400.000 müssten kommen - Deutschland verliert Kampf um qualifizierte Zuwanderer – was dringend zu tun ist
1,73 Millionen offene Stellen gab es laut Bundesagentur für Arbeit Ende vergangenen Jahres in Deutschland. Für viele davon sind Fachqualifikationen erforderlich, die die meisten der rund 2,8 Millionen Arbeitslosen im Land nicht mitbringen. In Zukunft wird sich dieses Mismatch noch weiter öffnen, denn immer mehr Menschen der Babyboomer-Generation gehen in Rente und werden durch immer weniger Nachwuchs ersetzt. Was schon jetzt ein Problem ist, wird sich also noch verschärfen.
Eine der Lösungen wäre Zuwanderung. Die Wirtschaftsweisen, aber auch andere Institute, rechnen damit, dass eine Nettozuwanderung von 400.000 Personen pro Jahr erforderlich wäre, um dem Fachkräftemangel zu begegnen – neben inländischen Lösungen wie etwa einer Steigerung der Frauenerwerbstätigkeit. Doch die Zahlen passen nicht. Zwar kamen netto im vergangenen Jahr 663.000 Menschen nach Deutschland, doch die meisten davon waren Flüchtlinge aus der Ukraine (276.000), Syrien (102.000) und Afghanistan (49.000). Auch von den netto 126.000 Zugewanderten aus der Türkei seien viele Flüchtlinge, sagt das Statistische Bundesamt. Von außerhalb der EU wollte die Bundesregierung eigentlich pro Jahr 120.000 Menschen nach Deutschland locken, vergangenes Jahr kamen jedoch nur 72.000, dieses Jahr dürften es kaum mehr werden.
Einwanderungsgesetz hilft bisher kaum
Dabei hatte sich Deutschland erst im vergangenen Jahr ein neues Fachkräfte-Einwanderungsgesetz gegeben. Ausländische Abschlüsse sollen damit schneller anerkannt werden, Zuwanderer mit einem Abschluss auch in fremden Branchen arbeiten dürfen, eine Chancenkarte die besten ausländischen Talente nach Deutschland locken, das Mindestgehalt für eine Arbeitserlaubnis wurde für viele Branchen auf bis zu 41.000 Euro brutto im Jahr gesenkt. Schon diese Maßnahmen waren politisch umstritten, weil gerade rechte Parteien eine Flut von Zuwanderern fürchteten. Doch die bleibt aus. Die Zahlen aus Nicht-EU-Ländern liegen kaum höher als 2019. Im letzten Jahr vor der Corona-Pandemie kamen 64.000 Menschen.
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Das hat zweierlei Gründe. Erstens ist das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz zwar besser als die Regeln zuvor, aber immer noch schlecht. Die Wirtschaftswoche schilderte diese Woche den Fall einer türkischen Köchin, die nach Deutschland kommen wollte und insgesamt acht Monate brauchte, um in Deutschland als ausgebildete Fachkraft anerkannt und bezahlt zu werden. Und das, so sagt Kubilay Dertli, der im Auftrag von deutschen Mittelständlern Fachkräfte aus dem Ausland holt, sei noch das beschleunigte Verfahren.
Entsprechend sind deutsche Unternehmen wenig begeistert von dem Gesetz. Bei einer Umfrage des Ifo-Institutes aus München gaben im August 80 Prozent der Unternehmen an, die neuen Regeln führten bei ihnen nicht dazu, dass sie verstärkt ausländische Fachkräfte einstellen würden. Fast die Hälfte bewertete es als „nicht hilfreich“, lediglich 23 Prozent sehen überhaupt irgendeinen Vorteil in dem Gesetz. Die bürokratischen Hürden seien wie in obigem Beispiel zu sehen immer noch zu hoch, antworteten 48 Prozent. Mehr als ein Drittel bemängelten, dass es keine praktische Hilfe für die Unternehmen gäbe und der Weiterbildungsbedarf immer noch zu hoch sei. Visaanträge dauerten immer noch zu lange und überhaupt würde das Gesetz die wirklichen Probleme gar nicht adressieren, sagten immerhin 24 Prozent der Unternehmen.
Einwanderer bewerten Deutschland schlecht
Denn es gibt nicht nur die Seite der Unternehmen, sondern eben auch die der Zuwanderer. Hochqualifizierte Menschen können sich mittlerweile fast aussuchen, in welchem Land sie arbeiten wollen. Schließlich hat nicht nur Deutschland einen ungünstig verlaufenden demographischen Wandel. Das Problem sinkender Geburtenraten zieht sich durch alle Industrieländer.
