Grundsicherung verschärfen die Lage für viele Menschen.“

Neue Grundsicherung: Auch Verdi kritisiert die Pläne

In der Debatte um das Bürgergeld sei ein Zerrbild über Totalverweigerer gemalt worden, aus dem jetzt überzogene Konsequenzen gezogen würden, so Werneke. 

Mit "Sanktionsverschärfungen, bis an die Grenzen dessen, was verfassungsrechtlich zulässig" sei, setze die Bundesregierung die falschen Signale: "Viele Menschen geraten unverschuldet in Notlagen oder müssen aufstocken, weil sie alleinerziehend in der Teilzeitfalle stecken oder als Geringverdiener zu geringe Einkommen haben, um sich und ihre Kinder zu versorgen", stellte Werneke klar. Die geplante Wiedereinführung des Vermittlungsvorrangs sei ein Fehler: "Das bedeutet, dass im Zweifelsfall jeder Job angenommen werden muss", so Werneke.