Der Bruch der Ampel-Koalition und die daraus folgenden Neuwahlen – voraussichtlich am 23. Februar – haben alle Parteien überrumpelt. Die SPD diskutiert noch über den Kanzlerkandidaten, die Grünen hatten bis zum vergangenen Wochenende nicht einmal richtige Parteivorsitzende. Auf die Schnelle müssen jetzt aber nicht nur Spitzenkandidaten gefunden und Wahllisten aufgestellt werden, sondern auch Wahlprogramme. Oft ist das ein monatelanger Prozess, bei dem die vielen Meinungen innerhalb einer Partei in ein kohärentes Papier gegossen werden. Doch die Zeit fehlt diesmal. Deswegen bleibt den meisten Parteien nichts anderes übrig, als mit altbekannten Forderungen in den Wahlkampf zu ziehen. Der Vorteil: Die sind jetzt schon bekannt. Wir verraten, welche Partei in Sachen Wirtschafts- und Sozialpolitik was fordern wird.
SPD
Mindestlohn auf 15 Euro erhöhen: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hatte im September in einem Brief an die Mindestlohnkommission einen Anstieg des Mindestlohns von derzeit 12,82 auf 15 Euro ab 2026 gefordert. Hintergrund ist eine EU-Richtlinie, wonach Mindestlöhne bei mindestens 60 Prozent des mittleren Lohns in einem Land liegen sollten. Das wären in Deutschland derzeit 15,27 Euro. Das markiert auch gleichzeitig die Grenze zur Armutsgefährdung und würde damit sicherstellen, dass keiner mit einem Vollzeitjob armutsgefährdet wäre.
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Einkommensteuerreform: Die SPD fordert eine Reform der Einkommensteuer, bei der 95 Prozent aller Steuerzahler entlastet würden – wohl auf Kosten der oberen 5 Prozent. Wie diese Reform genau aussehen soll, ist aber noch unklar. Auch die Erbschafts- und Schenkungssteuern sollen für hohe Beträge im Millionenbereich steigen. Die Einnahmen sollen komplett den Ländern zweckgebunden für Bildungspolitik gegeben werden.
Industriestrompreis: In einem Zehn-Punkte-Papier im März forderte die SPD-Fraktion die Einführung eines Industriestrompreises. Das wäre eine Art endlose Strompreisbremse für bestimmte Industriebetriebe wie etwa die Stahl- und Chemiebranche bis zu einem bestimmten Verbrauch. Die Idee dürfte umstritten sein, weil nicht klar ist, warum bestimmte Branchen so stark bevorzugt werden sollten.
Grüne
Kindergrundsicherung: Es ist die Never-ending-story dieser Legislaturperiode, aber die eigentlich für 2025 geplante Kindergrundsicherung ist immer noch nicht in trockenen Tüchern. Ohne die Stimmen der FDP kann sie jetzt auch nicht mehr vor der Wahl beschlossen werden. Mit der Maßnahme wollen die Grünen das Kindergeld erhöhen und viele Leistungen für Kinder in einer Zahlung bündeln. Das soll Millionen Kinder aus der Armutsgefährdung heben und die Anträge für Eltern stark vereinfachen.
Deutschlandfonds: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck formulierte zuletzt im Oktober eine Idee, die auch die SPD schon im vergangenen Jahr anriss – ein riesiges Sondervermögen von bis zu 230 Milliarden Euro, um bis 2030 die starken Defizite Deutschlands bei der Infrastruktur, der Bildung und der digitalen Verwaltung und Infrastruktur zu beheben. Ökonomen sind skeptisch, ob so ein Sondervermögen der richtige Weg wäre – zudem müsste es mit Zweidrittelmehrheit vom Bundestag beschlossen werden, was utopisch erscheint.
Energiewende: Der Umbau des deutschen Stromnetzes bleibt ein Herzensanliegen der Grünen. Der Ausbau von Solar- und Windenergie wurde mit ihnen in den vergangenen Jahren beschleunigt, doch es mangelt noch am Umbau der Stromnetze und einer vernünftigen Kraftwerksstrategie ab 2030, wozu unter anderem der Bau von Gaskraftwerken und eine Infrastruktur für Wasserstoff notwendig sind. Dies dürfte auf der Agenda für die nächste Periode stehen, erfordert aber hohe Investitionen und wäre daher nicht mit jedem Partner umsetzbar.
FDP
Abschaffung des Soli, Senkung von Unternehmenssteuern: FDP-Chef Christian Lindner hatte die Forderungen seiner Partei in jenem Papier formuliert, das letztendlich zum Bruch der Ampel führte. Dazu gehört die Abschaffung des Soli und eine Senkung der Körperschaftssteuer. Beides würde insbesondere Unternehmen entlasten. Die FDP begründet das damit, das diese im internationalen Vergleich hohe Steuern zahlen und deswegen weniger investieren können.
Klimaschutz lockern: Die FDP will die deutschen Klimaschutzziele auf die EU-Ziele umstellen. Die sind lascher und fordern etwa bis 2030 nur eine Co2-Reduktion von 55 statt 65 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 und Klimaneutralität erst 2050 statt 2045. Die Forderung dürfte vor dem Bundesverfassungsgericht allerdings keinen Bestand haben, welches die deutschen Klimaziele schon bestätigt hat.
