Freisings Kita-Krise dreht Lebensmodelle auf links

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Wie eine Seifenblase ist der Traum vom Kita-Platz für unzählige Freisinger Familien zerplatzt. © Lehmann

Die dunklen Wolken über Freisings Kindertageseinrichtungen haben sich noch lange nicht verzogen. 530 Kinder stehen auf den Wartelisten für Kindergarten, Hort und Krippe. Die Verzweiflung ist groß.

Die einen stecken knietief in der Kita-Krise. Andere Kommunen, und da gehört Freising mit dazu, sogar bis zum Hals. Damit müssen im Herbst, wenn das neue Kita-Jahr beginnt, die Familien von insgesamt 530 Kindern leben. So viele sind wieder nicht zum Zug gekommen. So viele stehen auf der Warteliste. Das FT hat sich mit zwei Betroffenen unterhalten. Namentlich genannt werden wollen sie nicht.

Franz F. (alle Namen der Redaktion bekannt) und seine Frau haben drei Absagen kassiert – für ihre beiden Kinder. Die Tochter, drei Jahre alt, sollte im Herbst in den Kindergarten kommen. Für den Sohn, der ab September die Grundschule besucht, bräuchte die Familie dringend eine Mittagsbetreuung und einen Hortplatz. Und für alle drei Anfragen gab‘s einen Korb. Die Pläne der Familie sind dahin. „Unser Sohn hat dreimal in der Woche um 11.15 Uhr Schulschluss“, erzählt der betroffene Vater. An dem Tag lohne es sich erst gar nicht, in die Arbeit zu gehen. Ein entsprechendes Arbeitsmodell gebe es weder bei seinem noch beim Arbeitgeber seiner Frau.

„Hosen runterlassen“

Familien haben einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz, den sie theoretisch einklagen können. Dennoch müssen die Familien noch immer, wie eine betroffene Mutter es formuliert, „die Hosen runterlassen“ und ganz genau begründen, wieso sie einen Betreuungsplatz brauchen. Auch Familie F. hat bei der Anmeldung alle notwendigen Unterlagen vorgelegt, Nachweise, dass beide berufstätig sind, etwa. Geholfen hat das nichts. „Meine Frau wollte ihre Wochenstunden aufstocken“, erzählt Franz F. Jetzt müssen die beiden schauen, wer zu Beginn des neuen Schul- und Kindergartenjahres um wie viele Stunden zurückfährt, damit sie die Betreuung ihrer beiden Kinder am Ende stemmen können. Ironie des Schicksals: Beide arbeiten in sozialen Berufen. Beide werden, wenn sie stundenmäßig zurückschrauben, eine weitere Lücke im Betreuungssystem hinterlassen.

Auch Annalisa Fischer von der Initiative für Freisings Kinder, eben jenem Zusammenschluss betroffener Eltern, die im Sommer 2023 zum ersten Mal auf dem Marienplatz lautstark auf das Problem aufmerksam gemacht hat, gibt sich ernüchtert. „Wir sind auf dem Boden der Tatsachen angekommen: Es gibt kein ernsthaftes Interesse daran, sich des Problems anzunehmen und die Kita-Krise in Freising – wie etwa in Augsburg oder Germering – zur Chefsache zu machen. Es wird gehofft, dass wir das politische Totalversagen schweigend hinnehmen.“ Dazu seien sie und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter aber keinesfalls bereit, sagt sie. „Im Gegenteil.“ Alle Eltern, Großeltern und von der Kita-Krise Betroffenen seien dazu aufgerufen, am 21. Juni auf den Marienplatz zu gehen „und zum dritten Mal zu sagen, dass die Freisingerinnen und Freisinger sich nicht für dumm verkaufen lassen“.

