Wenn der Fußball-Profi junge Menschen zu Tränen rührt: SV Zukunft hilft, den richtigen Weg zu finden
SV Zukunft: Sportverein Zukunft. Das von der Freisingerin Birgit Mooser-Niefanger vor 17 Jahren initiierte Projekt für junge Menschen ist deutschlandweit bekannt und geschätzt. Jetzt gibt es einen neuen Schwerpunkt, und das aus ganz aktuellem Anlass. Ein Interview mit der Gründerin.
Freising – Ihre große Vision, ohne Hierarchien mit Menschen zusammen an einem Herzensprojekt zu arbeiten, hat Birgit Mooser-Niefanger 2007 mit dem SV Zukunft in die Realität geholt. Ein Projekt, mit dem sie, zusammen mit unzähligen Größen aus dem Profisport, mit Künstlern und Schauspielern, viele junge Menschen auf einen guten Weg gebracht hat. Menschen, die von den Umständen, in denen sie leben, aufgehalten wurden. Der SV Zukunft ist dabei oft die Initialzündung für ein unabhängiges Leben voller Perspektiven.
Sie haben SV Zukunft 2007 gegründet. Ihr „Baby“ steht also kurz vor der Volljährigkeit. Was ist aus diesem Projekt geworden? Hat es sich nach Ihren Wünschen und Vorstellungen entwickelt?
Zugegeben: Es war ein ungeplantes Baby. Damals hatte keiner von uns vor, ein Projekt für Jugendliche zu machen, sondern es entstand über einen Gedanken bei der Arbeitsagentur Freising. Dort hat man sich gefragt, wie man junge Menschen motivieren könnte, sich zum Ende ihrer Schulzeit hin aktiver und intensiver zu bemühen, in Ausbildungsstellen zu kommen. Ich wurde als Managementtrainerin für Erwachsene vor diesem Hintergrund zu einem Gespräch mit der Arbeitsagentur eingeladen, und es war schnell klar, dass wir unsere eigentlich für Erwachsene gedachte Idee, Training mit der Metapher Profisport zu verbinden, für junge Menschen aufs Gleis bringen sollten. Gemeinsam mit einer Handvoll Freunden haben wir einfach angefangen, zuerst ohne jeglichen formalen Rahmen und ohne Etat.
Die Entstehung des SV Zukunft war also ein bisschen zufällig, aber dieses Baby hat dann, als Kleinkind, eine sehr konsequente Entwicklung genommen. Von Anfang an ist es in einer Großfamilie groß geworden und hat von vielen Seiten Impulse bekommen. Es hatte immer sehr viel Freiheit, sich zu entwickeln und sehr viel Spielraum für neue Ideen. Heute wird im SV Zukunft noch immer sehr viel diskutiert und nachgedacht, welche Formate könnten wir anbieten, was könnte wirklich passen für die jungen Menschen, die zu uns kommen. Summa summarum bin ich natürlich stolz auf das, was sich da entwickelt hat. Für mich ist es meine bislang bedeutendste und sinnstiftendste Aufgabe in meinem Leben, dieses Projekt zu steuern und zu entwickeln. Ja, ich bin sehr glücklich darüber, dass es deutschlandweit so geschätzt wird.
Für alle SV-Zukunft-Neulinge: An wen richtet sich das Angebot?
An junge Menschen im Übergang zwischen Schule und Beruf im Alter zwischen 14 und 25 Jahren. Wir arbeiten oft mit Menschen, denen Unterstützung in ganz einfachen lebenspraktischen Dingen fehlt: Da geht es um Tagesstruktur, Pünktlichkeit, der klaren Auffassung von Arbeit und der Vorstellung darüber, was sie selbst leisten können, was ihre eigenen Ressourcen eigentlich sind. Wir glauben fest daran: Jeder trägt schon alles in sich. Wir helfen den jungen Menschen, diese Dinge nach vorne zu bringen.
Und wie konkret sehen diese Trainings aus?
Unsere Trainingsprogramme stehen auf drei wesentlichen Säulen: Einstellung, also die Frage, mit welcher Haltung gehe ich in meine Vorhaben oder – größer gedacht – in mein Leben rein. Als nächstes: Taktik – wie konkret organisiere ich mich in der Umsetzung. Und als Drittes: Fitness – stellvertretend für die Frage, wie bereit bin ich, und wo kann ich mich verbessern.
