In der Wehrpflicht-Debatte wird ein großes Dilemma der Deutschen deutlich

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat eine neue Dynamik in die Debatte um die Reaktivierung der Wehrpflicht gebracht. So hat er sich letzte Woche nicht nur für mehr Aufrüstung, sondern auch für ein Verfahren der Bürgerbeteiligung zur Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht, ausgesprochen. 

Auf scharfen Gegenwind stieß dieser Vorstoß bei Philipp Türmer, dem Juso-Bundesvorsitzenden. Er lehnt zudem die Pläne von Verteidigungsminister Pistorius für ein neues Wehrdienstgesetz ab. Dieses sieht beispielsweise eine Pflichterfassung aller 18‑Jährigen Männer in Deutschland vor, die einen digitalen Fragebogen zur Wehrfähigkeit ausfüllen müssen.

Umfrage zeigt gespaltene Meinungen zur Dienstpflicht

Die aktuelle Diskussion fällt nicht aus heiterem Himmel. Tatsächlich zeigt eine neue Umfrage des Politikpanel Deutschland (PPD) vom Juli 2025, wie umkämpft das Thema in der Bevölkerung ist. Gefragt wurde u.a. nach der Einstellung zu einer allgemeinen Dienstpflicht für alle jungen Menschen. 

Das bemerkenswerte Ergebnis, der Befragung die im Zeitraum vom 4. bis 13. Juli 2025 durchgeführt wurde und an der insgesamt 7362 Personen teilgenommen haben: Die jüngste Alterskohorte lehnt einen Pflichtdienst am deutlichsten ab – sie ist als einzige Altersgruppe mehrheitlich negativ eingestellt.

Zwischen Sicherheitsbedürfnis und Dienstpflicht – ein Dilemma

Diese Befunde spiegeln ein Dilemma wider: Auf der einen Seite erleben die Deutschen – ob alt oder jung – eine deutlich verschärfte Weltlage, in der Kriege näher an Europa heranrücken und alte Gewissheiten schwinden.

Sicherheitspolitik ist wieder zum Alltagsthema geworden, die Bundeswehr im In- und Ausland im Einsatz. Die Bereitschaft, das Land zu verteidigen, ist dagegen gespalten.

Auf der anderen Seite steht speziell die deutsche Jugend einer Dienstpflicht für alle äußerst zurückhaltend gegenüber. Dieses Spannungsfeld erklärt die leidenschaftliche Kontroverse, die Kretschmann, Pistorius & Co. nun befeuert haben.

Uwe Wagschal, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Freiburg. Er erforscht Direkte Demokratie, Wahlen und öffentliche Finanzen und lehrte an renommierten Institutionen weltweit. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.

Zustimmung zur Dienstpflicht nimmt ab

Im Politikpanel wurden bereits dreimal die Teilnehmer zur Dienstpflicht befragt (Juli 2025, Februar 2025 und Juli 2022). Aktuell ist die Zustimmung zur Dienstpflicht gegen die vorherigen Umfragen nochmals geschrumpft. Um eine solche Dienstpflicht für alle einzuführen, müsste im Übrigen das Grundgesetz geändert werden, da Art. 12a bislang eine Wehrpflicht nur für Männer vorsieht. Die Wehrpflicht wurde 2011 unter dem damaligen CSU-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ausgesetzt. 

Insgesamt gehen die Zustimmungswerte, im Vergleich zu früheren Umfragen, besonders in den beiden jüngsten Alterskohorten deutlich zurück. Es sieht so aus, als würden die Bedenken bei den potenziell Betroffenen zunehmen, je konkreter die Planungen von Verteidigungsminister Pistorius für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht werden.

Die Einstellungen zu einer allgemeinen Dienstpflicht unterscheiden sich deutlich zwischen den Altersgruppen. Die jüngste Kohorte steht der Dienstpflicht am negativsten gegenüber. Ältere Jahrgänge stehen einer Dienstpflicht hingegen deutlich offener gegenüber. Bei den über 60-Jährigen lehnen nur 20,3 Prozent eine Dienstpflicht ab, während 69,9 Prozent diese befürworten. Mit anderen Worten: Hier tut sich ein echter Generationengraben auf. 

