Bei Treffen in Berlin - Als Gastronomen die Flüchtlinge ansprechen, wird der Politik ein Fehler klar

„Was gerade in Deutschland passiert, macht mich unendlich traurig“, sagt Kemal Üres, Gastronomieunternehmer und Influencer. Die Lage in der Gastronomie mache ihn „depressiv“. Wenn die Politik nicht umgehend handelt, könnten bis Jahresende mindestens 30 Prozent der Gastronomiebetriebe in Deutschland schließen. 

Der Hamburger berichtet von belebten Straßen seiner Heimatstadt, die inzwischen von Leerstand geprägt sind. „Das ist nicht nur in Hamburg so, sondern auch in Städten wie Aachen und vielen anderen Orten.“ Üres betreibt eine Tapas-Bar in Hamburg, die monatlich über 6000 Gäste begrüßt. Zeitgleich reist er als Gastroflüsterer für seine Anhänger in den sozialen Netzwerken durch Deutschland, dreht gleichzeitig auch für TV-Formate. Obwohl das Geschäft läuft, ist es längst nicht mehr so erfolgreich wie früher.

Ähnlich schildert Arne Anker, Betreiber des Fine-Dining-Restaurants „Brikz“, die angespannte Lage. Sein Restaurant bietet Platz für 30 Gäste, unterstützt von einem Team aus fünf Mitarbeitern. 

Doch die Bilanz ist ernüchternd: Im Vergleich zu 2021 verzeichnet Anker monatlich etwa 70 Gäste weniger. Das entspricht einem Umsatzverlust von rund 10.000 Euro pro Monat, bei einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Verzehr von 140 Euro. Ein wesentlicher Grund dafür? Die Mehrwertsteuer wurde am 1. Januar 2024 von 7 auf 19 Prozent angehoben.

Für viele Gastronomen, so auch Anker, stellte diese Steueranpassung eine enorme Herausforderung dar. Das wurde auch in der Gesprächsrunde deutlich, zu der die Initiative „Vereint für die Gastro“ in Berlin eingeladen hatte. Zwar hätten sie die Mehrkosten an ihre Gäste weitergeben müssen, doch die Entscheidung wurde durch weitere Belastungen erschwert: Die Preise für Lebensmittel, Energie und Personal stiegen zeitgleich deutlich an. 

Die Folge? Gastronomen mussten einen schwierigen Kompromiss eingehen - entweder die Preise drastisch anheben und damit riskieren, noch mehr Gäste zu verlieren, oder die Erhöhungen moderat gestalten, was jedoch die ohnehin knappen Margen zusätzlich belastet.

Durch Mehrwertsteuer fehlen mir 4800 Euro pro Monat

„Uns geht es gut“, sagt der Gastronom. Doch es gibt auch schwere finanzielle Situationen. Ein Beispiel: Im vergangenen November fiel die Kühlung aus, und die Reparaturkosten von 2900 Euro konnte er nicht sofort begleichen. Stattdessen musste er mit Partnern und Lieferanten verlängerte Zahlungsziele vereinbaren. Würde die Mehrwertsteuer auf 7 Prozent gesenkt, hätte Anker monatlich etwa 4800 Euro mehr in der Kasse. „Das Geld könnte ich direkt ins Restaurant investieren, etwa für Reparaturen oder Modernisierungen.“ Genau dieser Puffer sei durch die Anhebung der Mehrwertsteuer weggefallen.

Anja Karliczek (CDU/CSU), Christoph Ploß (CDU), Andreas Schwarz (SPD) und Wolfgang Kubicki (FDP) hören den Schilderungen aufmerksam zu. Während CDU und FDP sich für eine Rückkehr zur ermäßigten Mehrwertsteuer von sieben Prozent aussprechen, geht Andreas Schwarz von der SPD noch einen Schritt weiter: Er schlägt vor, die Mehrwertsteuer auf fünf Prozent zu senken – und das für alle Lebensmittel. Wie es nach der Bundestagswahl weitergeht, hängt jedoch maßgeblich von den künftigen Koalitionen ab, betont Schwarz.

„Hier sitzt ja schon die Deutschland-Koalition“, scherzt Kubicki. Schwarz und Kubicki räumen ein, dass die Erhöhung der Mehrwertsteuer ursprünglich nicht von der Ampel-Bundesregierung vorgesehen war. Über die Gründe, warum es dennoch dazu kam, äußerten sich beide zurückhaltend. Es sei „irgendwie verloren gegangen“, so Kubicki. 

Überstunden in der Gastronomie bald steuerfrei? 

Nicht nur die Mehrwertsteuersenkung ist den anwesenden Gastronomen und Unternehmern wichtig. Auch der Fachkräftemangel sei mittlerweile belastend. Die Politik sei gefordert Akzente einzubringen, damit die Gastronomie wieder lukrativ werde. 

