Wie ein Wärme-Pionier sein Ahr-Dorf in eine grüne Zukunft führt
Rolf Schmitt (64) ist ein Pionier der Nahwärme im Ahrtal. Die Flutnacht 2021 verbrachte er mit seiner Frau Ingrid auf dem Speicher ihres Miethauses in Marienthal, während das Wasser knapp unter dem Dach stand. Am Morgen danach war von dem 100-Einwohner-Ort kaum noch etwas übrig. Die Straßen nach Bad Neuenahr und Dernau waren weggebrochen, und fünf Dorfbewohner hatten ihr Leben verloren.
Rolf Schmitt, damals Bundespolizist, schlug vor, die Garage als Treffpunkt und Anlaufstelle für die Bewohner einzurichten. Bei einer ersten Besprechung sagte er: „Wir können uns jetzt in die Ecke setzen und jammern – oder die Katastrophe als Chance nutzen.“ Die Folge: Marienthal wurde die erste Gemeinde im Ahrtal mit einem Nahwärmenetz. Solarthermie und Holzpellet-Kessel versorgen 30 Haushalte – Öl und Gas sind Geschichte. Auf dem Dorfplatz entsteht eine neue Mitte, mit der sich Marienthal für den rheinland-pfälzischen Innenstädtepreis bewirbt. Rolf Schmitt erzählt FOCUS online Earth, was ihn heute noch antreibt.
Die Verwaltungen sind rettungslos überlastet
"Im Grunde genommen kämpfe ich seit der Flut darum, die Ziele, die wir uns damals mit unserem Programm „Unser Dorf soll schöner werden“ gesteckt haben, umsetzen. CO2-Einsparung, klimaneutrales Heizen, Mehrgenerationenplatz sind unsere Prämissen, mit denen wir Marienthal auch attraktiv für junge Familien machen wollen.
Ich kämpfe dafür, weil ich die Dinge, die wir begonnen haben, zu Ende führen will. Dazu gehören auch eine eigene Bahnhaltestelle und eine neue Abwasserversorgung. Und als letzte Maßnahme den Neubau unserer Straßen und Wege. Ich gehe davon aus, dass wir dazu noch fünf Jahre brauchen werden. Ob dann tatsächlich alles fertig ist, wird die Zeit zeigen. Denn leider geraten wir immer mehr in die Mühlen der Verwaltung.
Mich nervt und ärgert die unglaubliche Bürokratie, die die Menschen im Ahrtal beim Wiederaufbau behindert. Das hat weniger damit zu tun, dass die Verwaltungsmitarbeiter ihre Arbeit nicht machen, im Gegenteil: Die Verwaltung ist rettungslos überlastet. Unsere Verbandsgemeinde Altenahr hatte vor der Flut drei bis vier Projekte, die sie pro Jahr umsetzen musste. Jetzt sind es mindestens 100. Das ist mit dem Personal nicht zu schaffen. Es müssten zig Leute eingestellt werden, tatsächlich sind nur einige wenige hinzugekommen. Das liegt auch am Gehalt. Wer geht für eine EG 7 oder EG 8 in die Verwaltung und übernimmt Verantwortung für eine solche Mammutaufgabe wie den Wiederaufbau im Ahrtal, für den man 24 Stunden am Tag an sieben Tagen in der Woche arbeiten könnte? Ganz klar: Es müsste mehr Geld geben, nur dann kommt gutes Personal.
"Wo bleibt die klimaneutrale Mobilität?"
Auf einem guten Weg sind wir beim Wiederaufbau der Bahn. Allerdings mit Einschränkungen, da viele Versprechungen revidiert und zurückgenommen worden sind: Entgegen den Versprechungen in all den Jahren wird die Bahn nur teilweise elektrifiziert. Der zugesagte 20-Minuten-Takt wird erstmal nicht kommen, es soll nur zwei statt drei Verbindungen pro Stunde geben. Eine Direktverbindung zum Rheinland und zum Ruhrgebiet ist fraglich.
Das ist natürlich ein riesiger Nachteil für unseren Tourismus, auf schnelle Bahnverbindungen in das Umland hatten wir sehr gehofft. Hinzu kommt, dass die Dieselloks noch bis 2033 fahren sollen. Wo bleibt da die klimaneutrale Mobilität? Man hat unglaublich viel Geld für die Elektrifizierung ausgegeben, jetzt fahren die Dieselloks weiter. Wo liegt da der Sinn?
"Die Flutkatastrophe hat uns im Ahrtal näher zusammengebracht"
Meine Gedanken und Gefühle zum 14. Juli? Das ist schwer. Ich denke an eine Katastrophe, die für mich bis zu diesem Tag nicht vorstellbar war. Wenn der Landrat seinen Job gemacht hätte, wenn der Katastrophenschutz besser aufgestellt gewesen wäre, hätten sicher viele der 135 Todesopfer überlebt. Das ist das Tragischste. Meine Gedanken gehen auch dahin, dass wir das Ahrtal zu einer der schönsten Destinationen in Deutschland machen. Ich bin überzeugt davon, dass wir das schaffen.
Die Flutkatastrophe hat uns im Ahrtal näher zusammengebracht. Wir haben gelernt, wie innerhalb einer Nacht ein unglaublicher Zusammenhalt zwischen den Menschen entstehen kann. Ein Freund von mir hat gesagt: „Mit der Flut kamen Anstand und Sitte zurück.“ Wir haben uns monatelang gegenseitig in einer Art und Weise unterstützt, wie ich das nie vorher in meinem Leben kennengelernt habe.
Es sind tausende kleine Momente, die mir einfallen, es ist schwer, einen besonders herauszuheben. Jeden Morgen hatten wir einen freiwilligen Frühstücksdienst für die Dorfbewohner und Helfer, obwohl jeder genug mit sich selbst zu tun hatte. Es war eine großartige Gemeinschaft.
Wir haben uns ein Jahr lang jeden Tag um 19 Uhr auf dem Dorfplatz getroffen. Polizei, Feuerwehr, THW, Rettungsdienste und Bürgerinnen und Bürger sprachen über die aktuelle Lage und was als nächstes zu tun ist. Wann wird welche Straße abgesperrt? Wer braucht eine Waschmaschine? Jeder konnte sich einbringen, alles wurde öffentlich kommuniziert.
Im Grunde genommen war es jeden Tag eine Lagebesprechung, bei der ich meine Erfahrung aus meinem Beruf einsetzen konnte: Wir haben das gleiche getan, was wir bei der Polizei bei einer Großen Lage gemacht haben: Sachstand berichten, Handlungsbedarf klären, Aufgaben verteilen. Es war eine wahnsinnig intensive Zeit, sowohl emotional als auch von der Arbeit her. 16 Stunden Arbeit war normal pro Tag, und das alles unter der Bedingung, dass meine Frau und ich 18 Monate lang in einem Wohncontainer lebten."
Protokolliert von Frank Gerstenberg