So werden Sie den „Herbst der Reformen“ im Portemonnaie spüren

„Ich bin mit dem, was wir bis jetzt geschafft haben, nicht zufrieden“, sagte Bundeskanzler Friedrich Merz zuletzt beim Parteitag seiner CDU in Niedersachsen. Sein Schluss daraus: Es brauche einen „Herbst der Reformen“. In den kommenden Monaten soll die Bundesregierung vor allem in der Wirtschafts- und Sozialpolitik einen neuen Takt anschlagen. Dem stimmt auch Finanzminister und Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) zu. Der Wille ist also da, um die genauen Inhalte wird noch gestritten. Sicher ist aber: Es geht um Themen, die Einkommen und Ausgaben aller Bürger im Land mehr oder weniger betreffen werden. Hierauf müssen Sie sich gefasst machen:

Reform der Einkommensteuer

Im Koalitionsvertrag hatten sich CDU/CSU und SPD vorgenommen, die Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen zu senken. Das betonten jetzt auch noch einmal alle Koalitionäre. Merz selbst bezog das auf dem Parteitag nur auf Unternehmen, CSU-Chef Markus Söder im Sommerinterview auf Privatleute. Die SPD ist sowieso dafür, Einkommen unterhalb des Spitzensteuersatzes zu entlasten.

Praktisch würde so ein Schritt wohl dadurch geschehen, dass die Grenze, ab der Sie den Spitzensteuersatz von derzeit 42 Prozent zahlen, nach hinten verschoben wird. Aktuell gilt sie ab einem zu versteuernden Einkommen von 68.480 Euro im Jahr. Das entspricht in Steuerklasse 1 grob einem Bruttoeinkommen von 82.000 Euro. Die Union möchte diese Grenze auf 80.000 Euro zu versteuerndes Einkommen verschieben, die SPD auf 83.600 Euro. Allerdings will die SPD den Spitzensteuersatz für darüber liegende Einkommen gleichzeitig anheben. Zu zahlen wäre der Spitzensteuersatz dann ab rund 98.000 Euro Bruttoeinkommen nach Unionsplänen und 101.000 Euro nach SPD-Plänen. Für Verheiratete würden wie bisher die doppelten Grenzen gelten. 

Mit der Erhöhung dieser Grenze soll aber auch die Steuerlast für alle Einkommen darunter weniger stark ansteigen. Für jeden mehr verdienten Euro zwischen 17.443 und eben jenen 80.000 oder 83.600 Euro zu versteuerndem Einkommen würde Sie weniger Steuern bezahlen als heute. Die Ersparnis läge für Menschen mit einem zu versteuernden Einkommen von 20.000 Euro bei rund 2,50 Euro pro Jahr oder rund 0,1 Prozent ihrer Steuerlast. Bei einem Durchschnittseinkommen von 52.000 Euro brutto (40.000 Euro zu versteuerndes Einkommen) wären es schon zwischen 165 und 205 Euro oder rund 2,5 Prozent der Steuerlast. Und für Menschen, die heute 70.000 Euro zu versteuerndes Einkommen haben – also bisher den Spitzensteuersatz bezahlen – wären es zwischen 900 und 1100 Euro oder 4,8 bis 6,0 Prozent pro Jahr.

Damit dürfte eine Reform der Einkommensteuer aber nicht enden. Umstritten ist, ob der Spitzensteuersatz nicht nur später greift, sondern auch erhöht wird. Darauf drängt die SPD. Sie möchte ihn von 42 auf 47 Prozent steigern. Das würde auch die Kurve unterhalb wieder steiler ansteigen lassen, Ihnen aber immer gegenüber dem heutigen Stand noch Steuern sparen. Am anderen Ende der Einkommensskala müssten Menschen mit einem Einkommen von mehr als 100.000 Euro im Jahr dann aber höhere Abgaben leisten, womit die Entlastungen für die unteren 95 Prozent finanziert würden. Die Union sträubt sich deshalb gegen die Erhöhung des Spitzensteuersatzes.

Am Dienstag öffnete dann aber überraschend der CDU-Haushaltspolitiker Andreas Mattfeldt eine Tür. Er schloss eine Steuererhöhung für Top-Verdiener gegenüber der "Bild" nicht mehr ganz aus. "Ich halte es persönlich für vertretbar, die sogenannte Reichensteuer zu erhöhen – aber nur, wenn im Gegenzug notwendige Sozialreformen umgesetzt werden." Der 55-jährige Mattfeldt berichtete, dass der mit Personen gesprochen habe, die mehr als eine halbe Million Euro im Jahr verdienen. Die hätten laut seiner Angaben "kein Problem mit einer höheren Steuer", wenn im Gegenzug echte Reformen folgen würden. 

Reform der Bürgergeldes

Im Koalitionsvertrag ist vorgesehen, das Bürgergeld zu einer „Neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende“ umzubauen. Vorgesehen ist dabei zuallererst mehr Geld für die Jobcenter, um Arbeitslose besser und schneller entweder in Jobs zu bringen oder in Gesundheits- und Weiterbildungsmaßnahmen, sollten sie aktuell nicht in der Lage sein, zu arbeiten.

An der Höhe der Grundsicherung wird sich dadurch nichts ändern. Diese ist sowieso schon an das Existenzminimum gekoppelt und dieser Wert darf nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht unterschritten werden. Ausgeweitet werden sollen zwar die Sanktionen bis hin zum kompletten Entzug der Grundsicherung für die wenigen Totalverweigerer, aber auch dem hat das Bundesverfassungsgericht enge Grenzen gesetzt, sodass diese Schritte am Ende wohl nicht beschlossen werden können.