Der Schock

An diesem Tag wird auch eine weitere Familie aus Freising mit dabei sein. Eine Familie aus der Ukraine, der Vater Wissenschaftler, die Mutter IT-Entwicklerin. Es sei nicht der Krieg, der sie nach Deutschland geführt habe, erzählt die Mutter. „Wir leben schon länger in Deutschland.“ Dennoch spielt der Krieg in ihrer Heimat natürlich eine große Rolle in ihrem Leben. Beide wollen und müssen in die Arbeit gehen, um ihre Familien, die in der Ukraine leben, finanziell unterstützen zu können. Dass das nun wohl nicht möglich sein wird, ist ein Schock für die beiden. Als die Absage für den Krippenplatz für ihren elf Monate alten Sohn kam, wussten sie gar nicht so recht, wie sie damit umgehen sollen. „Wir haben keine Verwandten hier in Deutschland, die einspringen könnten.“ Die Absage hat zwangsweise zur Folge, dass nur einer von ihnen wird arbeiten gehen können.

Der große Ärger

Franz F. stört an der Situation eines gewaltig: „Die Stadt unternimmt nichts aktiv, um den Personalmangel zu beheben. Mehr, als auf den deutschlandweiten Personalmangel zu verweisen, passiert da nicht – zumindest nicht öffentlich.“ Es fehle an einer zentralen Website, auf der alle Informationen zusammenlaufen: Wie viele Kita-Plätze, egal unter welcher Trägerschaft, gibt es? Wie viele sind belegt? Wie viele kann die Stadt wegen des Personalmangels nicht belegen? Wo können sich Interessierte hinwenden? Welche Anreize zahlt die Stadt? Die Liste der Infos, die unbedingt an einer zentralen Stelle gebündelt öffentlich gemacht gehören, sei lang, findet der Vater. Und es gehöre dringend eruiert, wieso in Freising eine derart hohe Fluktuation im Kita-Personal herrsche. „Das bekommen wir immer wieder zu hören.“ Mitarbeiterbefragungen, Zufriedenheitsanalysen, Prämienzahlungen – „all das, was andere Städte machen“. Ganz persönlich fehlt ihm noch was: Seine Tochter steht auf der Warteliste. Ob die wirklich existiert und sie mit jedem freiwerdenden oder zusätzlichen Platz nach vorne rutscht, oder ob das eine imaginäre Liste ist, weiß er nicht. „Es wäre schön zu erfahren, an welcher Stelle man steht und ob es noch Hoffnung auf einen Platz gibt.“

Im Stich gelassen

Die Initiative für Freisings Kinder indes fühlt sich von der Stadt im Stich gelassen, wie Annalisa Fischer sagt. „Die Stadt hat auf mehrere explizite Gesprächsangebote unsererseits nicht reagiert. Und auch aus den schriftlichen Stellungnahmen ist keine kritische Selbstreflexion erkennbar.“ Freilich sei es kein Problem, das es nur in Freising gibt. „Aber prozentual betrachtet, fehlen in den allermeisten Nachbarkommunen deutlich weniger Plätze.“ Sie und ihre Mitstreiterinnen seien entsetzt, wie wenig die Stadt Freising für die 530 Familien zu tun bereit sei. „Der Unmut wird von Jahr zu Jahr größer – und die Bereitschaft, das auf sich sitzen zu lassen, geringer.“ Und wie geht‘s bei den Betroffenen weiter? Die eine Familie, mit der das FT gesprochen hat, hofft nun, dass die Tagesmutter eine Ausnahme macht, und ihre dreijährige Tochter noch ein weiteres Jahr von ihr betreut wird – obwohl sie eigentlich nur Kinder bis zum dritten Lebensjahr aufnimmt. Für das Problem mit dem frühen Schulschluss des Sohnes hingegen gibt es noch keine Lösung. Und die Familie aus der Ukraine? „Wir müssen unsere Lebensplanung auf links drehen, es hilft nichts.“ Die Stadt solle das Problem zur Chefsache machen und das auch offen kommunizieren. Denn die Wut der Eltern wachse immer weiter. Franz F.: „Mittlerweile ist es keine Ausnahme mehr, dass Eltern hier in Freising ihre Familienplanung abschließen, weil sie sich den Stress mit der fehlenden Betreuung nicht mehr antun wollen und es sich nicht leisten können, nicht arbeiten zu gehen. Das ist schon echt traurig.“

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