Meine news
Wir nennen diese Programme – in Anlehnung an Training im Sport – Zirkel. Da gibt es ganz große, die über ein Schuljahr hinausgehen, so etwas läuft gerade in Berlin, und wir bieten auch kleinere Formate an. Die Trainingsthemen sind zum Beispiel Eigenverantwortung, Fokus, Begeisterung, Werte, mentale Stärke, immer angepasst an den Bedarf vor Ort. Es sind übrigens oft die eher kleinen Schritte, die fehlen: Wir haben Tausende von jungen Menschen gecoacht, und es waren bestimmt keine zehn dabei, bei denen das Potenzial das Problem war. Die meisten waren im Leben aufgehalten worden – allein von den Umständen, in denen sie leben.
Wofür steht SV? Nehmen Sie uns mit in die Anfangszeit!
Schlicht und einfach: für Sportverein. Wir haben damals diskutiert, soll es VfB, SSV oder Spielvereinigung heißen – und uns erst einmal für SV entschieden. Es war im Grunde ein Arbeitstitel, der dem Projekt bis zum heutigen Tag geblieben ist. Es signalisiert natürlich, dass wir in unserer Arbeit zu Beginn ausschließlich über die Metapher des modernen Leistungssports gecoacht haben. Das heißt, unsere ersten Gäste in unseren Trainings waren ausschließlich Leute, die eine Leistungsportbiografie hatten. Fußballer, Skifahrer, Speerwerfer, die alle irgendetwas Großes, Professionelles in ihrer Sportlerkarriere erreicht haben. Deshalb der Name aus dem Sport.
In den Trainings ging es schon immer um die Frage, wie lief diese Biografie, welche Höhen, welche Tiefen gab es, um dann die Brücke zu den Jugendlichen zu schlagen mit der Frage, was hat das alles mit mir zu tun, und was kann ich damit anfangen. Relativ bald kam über die sehr beachtete Berliner Künstlerin Ariane Kipp die Kunst dazu, wir haben festgestellt, dass gerade künstlerische Aktivitäten sehr lösend, sehr öffnend sind und haben sehr bald Kunst mit dem Sportthema kombiniert. Das hat sehr gut funktioniert.
Was können die jungen Menschen von Leistungssportlern lernen?
Bei einer Olympiade zum Beispiel sehen wir ja nur das Endergebnis. In unseren Trainings geben die Leistungssportler aber einen tiefen Einblick in ihre Biografie. Was alles dazugehört von klein auf, um so eine Ausnahmekarriere zu schaffen, das beeindruckt die jungen Leute. Und auch ich habe den allerhöchsten Respekt vor solchen Biografien, weil Leistungssport wirklich an die persönlichen Grenzen geht, gerade wenn Verletzungen kommen, wenn große Dinge nicht funktionieren. Ein berührendes Beispiel: Fußballtrainer Markus Weinzierl hat als junger Mann selbst bei den Bayern gespielt. Er hat bei einem unserer Trainings erzählt, wie er ganz am Anfang eines Spiels völlig zu Recht eine rote Karte bekommen hat. Er hat einen Fehler gemacht und durfte daraufhin seine Leistung nicht mehr abrufen. Aus diesem Fehler hat er gelernt. Damals war ein 15-Jähriger mit dabei, der tief berührt war von dieser Geschichte. Er konnte die Botschaft dahinter so gut verstehen, dass ihm die Tränen kamen. Es war sehr beeindruckend für ihn, dass so ein erfolgreicher Sportler das so offen erzählt hat.
Wieso waren Sie sich, als Sie das Konzept für den SV Zukunft erarbeitet haben, so sicher, dass das funktionieren wird?
Ich war gar nicht sicher, dass es funktioniert, aber ich war bereit, es auszuprobieren. Ich dachte etwa an das Beispiel eines Torhüters. Jeder Mensch kann nachvollziehen, dass der beim Elfmeterschießen im Finale einer Weltmeisterschaft unter enormem Druck steht. Dass auch ein junger Mensch, weil er Dinge nicht oder noch nicht kann, sehr unter Druck geraten kann, darauf kommen wir vielleicht nicht sofort. Ich fand es spannend, darüber nachzudenken, wie über die Metapher Sport der Transfer ins eigene Leben gelingen könnte, und wie dieser Transfer Jugendliche stärken könnte.
