Wie wirken Verschwörungstheorien und wer fällt darauf rein? Expertin gibt Schülern Einblicke in Mechanismen

  1. Startseite
  2. Lokales
  3. Freising
  4. Freising

Kommentare

Wilde These: Zahnpasta und -Bürste fördern Karies und sollen nur Zahnärzte reich machen, Tabletten ohne Flourid sind dagegen die gesunde Alternative – so lautete die von Schülern ausgedachte Verschwörungstheorie, die hier präsentiert wurde. © afo

Warum glauben Menschen an Verschwörungstheorien und wie wirken deren Mechanismen? Das haben jetzt Freisinger Gymnasiasten mit einer Expertin analysiert.

Freising - Wenn in den USA diesen Dienstag gewählt wird, steht dort in den Augen vieler der Erhalt der Demokratie auf dem Spiel. Schließlich hat Donald Trump im Wahlkampf (und bereits zuvor) massiv darauf gesetzt, Zweifel an demokratischen Institutionen des Landes zu säen und sie verächtlich zu machen. Dafür wirft er mit Falschaussagen um sich und befeuert gezielt Verschwörungsmythen. Vor diesem Hintergrund erscheint das Timing einer Veranstaltung am Freisinger Dom-Gymnasium als Volltreffer: Am Montag tauschten sich dort alle Zehntklässler des Jahrgangs mit einer Fachfrau zum Thema „Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ aus.

Schuhe ohne Sohlen: Schüler denken sich selbst wilde Mythen aus

Der Aktionstag ist Teil des Unterrichtsprojekts „Stark im Jetzt“, das der Freisinger Verein SV Zukunft an der Schule organisiert hatte. Erst bekamen die Schüler Besuch vom ehemaligen FCB-Basketball-Boss Volker Stix und sprachen mit ihm über „Bürgerschaftliches Engagement“. Dann gab die Berliner Künstlerin Ariane Kipp einen Workshop zum Thema „Kunst und Demokratie“. Und nun, am Montag, war die Politikwissenschaftlerin und Autorin Katharina Nocun (siehe Kasten am Textende) zu Gast. Die Verpflichtung der Expertin auf dem Gebiet der Verschwörungsmythen für einen Workshop am Dom-Gymnasium bezeichnet SV-Zukunft-Gründerin Birgit Mooser-Niefanger als großen Gewinn.

Schüler während einer Gruppenarbeit unterstützt von Katharina Nocun.
In Gruppenarbeit erarbeiteten die Zehntklässler am Dom-Gymnasium eigene Verschwörungsmythen. Unterstützt wurden sie dabei von der Berliner Expertin Katharina Nocun. © Lehmann

Um den gut 60 Jugendlichen im großen Musikraum des Gymnasiums Mechanismen von Verschwörungstheorien zu erklären, setzte Nocun nicht auf reinen Frontalunterricht, sondern auch auf Gruppenarbeit. Dabei sollten sich die Schüler selbst Verschwörungsmythen ausdenken, diese mit falschen Fakten unterfüttern und für ihre Theorie werben respektive Kritik abwehren. In 20 Minuten war es allen Schülerteams gelungen, kreative und abstruse Verschwörungen zu präsentieren.

Verschwörungserzähler schlüpfen gerne in die „Opferrolle“

Eine Gruppe etwa inszenierte eine Talkshow mit „hochrangigen Wissenschaftlern“ und ließ darin ihre „Souly Foot“-Bewegung vorstellen. Die hinterfragte: „Warum tragen wir Schuhe?“ Die erfundene These der Jugendlichen: Beim Laufen auf Sohlen gehe uns Menschen die Erdenergie verloren, die uns gegen Radioaktivität immun mache. Die Regierung, die uns alle töten wolle, habe in den Sohlen nicht nur störende Mikrochips einsetzen lassen, sondern ja auch den Asphalt als Barriere für den Energiefluss erfunden. Der Ausweg: Auf „souly-foot.com“ gebe es Schuhe ohne Sohle zu kaufen. Ob man nicht einfach barfuß laufen könne, statt sich teure Spezialschuhe zu kaufen, lautete eine Frage. Die Antwort: „Dann sieht die Regierung doch, dass ihr nicht mitmacht!“