Das passt zum Zitat des US-Präsidenten Herbert Hoover, der in den 1930er Jahren schon gesagt hatte: „Ältere Männer erklären den Krieg. Aber es ist die Jugend, die kämpfen und sterben muss.“

Alters- und Geschlechterunterschiede in der Ablehnung

Im Hinblick auf das Geschlecht ist die Ablehnungsquote einer Dienstpflicht von Männern (36,8 Prozent) und Frauen (37,4 Prozent) insgesamt wenig unterschiedlich. Aber auch hier zeigt sich eine Altersdifferenz: Junge Männer der Gruppe der 18- bis 30-Jährigen lehnen eine Dienstpflicht (56 Prozent) noch stärker ab als junge Frauen (50,9 Prozent).

Warum die Ablehnung bei Jüngeren wächst

Über die Gründe für diese Kluft kann man spekulieren. Einerseits fühlen sich Ältere oft weniger persönlich betroffen – sie müssten im Fall der Fälle nicht mehr antreten. Jüngere hingegen sehen ihre Lebenspläne tangiert und reagieren allergisch auf Zwangsdienste.

Andererseits erleben gerade jüngere Menschen seit Jahren ein erhöhtes Unsicherheitsgefühl durch Krisen (Pandemie, Krieg, Klimanotstand) und sehnen sich nicht noch zusätzlich nach Kasernentor, Gewehr oder anderen Diensten. Dass die Jugend heute kritischer auf Militärisches blickt, bestätigt auch der PPD-Blick auf andere sicherheitspolitische Fragen, wie etwa die Bewertung von Kriegen und Konflikten.

Deutsche lehnen militärische Konflikte mehrheitlich ab

Wie sehen die Deutschen generell aktuelle militärische Konflikte? Eine aktuell höchst relevante Frage, denn die Zahl der gewaltsamen Konflikte befindet sich auf einen Höchststand seit 1945. So wurden die Bürger im Politikpanel Deutschland zu derzeitigen militärische Konflikte und deren Rechtfertigung hin bewertet.

Ergebnis: Nur rund 8 % der Deutschen halten Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine für zumindest teilweise gerechtfertigt – in Ostdeutschland etwas über 10 %, im Westen gut 7 %. Damit verurteilen über 90 % diesen Krieg als Unrecht.

Auch andere Konflikte stoßen mehrheitlich auf Skepsis: Die Interventionen Israels im Gaza-Streifen findet gerade noch bei rund 40 % der Bevölkerung Rückhalt, was unter allen Konflikten der höchste Wert wäre. Wenig gerechtfertigt empfinden die Befragten den Angriff des Iran auf Israel und einen amerikanischen Militärschlag gegen Iran: Hier sagen nur knapp 30 %, dass solche Einsätze eher oder vollkommen gerechtfertigt wären.

Ost und West urteilen ähnlich – Unterschiede bei Alter und Geschlecht

Interessanterweise ziehen sich diese Urteile weitgehend über alle Landesteile ähnlich: Zwischen Ost- und Westdeutschen zeigen sich die Bewertungen bei den meisten Konflikten kaum verschieden – lediglich beim Ukraine-Krieg ist der relative Ost-West-Abstand etwas größer.

Dafür klaffen die Meinungen zwischen Männern und Frauen deutlich auseinander: Männer finden militärische Gewalt – speziell, wenn sie von Verbündeten wie Israel oder den USA ausgeht – weit häufiger gerechtfertigt als Frauen.

Auch ein Altersunterschied zeigt sich: Bei vier von fünf Konflikten waren die jüngeren Befragten deutlich strenger in ihrem Urteil und hielten die Militäreinsätze seltener für gerechtfertigt als Ältere. Nur im Falle des iranischen Angriffs auf Israel waren ältere Personen zurückhaltender. Insgesamt untermauert dies, dass die junge Generation skeptischer gegenüber militärischen Lösungen ist als die Eltern- und Großelterngeneration.