Den eigentlichen Grund für seinen Niedergang verschweigt Mercedes
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Das Stabilste bei Mercedes sind die Nerven der Aufsichtsräte: Sie lassen CEO Ola Källenius gewähren, obwohl er Quartal für Quartal enorme Lieferschwierigkeiten hat.
Luxus im Blindflug: Wie Källenius Mercedes in die Sackgasse steuert
In allen zentralen Kategorien der Firma – Umsatz, Ertrag, Umsatzrendite und Rückrufquote – läuft das Unternehmen untertourig, wie die gestrigen Quartalszahlen einmal mehr belegen:
· Die bereinigte Umsatzrendite hat sich im zweiten Quartal des Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf 5,1 Prozenthalbiert.
· Für das Gesamtjahr rechnet man mit einer Umsatzrendite von vier bis sechs Prozent. 2022 lag sie noch bei knapp 15 Prozent.
· Beim Nettogewinn verzeichnete man im zweiten Quartal 2025 im Vergleich zum Vorjahresquartal ein Minus von knapp 70 Prozent.
· Der Umsatz sank im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahr auf 66,4 Milliarden Euro (minus 8,5 Prozent).
Strategie am Limit: Warum der Kurs in die falsche Richtung führt
Als Gründe nennen Källenius und sein Finanzchef Harald Wilhelm die Zollproblematik, das China-Geschäft und „das schwierige Marktumfeld“. Aber den eigentlichen Grund traut sich keiner auszusprechen: Die Luxusstrategie von Deutschlands einstigem Vorzeigeunternehmen funktioniert nicht.
Nach dem Scheitern von Edzard Reuters „integriertem Technologiekonzern“ (der von der Waschmaschine bis zum Flugzeug alles produzieren sollte) und Jürgen Schrempps Welt AG (wo durch den Zusammenschluss von Daimler, Chrysler und Mitsubishi ein nicht lebensfähiger Global Player entstand) ist zum dritten Mal eine Stuttgarter Strategie zu besichtigen, die im Himmel erdacht wurde, um auf Erden zu scheitern.
Källenius wollte aus Mercedes einen reinrassigen Elektroauto- und Luxuskonzern machen: „Electric Only“, hieß die offizielle Parole. Der sympathische Vorstandschef wollte als europäischer Elon Musk in die Geschichte eingehen.
Daraus wird nichts mehr. Auch wenn Källenius gestern erneut Durchhalteparolen ausgab („Die beste Antwort in diesen Zeiten lautet: Kurs halten.“), kann man heute nur nüchtern feststellen: Die Strategie funktioniert aus vier handfesten Gründen nicht:
#1 Elektroautos von Mercedes sind in den USA ohne Subvention unverkäuflich
Die unschöne Nachricht für die Mercedes-Händler ist erst wenige Tage alt: Der Konzern pausiert ab September die Produktion seiner elektrischen Flaggschiffe EQE und EQS für den US-Markt und stoppt die Annahme neuer Bestellungen.
Zur Erinnerung: Die Elektro-Oberklasse war als Angriff auf Teslas Flaggschiff Model S konzipiert. Der Grund für den Rückzug: Die US-Regierung hat die Steuererleichterung über 7.500 US-Dollar für Elektroautos im Zuge der „Big Beautiful Bill“ gestrichen. Ohne Subventionierung verkauft sich das, was schon vorher nicht gut lief, kaum noch, vermutet man im Vorstand.
Ein Mercedes-Manager sagte meiner Kollegin Claudia Scholz vom Pioneer-Wirtschaftsressort: "Das Auto ist eine totale Enttäuschung. “
Die Enttäuschung mit der elektrischen S-Klasse wiegt auch deshalb schwer, weil Ola Källenius als Entwicklungsvorstand dieses Fahrzeug zu verantworten hatte.
#2 „Electric Only“ war eine Kopfgeburt
Weltweit sind derzeit knapp 1,5 Milliarden Autos unterwegs, davon nur unter fünf Prozent Elektroautos. Auch unter den Neufahrzeugen eines Jahres bestreitet das Elektrosegment lediglich knapp 20 Prozent.