Parallel steigt das Bildungsniveau in Schwellen- und Entwicklungsländern immer weiter an, wobei die jungen Menschen dort aber selten gut bezahlte Jobs finden. So entsteht ein globaler Kampf darum, die besten Talente ins eigene Land zu holen. Und bei diesem hat Deutschland nicht viel zu bieten.
Bei manchen Dingen kann unser Land wenig dazu. Dass Deutschland kein tropisches Wetter, dafür regnerisch-kalte Winter bietet und die deutsche Sprache für Ausländer unglaublich schwierig zu lernen ist, lässt sich kaum ändern. Doch es hapert auch an vielen anderen Ecken. Das Auswanderer-Portal Internations fragt etwa seine Mitglieder jedes Jahr im „Expat Insider“, wie sie das Leben im neuen Land empfinden und welche Probleme sie überwinden mussten. 53 Länder wurden dabei in diesem Jahr bewertet.
Die Auswanderer, die hier antworten, gehören überwiegend zu den höher Qualifizierten, also genau denjenigen, die Unternehmen gerne in Deutschland sehen würden. Doch diese sehen sich hier selten. Deutschland landete – erneut - nur auf dem 50. Platz. Besser platziert sind etwa Panama, Mexiko, Indonesien, Spanien, Thailand und Brasilien. Hinter Deutschland landen nur noch Finnland, die Türkei und Kuwait.
Beim digitalen Leben liegt Deutschland auf dem letzten Platz
Der Expat Insider ist in viele Unterkategorien aufgeteilt und die zeigen, wo die deutschen Probleme liegen. Wird die Lebensqualität mit weltweit Platz 27 und das Arbeitsleben mit Platz 23 noch immerhin durchschnittlich bewertet, geht es gerade bei den privaten Kategorien weit nach unten. Bei der Frage, wie digital das Leben in Deutschland ist, liegen wir auf dem letzten Platz, unsere Willkommenskultur sei die zweitschlechteste aller Länder, sagen die Ausgewanderten. Eine Wohnung zu finden, sei in Deutschland noch schwerer (Platz 51) als Freunde zu finden oder die Sprache zu lernen (je Platz 50). Die Freundlichkeit der Deutschen schneidet mit Platz 49 auch mehr als schlecht ab. 41 Prozent der Zuwanderer sagen, dass sie sich in Deutschland nicht zu Hause fühlen – der weltweite Durchschnitt liegt bei 23 Prozent. Doppelt so viele wie der Durchschnitt fühlen sich hier nicht willkommen (32 Prozent) und haben Probleme, sich kulturell einzugliedern (39 Prozent).
Das wären die Lösungsmöglichkeiten
Entsprechend zweigeteilt sind auch die Lösungen aus dem Dilemma. Auf der einen Seite müsste die Einwanderung von Fachkräften noch mehr erleichtert werden. Dabei geht es weniger darum, dass Anforderungen weiter gesenkt werden oder Zuwanderer Steuererleichterungen bekommen – was die Ampel zunächst für 2025 angedacht hatte – sondern darum, dass die Verfahren beschleunigt werden.
Zudem wünschen sich sowohl Unternehmen als auch Zuwanderer selbst mehr Hilfe bei der Eingewöhnung in Deutschland, etwa bei der Wohnungssuche und Sprachkursen. Notwendig dafür wäre wie in so vielen Bereichen ein Bürokratieabbau und gleichzeitig eine Aufstockung des Personals in den zuständigen Behörden im Inland und Botschaften im Ausland. Doch stattdessen wird wahrscheinlich am Etat des Auswärtigen Amtes auch 2025 weiter gespart.
Brauchen eine bessere Willkommenskultur
Auf der anderen Seite müssten an einer besseren Willkommenskultur im Inland gearbeitet werden. Das ist ungleich schwerer, denn dem steht eine starke AfD mit ihrer Anhängerschaft entgegen, die jeden Zuwanderer verteufeln, vor allem, wenn er eine andere Hautfarbe oder Religion hat. Aber auch aus konservativen Kreisen wie CDU und CSU ist die Ablehnung von Zuwanderung groß. Das überträgt sich auf deren Wähler und umgekehrt, so dass insgesamt in vielen Teilen des Landes eben die von Zuwanderern gerügte schlechte Willkommenskultur herrscht und diese sich hier nicht heimisch fühlen.
Für eine im Februar neu gewählte Bundesregierung wird das aber eines der zentralen Probleme der kommenden Legislaturperiode werden. Denn während Deutschland schläft, machen andere Länder dies nicht. Alle unsere Nachbarn landeten etwa im Expat Insider weit vor uns.