Verlassen Milliardäre bei höheren Steuern das Land? „Angst ist irrational“
In Deutschland werden reiche Menschen, also solche mit einem Vermögen in Höhe mehrerer Millionen oder gar Milliarden Euro und/oder einem Einkommen im siebenstelligen Bereich, vergleichsweise gering besteuert. Das liegt daran, dass sie ihr Geld entweder ererbt haben, wo sich mit zahlreichen Schlupflöchern Steuern sparen lassen, oder ihr Einkommen auf dem Kapitalmarkt erzielen, welcher weniger stark besteuert wird als Arbeit.
Gerade von Parteien auf der linken Seite des politischen Spektrums, also etwa SPD, Grünen und den Linken, wird deswegen immer wieder gefordert, die Steuern für Reiche und Superreiche zu erhöhen – meist durch eine Kombination aus einem erhöhten Spitzensteuersatz, der Reaktivierung der Vermögensteuer und einer schärferen Erbschaft- und Schenkungsteuer.
Frankreich zeigt, wo das Problem liegt
Bisher hat diese Idee aber keine politische Mehrheit gefunden. Ein Argument gegen höhere Steuern wird dabei oft wiederholt: „Die Umverteilungsideen hätten gewaltige Kollateralschäden durch Kapitalflucht zur Folge“, sagte etwa Ex-FDP-Chef Christian Lindner noch im vergangenen Jahr. Als abschreckendes Beispiel gilt Frankreich. Hier verließ der Schauspieler Gerard Depardieu 2012 etwa das Land aus öffentlichem Protest gegen eine geplante Reichensteuer. Daten der EZB deuteten ein Jahr später daraufhin, dass nach Beginn der Steuer rund 70 Milliarden Euro aus Frankreich ins Ausland geschafft wurden – wie viel davon steuerpflichtig gewesen wäre, ist aber ungewiss.
Das zeigt, dass Lindner und andere Politiker, die ähnlich argumentieren, hier durchaus eine berechtigte Sorge artikulieren. Reiche Menschen sind finanziell nicht an einen Wohnort gebunden. Sie haben das Geld, um schnell umzuziehen und aufgrund ihres Reichtums und des international anerkannten deutschen Reisepasses auch die Möglichkeit, in viele Niedrigsteuerländer der Welt zu emigrieren. Teilweise können sie sich in anderen Ländern sogar neue Staatsbürgerschaften kaufen.
Nun sind auch reiche Menschen keine rein auf Profit orientierten Maschinen und viele würden wahrscheinlich wegen ihrer Familie, Freunde oder ihres Unternehmens trotzdem in Deutschland bleiben, doch eine signifikante Summe an Vermögen könnte als Reaktion auf höhere Reichensteuern das Land verlassen – und somit dem Staat am Ende sogar weniger Steuern einbringen.
Wegzug wird schon seit 1918 besteuert
Allerdings steht der Staat einem solchen Verhalten nicht schutzlos gegenüber. Schon heute können Sie Geld und Vermögen nicht einfach so aus Deutschland heraus ins Ausland transferieren. Machen Sie dies, greift für Sie die Wegzugbesteuerung. Die wurde bereits 1918 noch im Kaiserreich vor Ende des Ersten Weltkrieges erlassen. Aufgrund der politischen Lage damals hatte die Reichsführung berechtigte Sorge, dass viele Deutsche ins Ausland fliehen und ihr Vermögen mitnehmen würden.
In ihrer ersten Fassung galt, dass deutsche Staatsangehörige auch mit einem ausländischen Wohnort in Deutschland einkommensteuerpflichtig bleiben sollten. Schlimmer noch: Die fällige Steuer wurde in diesem Fall mit dem Faktor 2,5 multipliziert, um Kapitalflucht so unattraktiv wie möglich zu machen. Als Sicherheit musste ein Wegziehender 20 bis 50 Prozent seines Vermögen beim Staat hinterlegen.
Unternehmer Horten zahlte nach Umzug keine Steuern
Diese erste, sehr harsche Wegzugbesteuerung wurde über die Jahre aufgeweicht. Sie existiert im Grundsatz aber bis heute. In den 1970er Jahren wurde sie neu geregelt. Anlass war der Unternehmer Helmut Horten, der eine gleichnamige Kaufhauskette besaß. 1968 zog er in die Schweiz und wandelte die Horten GmbH in eine Aktiengesellschaft um.
