Dem Staat entgehen Milliarden! Steuer-Prüfung bei Kleinstbetrieben nur alle 150 Jahre

Die Zahl der Steuerprüfungen in Unternehmen ist in den vergangenen zehn Jahren um fast 60 Prozent auf zuletzt nur noch 140 000 eingebrochen. Das ergab eine Umfrage der "Süddeutschen Zeitung" unter den 16 Bundesländern. Insgesamt beschäftigten die Finanzbehörden im vergangenen Jahr noch 12 359 Betriebsprüfer, fast zehn Prozent weniger als 2015. 

Auch die Summe der Steuernachzahlungen, die im Zuge der Kontrollen eingetrieben werden, geht tendenziell immer weiter zurück – von jeweils gut 16 Milliarden Euro im Schnitt der Nuller- und der Zehnerjahre auf nicht einmal mehr elf Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Dabei sucht der Staat bekanntlich händeringend nach Geld. Allein Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) fehlen in seiner Finanzplanung für die Jahre 2027 bis 2029 noch mehr als 170 Milliarden Euro.

Die Entwicklung erscheint auch deshalb paradox, weil es eine bekannte Faustformel gibt: Demnach bringt jeder Betriebsprüfer der öffentlichen Hand pro Jahr im Schnitt eine Million Euro an zusätzlichen Einnahmen ein – also ein Vielfaches dessen, was er sein jeweiliges Bundesland kostet. Kritiker fordern deshalb seit langem, dass der Staat nicht weniger, sondern mehr Prüferinnen und Prüfer einstellen sollte. Doch das Gegenteil passiert.

Kleinstbetriebe werden im Schnitt nur alle 150 Jahre geprüft

Laut Bundesfinanzministerium wurden im vergangenen Jahr gerade einmal 16 von 1000 Betrieben einer Prüfung unterzogen, also nicht einmal jeder sechzigste. Allerdings hängt die Prüfdichte stark von der Größe des Unternehmens ab: Bei großen und mittleren Firmen lagen Quoten mit zuletzt knapp 296 und 183 von jeweils 1000 Betrieben deutlich höher. Konzerne werden de facto sogar fortlaufend überwacht, weil immer die Angaben gleich mehrerer Jahre überprüft werden.

Kleine Unternehmen hingegen müssen im Schnitt nur alle 38 Jahre mit einer Betriebsprüfung rechnen, Kleinstbetriebe, die mehr als 80 Prozent aller Firmen in Deutschland ausmachen, sogar nur alle 150 Jahre. Aktuell werden vor allen Dingen Influencer von Steuerprüfern ins Visier genommen.

Die frühere Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker. (Archivbild)
Die frühere Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker. (Archivbild) Carsten Koall/dpa

"Bund in der Verantwortung": Ex-Staatsanwältin Brorhilker kritisiert Personalmangel

Die Länder begründeten die Entwicklung unter anderem mit Fachkräftemangel. Zugleich würden die Prüffälle immer komplizierter und zeitaufwändiger, auch hätten viele Kontrolleure behördenintern zuletzt bei anderen Projekten wie der Reform der Grundsteuer aushelfen müssen. 

Kritik kam unter anderen von Anne Brorhilker, ehemalige Staatsanwältin, Cum-Ex-Ermittlerin und heute Geschäftsführerin der Initiative Finanzwende, die sich dem Kampf gegen Finanzkriminalität verschrieben hat. "Wer unseren Rechtsstaat und damit auch unsere Demokratie stärken will, muss die Finanzbehörden personell und strukturell deutlich stärken. Alles andere ist fahrlässig", sagte sie der SZ. "Sind die Länder nicht in der Lage, ausreichend Personal einzustellen, ist der Bund in der Verantwortung einzuspringen, etwa durch die Bereitstellung von Bundesbetriebsprüferinnen und -prüfern."