Sie sind die Gründerin, das Projekt trägt unverkennbar Ihre Handschrift. Mittlerweile haben Sie sich als Vorsitzende des SV Zukunft zurückgezogen. Wie sind Sie dennoch in Programm und Arbeit involviert?
Vorsitzende bin ich schon lange nicht mehr, war das auch nur kurz und übergangsweise. Ich bin die Gründerin zusammen mit Bernhard Hirmer, ehemaliger Profi-Torwart des FC Bayern. Mein Part beim SV Zukunft: Ich habe über die Jahre hinweg einen Rahmen entwickelt, inhaltlich und formal, in dem diese Trainings stattfinden können. Die Themen, Inhalte, Abläufe etc. das kommt von mir. Mein persönlicher Traum war es schon immer, ohne Hierarchie etwas mit anderen Menschen gemeinsam zu machen. Ein Projekt, an dem Menschen mitarbeiten, weil sie den Sinn dieser Arbeit sehen. Das war meine Idee, das hat funktioniert. Ich bin eine Art Mastermind im Hintergrund und achte darauf, dass die Grundideen und -Intentionen stabil bleiben.
Dieser Service am Projekt ist also mein Ding. Und wenn ich Zeit habe, arbeite ich natürlich wahnsinnig gerne als Trainerin im Projekt. In meinem normalen Leben bin ich seit über 30 Jahren Managementtrainerin. Meine Themen bringe ich auch in den SV Zukunft ein: Strategie, Kommunikation, Präsentation und Resilienz. Ab dem Herbst werde ich, weil wir es unglaublich wichtig finden, zudem interkulturelle Kompetenz anbieten.
Und Sie wollen das Angebot des SV Zukunft neben Sport und Kunst noch um einen dritten Schwerpunkt ergänzen: Demokratie. Wieso ist Ihnen das wichtig? Gab es ein Schlüsselerlebnis für diesen Schritt?
Wie so viele in diesem Land haben wir speziell in den vergangenen Monaten begonnen, uns große Zukunftssorgen zu machen. Haben mit Grauen die verrohende Sprache gesehen, die nationalistischen Tendenzen, die Verbreitung von Fake News. Da haben wir uns gefragt, ob wir was beitragen können, um das aufzuhalten. Uns wurde dann gesagt: Das, was ihr macht, ist gelebte Demokratie. Das stimmt wahrscheinlich.
Wir geben den jungen Menschen Unterstützung, um ein vollwertiges Mitglied in unserer Gesellschaft zu sein. Wenn sich jeder zugehörig fühlt, wenn jeder davon überzeugt ist, dass das, was er machen und anbieten kann, einen Wert hat, ist das die beste Grundlage für eine demokratische Gesellschaft. Mitten in diese Überlegungen ist zufällig der Kontakt zum Domgymnasium entstanden. Wir waren noch nie an einem Gymnasium. Rektor Manfred Röder aber hat mir glaubhaft versichert, dass das, was wir tun, auch einen starken Mehrwert für seine Schülerinnen und Schüler haben könnte. Wir fanden dann, dass das Domgymnasium in Freising ein idealer Ort ist für das Pilotprojekt, der Anfang des Demokratieschwerpunkts. Dieses Programm heißt „Stark im Jetzt“ und wird im September stattfinden.
Mit welchem konkreten Ziel?
Wir wollen gerne Menschen einladen, die mit den jungen Leuten zentralen Fragen auf den Grund gehen: Was hat Demokratie mit mir zu tun? Was kann ich für die Demokratie tun? Und: Was bringt mir das? Denn, und auch das ist wichtig: Engagement heißt immer, dass ich selbst auch etwas zurückbekomme. Wir werden im September mit drei Wunschkandidaten an den Start gehen: Volker Stix, lange Jahre Geschäftsführer bei den Bayern-Basketballern, ein Topmann im Sport, macht den Anfang. Er hat sich schon immer sozial engagiert, ist etwa mit der ersten Mannschaft in Bamberg ins Jugendgefängnis gegangen, um dort Basketballtraining anzubieten. Alles was er zum Thema bürgerschaftliches Engagement sagt, hat Hand und Fuß. Mit dabei ist als zweite Katharina Nocun, Autorin des Buches „Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“. Sie kennt sich bis in die Tiefe mit diesen Dingen aus. An Tag drei kommt mit Ariane Kipp ein Urgestein unseres Vereins. Sie zeigt auf, was Kunst bewirken kann, und wie Künstlerinnen und Künstler mit dem, was sie tun, einen Beitrag für die Gesellschaft leisten können.