In den Folgejahren verkaufte er stückweise seine Anteile für mehr als eine Milliarde D-Mark, was heute mehr als zwei Milliarden Euro entspräche. Weil die Schweiz keine Steuern auf Aktienverkäufe verlangte und er durch den Umzug in Deutschland nicht mehr steuerpflichtig war, zahlte er dafür keinen Pfennig an Steuern.
Wegzugbesteuerung wurde eingeführt
In der Folge wurde die Wegzugbesteuerung wieder eingeführt, die seitdem trivial auch „Lex Horten“ heißt. Sie gilt für Personen, die in den vergangenen zwölf Jahren mindestens sieben Jahre in Deutschland steuerpflichtig waren. Verlegen sie ihren Wohnsitz ins Ausland, werden alle Anteile an Kapitalgesellschaften besteuert, an denen diese Person mindestens ein Prozent aller Anteile besitzt. Damit sind nicht nur Aktien gemeint, sondern jede Form von Besitzanteilen.
Das Finanzamt handelt dann so, als würden Sie diese Anteile fiktiv verkaufen. Anhand des daraus entstehenden fiktiven Gewinns wird dann die Steuerlast ermittelt, die Sie gehabt hätten, hätten Sie diese Anteile zum Zeitpunkt Ihres Wegzugs tatsächlich verkauft. Auf den Gewinn werden also 25 Prozent Abgeltungsteuer plus Solidaritätszuschlag und möglicherweise Kirchensteuer fällig – in der Regel also etwas mehr als 26 Prozent. Ziehen Sie von Deutschland in einen anderen Staat der EU sowie Norwegen, Liechtenstein oder die Schweiz, lässt sich die Steuerzahlung um maximal sieben Jahre aufschieben oder auf den Zeitpunkt, an dem Sie die Anteile wirklich verkaufen.
Aktivisten setzen sich für höhere Besteuerung ein
Wie hoch die Staatseinnahmen durch diese Wegzugbesteuerung sind, ist nicht bekannt. Sie wird im Bundeshaushalt nicht einzeln aufgelistet, sondern ist Teil der Kapitalertragsteuer. Von hohen Beträgen ist aber nicht auszugehen. Das liegt allein schon daran, dass bisher nur wenige deutsche Superreiche überhaupt ins Ausland ziehen. Die Wohltätigkeitsorganisation Oxfam schätzte im vergangenen Jahr, dass von den damals 226 deutschen Milliardären nur 29 überhaupt aus Deutschland wegzogen.
Die Steuer greift allerdings auch, wenn Milliardäre nicht persönlich ins Ausland gehen, sondern nur ihr Unternehmen verlagern, um Unternehmensteuern zu sparen. Auch dann muss der in Deutschland erzielte Gewinn versteuert werden. Und auch hier kann diese Zahlung gestreckt werden, wenn das Unternehmen innerhalb der EU bleibt. Das hatte die EU 2016 im Rahmen der Exit-Tax festgelegt, welche Deutschland 2021 umsetzte.
Reiche können ihr Geld nicht einfach ins Ausland schaffen
Die Realität zeigt also, dass schon heute Reiche ihr Vermögen nicht einfach so ins Ausland schaffen können, um Steuern zu sparen. Sollte eine künftige Bundesregierung sich für eine höhere Besteuerung von hohen Einkommen, hohen Vermögen und Erbschaften entschließen, könnte sie also auch die Kapitalflucht mit geeigneten Mitteln eindämmen.
„Der Kampf gegen Steuerflucht ist vor allem eine Frage des politischen Willens“, sagt Manuel Schmitt, der bei Oxfam als Referent für Soziale Ungleichheit arbeitet. „Die Angst vor Steuerflucht ist irrational“, ergänzt Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit, „Steuerflucht ist kein Schicksal und auch kein Massenphänomen.“
Nur Grüne und Linke wollen schärfere Wegzugbesteuerung
Unter den deutschen Parteien gibt es ein gemischtes Bild zu dem Thema. CDU/CSU und SPD sehen die bisherigen Regeln zur Wegzugbesteuerung und der Exit-Tax als ausreichend an und wollen daran auch nicht rütteln. Die FDP und die AfD sind gegen die bestehende Wegzugbesteuerung, wobei beide hier keine großen Programme fahren, um diese abzuschaffen. Das BSW hat sich zu dem Thema bisher gar nicht geäußert.
