Facebook stellt Faktencheck ein: Medienethikerin sieht „massives politisches Interesse dahinter“
Facebook und Instagram schaffen die Faktenprüfungen ab. Medienethikerin Prof. Claudia Paganini erklärt, welche Gefahren darin liegen.
Facebook und Instagram wollen Faktenprüfungen abschaffen. Medienethikerin Prof. Claudia Paganini erklärt im Interview mit Markus Knall, Chefredakteuer von IPPEN.MEDIA, warum die Selbstkontrolle der Nutzer gerade unter Mark Zuckerberg nicht funktionieren kann und warum Objektivität nicht mehr die Aufgabe der Medien ist.
Facebook stellt Faktencheck ein: „Sehe ein massives politisches Interesse dahinter“
Mark Zuckerberg hat angekündigt, Faktenchecks in den USA zu beenden. Das vor dem Hintergrund eines US-Präsidenten Donald Trump, der Unwahrheiten verbreitet. Wie bewerten Sie aus medienethischer Sicht diese Entwicklung?
Claudia Paganini: Ich würde zunächst einmal meinen, dass es in gewisser Weise zu erwarten war. Das ist bestimmt eine Entscheidung, die einen politischen Hintergrund hat. Trump und seine Anhänger haben ja durchaus auch ein Interesse, dass diese Faktenchecks nicht mehr stattfinden, weil sie eben sehr viel nicht geprüfte Informationen über sozialen Plattformen kommunizieren. Und das ist natürlich lästig, wenn bei jedem dritten Posting vom neuen Präsidenten dann eine Faktencheck Einrichtung darunterschreibt, dass diese Aussage so nicht durch Fakten gedeckt ist oder in der Realität sich nicht nachweisen lässt. Also ich würde da schon ein massives politisches Interesse dahinter sehen, dem Zuckerberg nachgibt. Andererseits muss man auch sagen, dass er noch nie ein großer Verfechter von moralischen Regulativen war. Er hat seine Plattformen eigentlich immer als Markt der Ideen verstanden. Von dem her gehen die politische Stoßrichtung des neuen Präsidenten und die Ausrichtung des Konzerns schon in gewisser Weise Hand in Hand.
Wenn jeder auf Facebook, Instagram oder X (ehemals Twitter) sich seine eigene und unwidersprochene Wirklichkeit bauen kann, wie verändert das dann den gesellschaftlichen Diskurs bei schwierigen oder kritischen Themen?
Das wird mit Sicherheit die Polarisierung weiter vorantreiben. Und auch das Problem der Hassrede. Das ist ein zweiter Aspekt, der massiv betroffen ist von den Neuerungen. Es sollen ja nicht nur die Faktenchecks abgeschafft werden, sondern auch weniger Kontrollen von aggressiven Äußerungen zu bestimmten Themen wie Migration oder Gender erfolgen. Aber vielleicht noch zurück zu dem Szenario: Jeder hat seine eigene Wahrheit, jeder hat seine eigene Realität. Das ist eine Beobachtung, die wir in den sozialen Medien schon seit längerer Zeit machen. In der Wissenschaft gibt es die Konzepte der Filterbubble. Das heißt, wenn ich viele Videos von Katzenfreunden anschaue, dann bekomme ich immer mehr Videos von Katzenfreunden und irgendwann habe ich den Eindruck, die ganze Welt besteht nur aus Katzenfreunden. Aber was ich fast noch schwieriger oder problematischer finde als das Phänomen, ist, dass jeder in seiner eigenen Welt lebt, in seiner eigenen Realität ist und dass es für durchschnittliche Nutzer und Nutzerinnen, die nicht permanent einen großen Aufwand betreiben wollen, selber Faktenchecks zu betreiben, einfach sehr, sehr schwierig wird, Informationen einzuordnen.
„Man muss leider sagen, dass immer mehr Verantwortung beim einzelnen Nutzer liegt“
Was bedeutet das genau?
Selbst wenn ich bereit bin, mich mit anderen Meinungen zu konfrontieren, selbst wenn ich aus meiner Bubble irgendwie herauskommen will, dann wird es sehr schwierig, weil ich dann im Grunde persönlich das tun und nachholen muss, was der Konzern nicht mehr tut. Also genau der Faktencheck, der jetzt stattgefunden hat durch die Plattform. Den müsste jetzt im Grunde jeder einzelne Nutzer und jede einzelne Nutzerin selbst machen. Man muss hier zur Korrektheit relativieren, dass Meta eine Art Faktencheck durch die Community plant, so wie schon auf X. Nutzer sollen selber korrigieren und sich einigen, welches Narrativ angemessen ist. Sie können sich vielleicht unschwer vorstellen, das ist relativ schwierig. De facto funktioniert es auch sehr schlecht, deshalb bin ich da eher skeptisch. Man muss leider sagen, dass immer mehr Verantwortung beim einzelnen Nutzer liegt. Was meines Erachtens schon die Gefahr mit sich bringt, dass das Publikum systematisch überfordert wird.
