Lang und Neubauer gestehen Fehler – Ökonomin sieht "moderne Form der Klimaleugnung"

Die ehemalige Grünen-Chefin Ricarda Lang und Aktivistin Luisa Neubauer haben Fehler der Klimabewegung eingeräumt. "Es gab da eine Zeit lang eine Arroganz unter Progressiven. Wir waren uns bisweilen zu sicher, uns mit den Gegenargumenten nicht mehr auseinandersetzen zu müssen", sagte Lang in Interview der "Zeit".

Lang und Neubauer betrachten Klimabewegung selbstkritisch

Zu oft hätten sie und andere sich herausgenommen, über die Relevanz verschiedener Debatten zu urteilen. Die Bundestagsabgeordnete der Grünen führt im "Zeit"-Interview ein konkretes Beispiel an: "Ich mache regelmäßig Bürgersprechstunden in meinem Wahlkreis. Da sitzen dann die unterschiedlichsten Menschen, die könnten mit mir über alles sprechen: Pflege, Mietpreise. Viele wollen aber darüber reden, dass sie das Gefühl haben, manche Sachen in Deutschland nicht mehr sagen zu dürfen."

Auch Neubauer, die "Fridays for Future" in Deutschland geprägt hat, sieht das als Problem. Das Entscheidende in der ökologischen Frage seien oft nicht die Argumente, sondern Respekt und Kränkung. "Das habe ich lange kaum gesehen", räumte die Aktivistin im Gespräch mit der "Zeit" ein. "Viele hatten das Gefühl, dass sie als Menschen vor uns standen und Einwände hatten und wir sie nicht ernst genommen haben."

Ökonomin Kemfert sieht "moderne Formen der Klimaleugnung"

Ein häufiger Einwand beim Klimaschutz sind die teils hohen Kosten, die Bürger tragen müssen. Lang gesteht, das nicht ernst genug genommen zu haben. Derzeit werde "sehr akut" infrage gestellt, was viele für sich als gutes Leben sehen. "Das öffnet Tür und Tor für den Kulturkampf", analysiert Lang. "Und dessen Macht haben wir unterschätzt. Ich persönlich habe phasenweise sogar aktiv dafür geworben, ihn zu ignorieren."

Die Energieökonomin Claudia Kemfert, ebenfalls Teil des Dreier-Interviews der "Zeit", verteidigt hingegen ihr Vorgehen in den vergangenen Jahren. "Fundamental" widerspricht sie Langs Kosten-Argument. "In der Wissenschaft haben wir nie über die Kosten geschwiegen – weder über die des Klimaschutzes noch über die des Nichtstuns. Es kostet eben auch Geld, wenn man nichts tut. Und zwar sehr viel mehr."

Claudia Kemfert
Claudia Kemfert ist Energieökonomin an der Universität Lüneburg und leitet die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Kay Nietfeld/dpa

Auch bei der Frage, wie viel Deutschland beim internationalen Klimaschutz bewirken kann, beharrt Kemfert auf ihrer Linie. Das Argument, Deutschland allein könne wenig ausrichten, bezeichnet die Wirtschaftswissenschaftlerin als "moderne Formen der Klimaleugnung". Wer selbst nichts tun wolle, zeige auf andere "und vergisst dabei, dass Klimaschutz nur funktioniert, wenn alle Verantwortung übernehmen".

Klimaaktivistin Neubauer will die Bedenken vieler Menschen nicht einfach abbügeln. Die Bewegung habe unterschätzt, wie mächtig das Deutschland-Argument sei, wenn es einmal in der Welt ist, hält sie im "Zeit"-Interview fest.

Lang will "neue Ansprache", aber auch mehr Konfliktbereitschaft

In dem Gespräch erörtern die drei Frauen auch, wie die Klimabewegung künftig auftreten soll. Politikerin Lang hält für die Grünen eine Doppelstrategie für sinnvoll: "Allianzen und Bündnisse dort, wo sie möglich und sinnvoll sind; aber auch wieder deutlich mehr Bereitschaft zum Konflikt, wo er nötig ist." 

Lang, die für FOCUS online Kolumnen schreibt, hatte schon im vergangenen Jahr in einem ihrer Texte auch inhaltliche Forderungen für die Klimapolitik aufgestellt: "Bitten wir etwa beim Klimaschutz diejenigen Unternehmen viel stärker zur Kasse, die über Jahrzehnte von Umweltzerstörung profitiert haben." Die Politik müsse aufhören, "arm gegen noch ärmer auszuspielen, während ein paar Superreiche mit den Krisen der letzten Jahre unbemerkt Milliarden verdient haben".