Katharina Nocun zu Gast an einer Freisinger Schule
Die Expertin: Katharina Nocun war zu Gast in Freising. © Lehmann

Nachdem die zu erwartenden Lacher abgeklungen waren, gab Katharina Nocun ihr Feedback zur Inszenierung – und erklärte, dass selbst solche absurde Geschichten viele ernste, reale Parallelen zu gängigen Verschwörungsmythen aufweisen würden. So hätten sich die Schüler beispielsweise als Experten positioniert, „was oft der Fall ist bei Leuten, die etwas verkaufen wollen“. Auch der Hinweis der Schüler, sie würden wegen ihrer Kenntnisse von der CIA verfolgt und müssten unter Personenschutz auftreten, sei ein gutes Beispiel für die „Opferrolle“, in die Verschwörungserzähler gerne schlüpften.

Wie Alien-Theorien sogar Attentate rechtfertigen können

Es folgten weitere wilde Erzählungen: mal über einen staatlich manipulierten Regenkreislauf, mal über von Aliens gesteuerte Sonnenfinsternisse. Nocun fand viele Anhaltspunkte für tatsächliche Methoden von Verschwörungstheoretikern. So würden etwa Ängste in alltäglichen Bereichen wie der Zahngesundheit oder dem Trinkwasser geschürt, für die dann Produkte als Lösung angepriesen werden, deren Wirkung entweder gegen Null geht – oder aber sich sogar schädlich auswirkt. Nocun: „Das ist wahnsinnig gewinnbringend.“

Selbst Alien-Theorien seien verbreiteter als mancher ahne, sagte die Expertin. „Es gibt Gruppen, die behaupten, Politiker oder Prominente seien Aliens.“ Das erzeuge eine Entmenschlichung, die im schlimmsten Fall manchem ein Attentat rechtfertige.

Warum Menschen Verschwörungstheorien überhaupt glauben

Im Anschluss ging Katharina Nocun auf die Ursachen ein, warum Menschen an Verschwörungsmythen glauben. Psychische Krankheiten würden sich in dieser Szene nicht häufiger äußern als in der übrigen Gesellschaft. Dafür hätten Experimente gezeigt, dass Personen, die in Kontrollverlust-Situationen gebracht wurden, empfänglicher für Verschwörungen seien. Dass sich während der Corona-Pandemie so viele Menschen radikalisiert hätten, liege daran, „dass das für uns alle eine schwierige Zeit war“. Studien würden zeigen: „Wenn man Leuten gezielt Angst macht, sind sie empfänglicher für Verschwörungstheorien und für das Gefühl, dass ein großer Plan hinter allem steckt.“ Das habe für die Betroffenen etwas Entlastendes. Und: „Es gibt ihnen das gute Gefühl, dass sie eine auserwählte Gruppe sind.“ Einige Menschen würden in solchen Szenen auch erstmals sozialen Anschluss finden und deshalb sehr aggressiv reagieren, wenn dagegen argumentiert wird. „Sie haben Angst, dass ihnen etwas weggenommen wird.“

Persönliche Erfahrungen der Schüler mit Verschwörungstheoretikern bildeten schließlich den Abschluss des Projekttags. Dabei empfahl Kathrarina Nocun ein zentrales Gegemittel: „Zivilcourage zeigen, ist extrem wichtig. Es geht nicht darum, unbedingt das letzte Wort zu haben.“ Sondern darum, dass nicht alles unwidersprochen bleibe.

Zur Person

Katharina Nocun ist Politikwissenschaftlerin, Autorin und Podcast-Host. Sie gilt als Expertin auf dem Gebiet der Verschwörungsmythen sowie als Demokratie-Verfechterin. Die Kompetenz der 38-Jährigen ist nicht nur in TV-Talkrunden gefragt. Erst vergangene Woche bildete sie etwa die hessische Polizei zur verschwörungsideologischen Szene fort. Ihr Podcast findet sich online auf www.denkangebot.org, ihr Blog unter der Adresse kattascha.de.

Auch interessant

Kommentare