Diejenigen, die die Wegzugbesteuerung verschärfen wollen würde, sind demnach die beiden Parteien, die auch am vehementesten für eine stärkere Besteuerung von Reichen und Superreichen werben: Grüne und Linke.
Idee der globalen Mindeststeuer
Die Grünen setzen sich zum einen für die Idee einer globalen Mindeststeuer ein. Die stammt vom französischen Ökonomen Gabriel Zucman, der diese vor einigen Jahren für die brasilianische Regierung entwarf. Die Idee ist, dass sich alle Staaten zumindest der G20 darauf einigen, eine Vermögensteuer von zwei Prozent ab einer Milliarde Dollar Vermögen einzuführen. Ausgenommen davon sollen nur diejenigen sein, die in ihrem Land schon höhere Steuern auf Vermögen oder sehr hohe Steuern auf ihr Einkommen bezahlen.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hatte für Deutschland ausgerechnet, dass Superreiche dadurch eine Steuerlast von rund 30 Prozent ihres Einkommens pro Jahr hätten, was in etwa dem Durchschnitt deutscher Haushalte entspräche. Die Mehreinnahmen für den Staat lägen zwischen 5 und 17 Milliarden Euro pro Jahr. Der Clou: Führen alle G20-Staaten diese Steuer gemeinsam ein, gäbe es für betroffene Milliardäre keinen Anreiz mehr, in ein anderes Land umzuziehen, da die Steuerlast überall dieselbe wäre.
Verlagerungen unattraktiver machen
Eine ähnliche Idee ist die Einführung einer globalen Mindesteuer für Unternehmen in Höhe von 15 Prozent des Gewinns. Auch das soll Verlagerungen unattraktiver machen und zudem dafür sorgen, dass sich Staaten kein „Rennen nach unten“ liefern und sich im Kampf um Unternehmensansiedelungen mit immer niedrigeren Steuersätzen unterbieten.
Die Linken wollen eine noch massivere Verschärfung. Sie fordern eine Rückkehr zu den Regeln von 1918, wonach deutsche Staatsangehörige auch dann in Deutschland Steuern zahlen müssen, wenn sie im Ausland leben oder im Ausland ihr Einkommen erzielen. Das wäre nicht so einfach umzusetzen. Verlegt ein deutscher Staatsbürger seinen Wohnsitz ins Ausland und erzielt dort sein Einkommen, will berechtigterweise auch dieser Staat Steuern haben. Schließlich nutzt der Deutsche an seinem neuen Wohnort auch Straßen, Wasser- und Stromleitungen und alle anderen Annehmlichkeiten, für die dieses Land aufkommen muss.
Um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, hat Deutschland mit den meisten Ländern der Welt Abkommen geschlossen, die regeln, welcher Staat in welchem Fall Steuern von einem Staatsbürger eines der beiden Länder einziehen darf. Die Linke müsste für ihre Pläne also all diese Abkommen aufkündigen und neu verhandeln. Die Lösung hierfür wäre laut Wahlprogramm, dass ein Staat weiterhin die Steuern von deutschen Staatsbürgern einziehen darf und in Deutschland dann lediglich noch die Differenz zum deutschen Steuersatz fällig würde. So müsste jemand im Ausland immer den deutschen Steuersatz zahlen, egal, wo er wohnt.
Fazit: So geht es weiter
Dies zeigt: Will eine Bundesregierung Kapitalflucht effektiv bekämpfen, gibt es dafür Möglichkeiten. Zudem gibt es bereits supranationale Anstrengungen dies umzusetzen, etwa über die bestehende Exit-Tax der EU oder die Bemühungen für eine globale Mindest- und Milliardärsteuer innerhalb der G20. Aber: Realistischerweise wird davon in Deutschland mittelfristig kaum etwas umgesetzt. Der Koalitionsvertrag schweigt zu Themen wie Wegzugbesteuerung und globaler Milliardärsteuer. Die einzigen beiden Parteien, die sich dafür einsetzen – Grüne und Linke – sind derzeit weit von einer Regierungsbeteiligung entfernt.