Die geplanten Änderungen beim Bürgergeld könnten relativ schnell erfolgen, weil sich Union und SPD in diesen Punkten weitgehend einig sind. Umstritten ist noch, ob ukrainische Kriegsflüchtlinge künftig nicht mehr Bürgergeld, sondern Leistungen für Asylbewerber kassieren sollen. Das würde dem Staat kaum Geld sparen und wäre mehr eine symbolische Änderung, die für die übrigen Bürger keinerlei Auswirkungen hätte. Kontrovers diskutiert werden außerdem noch Unionspläne, zumindest die Mieten und Wohnungsgrößen für Bürgergeld-Empfänger zu deckeln. Allerdings gelten dafür jetzt schon Obergrenzen.

Rentenreform

Ein Rentenpaket hat die Bundesregierung bereits beschlossen. Es muss noch durch den Bundestag im September. Eine wirkliche Reform ist das aber nicht, stattdessen wird der Status Quo verlängert und die Mütterrente ausgeweitet. Große Reformpläne der Koalition gibt es für die Rente nicht. Die CDU möchte die Aktivrente für arbeitende Rentner und die Frühstart-Rente für Kinder einführen. Eine wirklich große Reform soll eine Rentenkommission erarbeiten. Deren Ergebnisse werden aber frühestens kommendes Jahr präsentiert und relevant werden. Für den „Herbst der Reformen“ kämen sie zu spät. So dürften hier maximal noch die beiden noch offenen CDU-Projekte umgesetzt werden.

Rentner würden durch die Aktivrente die ersten 2000 Euro ihres Arbeitseinkommens steuerfrei erhalten. Das lohnt sich mit steigendem Einkommen immer mehr. Bei 50.000 Euro brutto pro Jahr würden Sie dadurch 4.694 Euro Steuern und 520 Euro Sozialabgaben sparen. Bei 100.000 Euro Bruttoeinkommen wären es 10.080 Euro Steuern und 1560 Euro Sozialabgaben, die wegfielen.

Die Frühstart-Rente wiederum sieht vor, dass der Staat für jedes Kind zwischen dem 6. und 18. Lebensjahr zehn Euro pro Monat in Fonds investiert. Nach zwölf Jahren ergäbe das bei einer jährlichen Rendite von fünf Prozent ein Vermögen von knapp 2000 Euro, welches dann als Grundlage für die private Altersvorsorge dienen könnte. Ein 18-Jähriger, der im Schnitt seines Lebens bis zur Rente weiterhin 50 Euro pro Monat einzahlt, würde mit 143.000 Euro in Rente gehen. Ohne die Frühstart-Rente wären es rund 21.000 Euro weniger. Die Sparraten sollen auch vorher schon aus eigenen Mitteln erhöht werden dürfen.

Reform von Kranken- und Pflegeversicherung

Die Kosten für das Gesundheits- und Pflegesystem steigen seit Jahren und werden durch die zunehmende Überalterung der Gesellschaft auch weiter ansteigen. Bisher ^bliebt den Krankenkassen nichts anders übrig, als mit steigenden Zusatzbeiträgen zu reagieren. Aktuell liegen die im Schnitt schon bei 3,1 Prozent Ihres Bruttoeinkommens.

Einen wirklichen Plan, wie diese Kosten zu senken wären, hat die Bundesregierung noch nicht. Stattdessen sollen auch hier zwei Kommissionen eingesetzt werden. Eine trägt den Namen „Sozialstaat“ und soll sich neben dem Gesundheitssystem auch noch um andere Sozialreformen kümmern. Eine zweite wird speziell für die Pflege eingerichtet. Doch ähnlich wie bei der Rentenreform sind auch hier im Herbst 2025 noch keine Ergebnisse zu erwarten.

Stattdessen wird es höchstens kleinere Änderungen geben, von denen im Koalitionsvertrag eine Menge vorgesehen sind. Die für Sie entscheidendste wäre wohl der Wechsel zu einem Primärarztsystem. Augenärzte und Gynäkologen ausgenommen, müssten Sie dann mit jedem Leiden erst zum Haus- oder Kinderarzt und sich dort eine Überweisung zu einem Facharzt holen. Dies soll den Andrang bei den Fachärzten lindern und zu weniger unnötigen Untersuchungen führen. Zudem soll die elektronische Patientenakte verpflichtend für alle Versicherten werden, um Bürokratie abzubauen.

Die Beitragssätze für die Kranken- und Pflegeversicherung sollen zwar stabil bleiben, der Zusatzbeitrag ist davon aber ausgenommen, da dieser von den Kassen selbst erhoben wird. Er dürfte also weiter ansteigen. 

Umstritten ist, ob auch hier Spitzenverdiener bald mehr zahlen müssen. Die SPD hatte angeregt, die Beitragsbemessungsgrenze für Kranken- und Pflegeversicherung, die derzeit bei 66.150 Euro Bruttoeinkommen pro Jahr liegt, auf das Niveau der Rentenversicherung anzuheben, das wären 96.600 Euro pro Jahr. Für Menschen mit einem Bruttoeinkommen von 70.000 Euro hätte das jährliche Mehrkosten von 341 Euro für die Kranken- und 92 Euro für die Pflegeversicherung zur Folge – zusammen also 433 Euro. Mit einem Bruttoeinkommen von 80.000 Euro würden Sie 1558 Euro mehr pro Jahr bezahlen, bei 90.000 Euro sind es schon 2683 Euro und bei einer neuen Beitragsbemessungsgrenze von 96.600 Euro stiegen Ihre Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung gegenüber heute um 3426 Euro im Jahr.