Mit diesem nächsten Schritt zeigt sich auch: Der SV Zukunft ist politisch unabhängig, aber doch sicher nicht unpolitisch?
Wir wollten unbedingt eine politische Unabhängigkeit. Das war uns auch deshalb wichtig, weil einige von uns politische Mandate inne haben. Das Projekt sollte sich eher auf einer Metaebene mit Politik beschäftigen. Die Menschen, mit denen wir uns hauptsächlich beschäftigen, haben schon in jungen Jahren mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Was in Deutschland über viele Jahre sehr egal war. Das hat man sich in diesem reichen Land einfach geleistet, dass ein bestimmter Prozentsatz junger Menschen nicht in die Ausbildung, sondern in den Leistungsbezug geht. Erst als das Thema mit dem Fachkräftemangel immer gravierender wurde, hat man festgestellt, dass diese tausenden von Jugendlichen uns helfen könnten, das Problem zu lösen, indem sie eine Ausbildung machen. Der SV Zukunft arbeitet seit beinahe 20 Jahren daran, die jungen Leute dabei zu unterstützen. Unsere tägliche Arbeit ist also sicher nicht unpolitisch.
Gibt es Pläne, Multiplikatoren auszubilden. Damit jede Schule in den Genuss dieser Kompetenztrainings kommen könnte?
Darüber haben wir immer mal wieder nachgedacht, das fänden wir tatsächlich gut und haben es im Hinterkopf. Aber es ist ein enormer Zeitaufwand. Du musst so etwas ordentlich vorbereiten. Das scheitert im Moment an den Kapazitäten.
Wenn Sie auf die Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen schauen: Hat Sie das noch mehr darin bestärkt, die Arbeit des SV Zukunft weiterzumachen?
Da die Ergebnisse ja schon vorhersehbar waren, haben sie uns nicht sehr überrascht. Vielleicht haben sie uns in unserem grundsätzlichen Gedanken bestärkt und deren Aktualität bestätigt: Nur wer ausreichend informiert ist, wer sich sicher ist, dass er in der Welt, in der er lebt, Gestaltungsspielraum hat, fühlt sich einer Gesellschaft zugehörig und ist bereit, sich für das gemeinsame Ganze einzusetzen. Hier gibt es in unserem Land einen eindeutigen Nachholbedarf.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit dem SV Zukunft ganz praktisch ab? Kommen Interessierte auf Sie zu oder wenden Sie sich aktiv an Schulen?
Wir arbeiten von Beginn an über Mundpropaganda, über Empfehlungen. Interessierte, vor allem Schulen, kommen auf uns zu. Uns ist es wichtig, unvoreingenommen vor die Gruppe zu treten. Das Ziel darf nicht sein, die Leute, die Probleme haben, noch weiter abzusondern. Sie haben mit 16 oder 17 schon einige Absonderungsprozesse hinter sich. Sie durften beispielsweise nicht auf weiterführende Schulen. Unsere Trainings sind immer maßgeschneidert, wir entwickeln zusammen mit den Pädagogen, was für die Gruppe passt. Die Herausforderung ist, etwas zu finden, womit wir zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchdringen können. Das ist uns immer gelungen. Wir sind keine Zauberer, wir versuchen das, was wir machen, immer mit Demut zu machen. Wir sind nichts besonderes. Wir begeben uns auf Augenhöhe mit den jungen Menschen. So haben wir die Chance, eine große Wirkung zu erreichen.
17 Jahre SV Zukunft – woran erinnern Sie sich besonders gerne?
Es ist immer wieder die wahnsinnige Offenheit, der wir vom SV Zukunft bei den Jugendlichen begegnen, und deren Bereitschaft, sich zu entwickeln, um vorwärts zu kommen, was mich über die Jahre immer wieder aufs Neue tief berührt. Wir gehen aus den Trainings raus und haben immer das Gefühl, genau hier sind wir richtig. Genau hier haben wir wieder etwas erreicht.