„Die bisherigen Maßnahmen fühlen sich an, als würden wir lediglich einen Inflationsausgleich schaffen“, kritisiert Ilona Scholl, Gastronomin des Tulus Lotrek in Berlin. Der Beruf sei unattraktiv. Hier müsse die Politik Akzente schaffen. Die CDU will sich die Überstunden genauer ansehen. Diese sollen Beschäftigten dann steuerfrei zugutekommen. „Arbeit muss belohnt werden“, wirft Anja Karliczek. Vorsitzende der Arbeitsgruppe Tourismus von der CDU ein.

Arne Anker, Gastronom des Brikz in Berlin und Ilona Scholl vom Tulus Lotrek in Berlin (v.li.).
Arne Anker, Gastronom des Brikz in Berlin und Ilona Scholl vom Tulus Lotrek in Berlin (v.li.). Konstantinos Mitsis

Als es um Flüchtlinge geht, gibt die Politik einen Fehler zu 

Scholl verweist darauf, dass knapp 42 Prozent der Beschäftigten in der Gastronomie heute keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. „Wir müssen realistisch bleiben“, betont Scholl. „In Zukunft werden wir nicht mehr von Sörens oder Anne-Maries bedient.“ Um die Branche zukunftsfähig zu machen, sei die Förderung von Erwerbsmigration unverzichtbar.

Andere anwesende Gastronomen berichten von Flüchtlingen, die einen festen Job oder Ausbildungsplatz zugesagt bekommen haben, die Arbeit jedoch nicht antreten können. Der Grund: Restriktionen von Auslandsbehörden oder langwierige Abschiebeverfahren, die sich über Jahre hinziehen. Dies erschwere es den Betrieben zusätzlich, dringend benötigte Arbeitskräfte tatsächlich zu beschäftigen. Anja Karliczek. Vorsitzende der Arbeitsgruppe Tourismus von der CDU betont, dass ein „Umsteuerungsprozess“ in den Behörden stattfinden müsse. Behörden würden Probleme aufzählen und nicht „lösungsorientiert“ denken, schiebt Schwarz von der SPD nach. 

Kubicki stellt die Rechnung auf. Deutschland brauche für die Stärkung der Wirtschaft 400.000 Menschen, die nach Deutschland zuwandern. „Wir haben aber auch Abwanderung. 200.000 Menschen verlassen jedes Jahr das Land, weil sie sich hier nicht wohlfühlen.“ Die Probleme sind vielseitig. Deutschland sei für die benötigten Fachkräfte aus dem Ausland unattraktiv. Also müsse man nun sehen, wie man Asylbewerber in den Arbeitsmarkt integriere. Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) sehe in seiner heutigen Form eine Arbeitspflicht vom ersten Tag vor. Und dann zählt Kubicki einen Fehler auf.

„Wir haben bedauerlicherweise vergessen reinzuschreiben, dass diejenigen die entweder eine Ausbildung aufnehmen oder ein festes Arbeitsverhältnis aufweisen können, einen Aufenthaltsstatus erhalten.“ 

Wolfgang Kubicki weist zudem darauf hin, dass der Fachkräftemangel mittlerweile auch auf europäischer Ebene seine Grenzen erreicht habe. Er schildert ein persönliches Erlebnis aus dem vergangenen Weihnachtsurlaub im Skigebiet Sölden. „Dort arbeiten inzwischen immer mehr Ungarn“, so der FDP-Politiker. „Früher kamen die Hilfskräfte noch aus Deutschland. Das ist heute nicht mehr der Fall.“

Wie sieht die Zukunft der Gastronomie aus? FOCUS online war bei einem Fachtreffen aus Branche und Politik dabei.
Wie sieht die Zukunft der Gastronomie aus? FOCUS online war bei einem Fachtreffen aus Branche und Politik dabei. Konstantinos Mitsis / Burda Forward

„Habe Allergene-Karte, die niemand braucht“ 

„Knapp 89 Dokumentationspflichten muss ein Gastronomiebetrieb im Schnitt einhalten“, heißt es in der Einleitung zum Thema Bürokratie. Die Gastronomen reden Klartext. Sie berichten von unzähligen bürokratischen Vorgängen, die ihre Arbeit unnötig erschweren. Selbst Politiker können oft nur den Kopf schütteln über die Fülle an Vorschriften, die die Branche belastet.

Giuseppe Saitta, Betreiber des Piazza Saitta in Düsseldorf, erzählt von unzähligen Stunden, die er jede Woche aufwenden muss, um all diese Anforderungen zu erfüllen. „Ich habe eine Allergene-Karte für meine Speisekarte erstellen müssen und muss diese natürlich auch anpassen, wenn ich die Speisekarte ändere“, so Saitta.

Diese Allergene-Karte wurde noch nie von den Gästen gefordert“, erzählt er. Neben dem Restaurant betreibt der Italiener auch einen Delikatessenladen. Er vergleicht die Situation mit der italienischen Stadt Bologna: „In Bologna kann ich Schinken aufhängen oder Parmesan einfach auf den Tresen stellen, damit die Leute probieren können. In Düsseldorf geht das nicht.“