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Und was können die normalen Menschen tun, damit sie in Zukunft richtig von falsch in der digitalen Welt unterscheiden können?
Es ist nach wie vor wichtig, sich über Qualitätsmedien und Qualitätsjournalismus zu informieren. Man sollte die zentralen Informationen, die man braucht, um seine Pflichten als Bürger in einer Demokratie wahrzunehmen, grundsätzlich nicht über Social Media konsumieren. Man sollte Qualitätsmedien und auch ihre Social-Media-Kanäle nutzen, um sicher zu sein, dass die Inhalte sauber recherchiert sind. Das heißt nicht, dass die Inhalte immer fehlerfrei sind. Fehler können überall passieren, aber da kann ich mir sicher sein, dass es eine solide Recherche gibt und dass es im Fall von Fehlern auch eine Korrektur geben wird. Social Media würde ich begreifen als das, was es ist, nämlich ein Zusammenkommen von Perspektiven, von sehr individuellen Zugängen. Wir bekommen als Konsument einen guten Eindruck von einer Debatte. Wie emotional wird eine Debatte geführt? Was für Positionen sind hier verbreitet? Aber eben keine zuverlässigen Informationen.
Was ist die Konsequenz, wenn Hassrede weniger reguliert wird?
Wir werden sehen, wie sehr das tatsächlich zunimmt und wie man sich selber schützen kann. Wenn mich die Plattform nicht mehr schützt, dann werden immer mehr Menschen diese Plattformen verlassen. Vor allem diejenigen, die klassischerweise in die Opferrolle kommen. Das sind sehr oft Frauen, die sich zum Beispiel im Klimaschutz engagieren, aber auch im Genderdiskurs und bei Migrationsdebatten. Menschen, die ihre Stimme zugunsten von anderen Menschen erheben, die in einer benachteiligten Position sind, die werden besonders Opfer von Cyber Hate. Und wenn hier keine Regulierung mehr erfolgt, dann kann man diesen Menschen nur noch empfehlen, die Plattformen zu verlassen. Was ich medienethisch - also auf der größeren systemischen Ebene - für sehr problematisch erachte. Denn wenn alle Menschen, die sich positiv für etwas engagieren und einsetzen, einen Ort verlassen und im Grunde diesen Ort den Hatern, den aggressiven, lauten Stimmen überlassen, dann ist unschwer zu erkennen, dass sich dieser Ort nicht zum Besseren, sondern zum Schlechteren entwickeln wird.
Sie haben gesagt, dass Community-basierte Regulation nicht so gut funktioniert. Was bräuchte es, damit dieser Ansatz, den Marc Zuckerberg und auch Elon Musk verfolgen, funktioniert?
Vorausschicken möchte ich, dass ich grundsätzlich die Idee einer Community-basierten Regulation für gut erachte, weil sie eben die Nutzer in die Eigenverantwortung bringt. Ein Grundproblem, das ich bei solchen Ideen sehe – und das ist entscheidend – , ist die Intention dahinter. Will ich wirklich eine qualitativ bessere Regulierung oder bin ich gerade dabei, den politischen Willen meines künftigen Präsidenten zu bedienen? Will ich einfach nur Geld sparen? Wenn man nicht wirklich ein Problem qualitativ anspruchsvoll und effektiv angehen will, und das nur die vorgeschobene Intention ist und ich in Wahrheit eben ganz andere pragmatische politische Intentionen verfolge, dann gelingen die Lösungen in der Regel von vornherein nicht besonders gut.
Kann Community-Kontrolle überhaupt funktionieren?
Es bräuchte klare Regeln, woran sich diese Community halten soll. Einfach nur denjenigen nachzugeben, die oft genug eine bestimmte Meinung äußern, die mit Fakeaccounts arbeiten und laut genug schreien, wird natürlich nicht zu einer qualitativ anspruchsvollen Regulierung führen. Wikipedia beispielsweise realisiert das ja schon. Jeder kann Autor werden. Aber wenn Sie an einem Beitrag mitschreiben wollen, dann müssen Sie immer die Quellen liefern. So was wäre beispielsweise eine sinnvolle Herangehensweise.
„Es geht darum, Verantwortungsgefühl und die digitale Zivilcourage bei Menschen zu wecken.“
Wie kann das klassische journalistische Ideal der Objektivität in einer Social Media Welt ohne Faktenchecks dann überhaupt noch aufrechterhalten werden?