Als sich das Absatzziel von 100 Prozent E-Autos bis 2030 als unrealistisch herausstellte, schwenkte Mercedes um. Jetzt sollen es nur noch 50 Prozent sein. Doch auch diese Zahl ist aus der Luft gegriffen.
Im ersten Halbjahr hat Mercedes im Vergleich zum Vorjahr knapp 19 Prozent weniger reine E-Autos verkauft. Vom gesamten Mercedes-Sortiment liegt die Quote derzeit bei 8,4 Prozent und damit deutlich unter der Quote anderer deutscher Autobauer: Porsche (23,4 Prozent), BMW (18,3 Prozent) und Audi (12,9 Prozent). Das E-Auto hat es schwer und das E-Auto von Mercedesextra schwer.
#3 Lieber Marge statt Masse: ein Jahrhundertirrtum
Die von Källenius 2022 an der Côte d’Azur vorgestellten Margenversprechen der Luxusstrategie („The Economics of Desire“, 14 Prozent Ebit-Marge) erfüllen sich nicht. Der Kunde ist keineswegs bereit, für vermeintliche Luxusautos (die es auch bei Audi, BMW, Tesla, Lexus, Porsche, Jaguar, Bugatti, Maserati und Cadillac gibt) jeden Preis zu zahlen.
Im Gesamtjahr 2024 schrumpfte bei Mercedes die Umsatzrendite – der Lieblingswert der Investoren – auf 8,1 Prozent, nach 12,6 Prozent im Vorjahr. Im ersten Halbjahr 2025 lag die um Sondereffekte bereinigte Marge nur noch bei 6,2 Prozent, und ganz offiziell hat man jetzt mit der Begründung der US-Zölle das Renditeziel für das Gesamtjahr 2025 auf vier bis sechs Prozent nach unten gepegelt.
Ein Grund ist, dass sich durch den Verzicht auf die Volumenfahrzeuge – Mercedes will die A- und B-Klasse aus dem Programm streichen – die Auslastung der Werke und die Economies of Scale einer Massenproduktion verschlechtern.
Zunehmend stoßen die hohen Preise auf Akzeptanzprobleme. Union-Investment-Fondsmanager Moritz Kronenberger weiß, warum: "Der Strategieschwenk in Richtung Luxus erfolgte während der Halbleiterkrise, als Mercedes eine außergewöhnlich hohe Preissetzungsmacht hatte. Die Erwartung, diese Preise auch im E-Zeitalter durchsetzen zu können, hat sich nicht erfüllt.“
#4 Das Werbeversprechen wird nicht eingelöst
Wer Luxus verspricht, muss auch Luxus liefern. Der Mercedes-Werbespruch („Das Beste oder gar nicht“) läuft ins Leere, wenn die Ladeleistung den Kunden nicht begeistert. 62 Prozent der E-Mercedes-Fahrer wünschen sich, dass ihr Auto schneller laden kann. Als technisches Vorbild gilt Porsche – dank 800-Volt-Bordnetz laden Modelle wie der Taycan besonders zügig.
Auch bei den Rückrufen zeigt sich, dass die Qualitätsprobleme keine Ansichtssache sind. Im Jahr 2024 musste Mercedes in Deutschland 43 Rückrufe durchführen – mehr als jeder andere Hersteller. Auf europäischer Ebene war Mercedes vergangenes Jahr mit 24 Rückrufen zum sechsten Mal in Folge die Nummer eins bei Rückrufen.
Das Ergebnis: 14 Prozent weniger Top-Modelle von Mercedes wurden im vergangenen Jahr verkauft. Im zweiten Quartal dieses Jahres sanken die Verkaufszahlen der S-Klasse im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 24 Prozent.

Fazit: Mercedes muss und wird umsteuern. Es ist nicht mehr die Frage nach dem Warum und Weshalb. Es ist nur noch die Frage des Wann. Der Aufsichtsrat ist hier gefordert. Oder um es mit Albert Einstein zu sagen: "Wer A sagt, muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war. “