Sender stecken in Vergangenheit fest - Scholz statt Weidel im TV-Duell? ARD und ZDF kriegen politische Veränderung nicht mit

Der Ärger bei den Grünen ist groß: Als „inakzeptabel“, „fragwürdig“ und „an der Realität vorbei“ bezeichnen Spitzengrüne die Entscheidung von ARD, ZDF und RTL, im Bundestagswahlkampf dieses Mal wieder nur ein TV-Duell zwischen SPD-Kanzler Olaf Scholz und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz auszurichten.

Anders als 2021, als neben Scholz und CDU-Kandidat Armin Laschet auch Annalena Baerbock eingeladen wurde, soll es dieses Mal kein TV-Triell geben. 

Habeck soll sich mit Alice Weidel messen

Für Robert Habeck, den Vizekanzler und Kanzlerkandidaten der Grünen, ist kein Platz. Er soll stattdessen mit AfD-Kandidatin Alice Weidel in den Ring steigen.

Für die Grünen ist das eine schmerzhafte Begegnung mit der Realität. Denn auch wenn sie am Dienstag ein „Regierungsprogramm“ vorgelegt haben und seit Wochen mit einem „Team Robert“ für ihren Kanzlerkandidaten werben, scheint völlig klar, dass die Grünen auch 2025 das Kanzleramt nicht erobern werden. 

In den Umfragen stagniert die Partei seit Wochen bei rund 13 Prozent – weit abgeschlagen nur auf Platz vier.

Und doch ist der Frust der Grünen verständlich. Bis zur Neuwahl am 23. Februar bleibt wenig Zeit, Kandidat und Programm bekannt zu machen – zumal die Menschen in den Tagen um Weihnachten und Neujahr nicht von den Parteien belästigt werden wollen. Es wird ein kurzer und aller Voraussicht nach harter Wahlkampf.

Auf das TV-Duell kommt eine zentrale Rolle bei der Entscheidungsfindung der Wählerinnen und Wähler zu. 2002, beim ersten TV-Duell vor einer Bundestagswahl, konnte SPD-Kanzler Gerhard Schröder seine Aufholjagd gegen CSU-Bewerber Edmund Stoiber starten. 

2013 reichte Angela Merkel ein „Sie kennen mich“, um die Kanzlerambitionen von SPD-Kandidat Peer Steinbrück endgültig zu beenden.

Mit Einladung von Merz und Scholz ziehen ARD und ZDF eine Vorfestlegung für eine Großen Koalition

TV-Duelle sind Aufmerksamkeit zur Primetime. Mehr als zehn Millionen Menschen verfolgten das Triell zwischen Scholz, Baerbock und Laschet 2021 bei ARD und ZDF. Hinzu kamen weitere 5,5 Millionen Interessierte bei einem weiteren Triell, das damals von RTL ausgerichtet wurde. 

Für Parteien, die sonst an einzelnen Haustüren klingeln, ist es die große Chance, 90 Minuten direkt in die Wohnzimmer der Republik zu senden.

Mit ihrer Einladung von Merz und Scholz ziehen ARD und ZDF nun eine Vorfestlegung im Wahlkampf zu Gunsten der Großen Koalition. Gerade für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der laut Rundfunkstaatsvertrag in seiner Berichterstattung unparteilich sein und die Meinungsvielfalt berücksichtigen soll, ist die Entscheidung problematisch.

Zumal die Begründung der Redaktionen – der Verweis auf die Umfragen – in sich widersprüchlich ist. 2021 wurde Scholz eingeladen, obwohl er in Umfragen mehr als zehn Prozent hinter Union und Grünen lag.

Eigentlich müssten Merz und Weidel eingeladen werden

Würde es nun allein um die Werte der Demoskopen gehen, müssten eigentlich Merz und Weidel zum Duell geladen werden. Seit Sommer 2023 liegt die AfD stabil auf Platz zwei und landete auch bei der Europawahl vor SPD und Grünen.

Der Verdacht liegt nahe, dass ARD und ZDF der Spitzenkandidatin einer in Teilen rechtsextremen Partei keine Bühne bieten wollten. 

Umso absonderlicher, dass man ihre Frontfrau dann aber mit dem Vizekanzler ins Studio einlud. Die Grünen sollten sich genau überlegen, ob sie dieses vergiftete Angebot annehmen.

Die Zeit der Volksparteien ist vorbei - erschreckend: Bei ARD und ZDF kriegt das keiner mit

Gedanken machen müssen sich aber auch die Programmdirektoren bei ARD und ZDF. In einer zunehmend individualisierten Gesellschaft mit zersplitterter Parteienlandschaft passt das Konzept des TV-Duells nicht mehr in die Zeit.

2002 gelang es SPD und Union noch, gemeinsam 77 Prozent der Wählerstimmen auf sich zu vereinen. Inzwischen kommen Sozialdemokraten und Konservative auf nicht einmal mehr 50 Prozent. Die Zeit der Volksparteien ist vorbei. Es ist erschreckend, dass dies bei ARD und ZDF noch nicht angekommen ist.

Von Felix Hackenbruch

Das Original zu diesem Beitrag "ARD und ZDF greifen in den Wahlkampf ein: Das TV-Duell passt nicht mehr in die Zeit" stammt von Tagesspiegel.