Die Frage ist, ob die klassischen Ideale der Objektivität oder auch Wahrheit überhaupt aufrechtzuerhalten sind. Da bin ich mir nicht so sicher. Es ist vielleicht aber auch gar nicht unbedingt nötig. Aber wir könnten eventuell auch Ideale oder Werte einführen, die weniger anspruchsvoll sind, die dafür aber mit großer Entschlossenheit eingefordert werden können. Ein Ersatz für die Objektivität könnte meines Erachtens die Transparenz sein. Wird beispielsweise im Sinne von Qualitätsjournalismus „Realität“ berichtet, also möglichst objektiv? Oder geht es jetzt gerade darum, persönliche Meinungen und Perspektiven kundzutun? Meinungen sind auch wertvoll. Es ist nur eben etwas anderes. Wir erleben hier eine Verunsicherung in unserem Verhalten. Das Phänomen zeigst sich, wenn massive Medienumbrüche stattfinden. Dann reagieren Menschen mit Verhaltensunsicherheiten. Und zeigt sich jetzt. Wir wissen nicht genau, wie gehen wir mit dem alten Ideal der Objektivität oder Wahrheit um? Wie können wir vielleicht neue, effektivere Ideale oder Werte etablieren? Dieser Prozess der Vergewisserung wird eine Zeit dauern. Das ist an und für sich nicht dramatisch. Aber was problematisch ist, ist, dass die Akteure, die diesen Prozess maßgeblich leiten, nicht Betroffene oder Menschen mit einem hohen moralischen Anspruch sind, sondern privatwirtschaftlich und politisch agierende Personen oder Unternehmen, die ausschließlich ihre Eigeninteressen verfolgen. In diesen Prozess, in dem wir neue Lösungen und neue Regulative erarbeiten, müssen möglichst viele Stimmen aus der Zivilgesellschaft teilnehmen.
Haltung und Objektivität im Journalismus
Ein Gespräch von Prof. Claudia Paganini und Chefredakteur Markus Knall über Haltung und Objektivität im Journalismus für das Magazin XPLR.Media finden Sie hier.
Welche Institutionen wären dann gut geeignet, wenn es privatwirtschaftliche Unternehmen nicht sind?
Ich könnte mir vorstellen, dass NGOs eine wichtige Rolle spielen könnten, aber natürlich vor allem der oder die einzelnen Nutzer. Das bedeutet aber auch, dass man die Menschen aus ihrer medialen Unmündigkeit irgendwo herausholen muss und ihnen bewusst machen muss, dass diese digitalen Welten reale Welten sind und dass es nicht gleichgültig ist, wie die gestaltet werden. Es geht in erster Linie darum, das Verantwortungsgefühl und die digitale Zivilcourage bei Menschen zu wecken.
Wie kann das geschehen?
Dass ist tatsächlich ziemlich schwierig. Und zwar umso mehr, weil wir uns in einer Situation von multiplen Krisen befinden. Und das resultiert in der Regel darin, dass Menschen sich dann eher zurückziehen ins Private, weniger politisch werden, sich weniger beteiligen und noch eher berieseln lassen, als aktiv Stellung zu nehmen. Deshalb erachte ich die Veränderungen, die vorgesehen sind, dass die Nutzerinnen selber diese Faktenchecks übernehmen sollen, grundsätzlich für eine gute Idee. Also Menschen mehr Verantwortung zu geben. Überall da, wo ich sowieso nichts verändern kann, bin ich natürlich auch besonders wenig motiviert, mich einzubringen. Das Problem ist, dass es schwerfällt, einem Konzern Glauben zu schenken, der sich bis jetzt wenig darum gekümmert hat, die Welt besser zu machen. Zum anderen ziehen sich sehr viele Menschen, die anspruchsvolle Ideale haben, bewusst von diesen Plattformen zurück. Ich würde diesen Menschen sagen, Bitte ziehen Sie sich nicht zurück. Wenn auf den Plattformen nur noch die sind, die am aggressivsten und lautesten ihre Meinung darbieten, dann wird eine Veränderung zum Guten auf gar keinen Fall gelingen.
Wie verändert sich die Rolle von Medien?
Früher hatten wir auch schon Meinung im Journalismus, aber in klar abgegrenzten Genres. Das funktioniert jetzt nicht mehr, weil sich die Genregrenzen auflösen. Aber ich denke, dass man innerhalb von einzelnen Beiträgen diese Grenzen klarer machen könnte. Zum Beispiel mit Faktenboxen: Das sind die Fakten zu dem Ereignis, was wir wissen, was wir geprüft haben. Und jetzt kommt meine Einordnung. Wenn man innerhalb einzelner Beiträge noch mal betont, was Fakten sind und was Meinung ist, dann würde das dem Publikum helfen. Dann kann zum Beispiel jemand, der aus der rechten Bubble kommt, einen Beitrag von einem Journalisten aus der linken Bubble für wertvoll empfinden, weil ich mich auf die Faktenbox verlassen kann. Da kann ich mich dann dazu dementsprechend verhalten und sagen, na gut, das ist die Einschätzung von einem eher links oder eher rechts orientierten Journalisten.