Abbau von Sozialleistungen: Die FDP möchte das Bürgergeld reformieren, indem mehr Sanktionsmöglichkeiten bis zur totalen Streichung von Zahlungen eingeführt werden. Auch das würde vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben. Zudem soll die Rente für besonders langjährig Versicherte („Rente mit 63“) wieder abgeschafft werden.
CDU/CSU
Mehr Kohle und Kernkraft: Die Union möchte den Fokus auf Solar- und Windkraftwerke in Deutschland verringern. So soll ein Wiedereinstieg in die Kernkraft geprüft und Kohlekraftwerke länger als beim Kohleausstieg geplant betrieben werden, wenn nicht parallel neue Gaskraftwerke ans Netz gehen. Zudem soll mehr auf Wasserstoff gesetzt werden, auch auf dessen schmutzigere Farbvarianten „blau“ und „türkis“, die nicht mit erneuerbaren Energien betrieben werden.
Rücknahme des Gebäudeenergiegesetzes und Verbrennerverbotes: Das lange umstrittene GEG, welches den Austausch von Öl- und Gasheizungen gegen solche mit erneuerbaren Energien regelt, soll „teilweise zurückgenommen“ werden. Welcher Teil genau gemeint ist, ist unklar. Auch das EU-weite Verbot von Pkw ab 2035, die fossile Energien verbrennen, soll zurückgenommen werden. Beides halten Klimaexperten für falsch.
Steuerfreie Überstunden: Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, sollen Überstunden in Deutschland steuerfrei gestellt werden. Das würde vor allem Gut- und Spitzenverdienern nutzen, die bisher die meisten bezahlten Überstunden im Land ableisten.
Bürgergeldreform: Die Union fordert zudem eine Bürgergeld-Reform ähnlich der FDP.
AfD
Austritt aus dem Euro: Die AfD hat so radikale Ideen, dass diese gar nicht neu angepasst werden müssen. Eine ist der Austritt aus dem Euro und die Rückkehr zur D-Mark. Ökonomen sehen das als einen katastrophalen Schritt für die deutsche Wirtschaft, die vom Export, gerade in andere EU-Länder, lebt.
Austritt aus der EU: Weiterhin steht auch der „Dexit“ auf den Plänen der AfD. Sie schränkt zwar ein, dies sei nur eine Option, wenn die EU nicht grundlegend reformiert werde, doch praktisch werden diese geforderten Reformen nie geschehen. Ein EU-Austritt Deutschlands wäre noch verheerender, weil deutsche Unternehmen stark vom Export leben und entsprechend von der Freihandelszone innerhalb der EU profitieren. Von diesem Binnenmarkt wäre Deutschland nach einem EU-Austritt aber ausgeschlossen. Das Beispiel Großbritannien zeigt, dass neu verhandelte Abkommen keine Verbesserung wären.
Mehr Kinder statt Zuwanderung: Statt den Fachkräftemangel unter anderem mit mehr Zuwanderung zu bekämpfen, wie es so gut wie alle Ökonomen vorschlagen, will die AfD weniger Migranten und dafür mehr Kinder. Dazu solle die Familienpolitik mehr Anreize setzen. Das würde allerdings erst in mehreren Jahrzehnten theoretisch helfen, selbst, wenn es der AfD gelänge, deutsche Frauen von heute auf morgen zu mehr Kindern zu motivieren.
BSW
Militärhilfen für die Ukraine streichen: BSW-Chefin Sahra Wagenknecht hatte im August ein Fünf-Punkte-Papier veröffentlicht. Als wichtigsten Punkt will sie einen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine schließen und dann die Militärhilfen für die Ukraine streichen. Wie das gelingen soll, verrät sie aber nicht.
Abschaffung des Gebäudeenergiegesetzes: Wagenknecht will das GEG nicht wie die CDU teilweise, sondern komplett abschaffen. Wie stattdessen die vom Bundesverfassungsgericht verpflichtend festgesetzte Klimaneutralität im Gebäudebereich bis 2045 erreicht werden soll, verrät sie nicht.
Rentenreform nach österreichischem Vorbild: Wagenknecht möchte eine Rentenreform und das System nach dem Vorbild Österreichs umbauen. Dort liegen die Beiträge bei 22,8 Prozent, auch Beamte und Selbstständige zahlen ein. Dafür gibt es 14 Monatsrenten und ein Rentenniveau von 87 Prozent des letzten Nettogehaltes – aber nur, wenn Sie mindestens 15 Jahre eingezahlt haben, sonst gibt es gar keine Rente. Die Reform würde Deutschland pro Jahr 45 Milliarden Euro extra kosten.
Linke
Vier-Tage-Woche: Die Linke präsentierte im März ein Konzept, mit dem eine flächendeckende Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich umgesetzt werden könnte. Geplant ist, dass der Öffentliche Dienst schrittweise auf 32 Stunden pro Woche heruntergeht. Damit würde ein Standard geschaffen, an dem sich private Unternehmen im Kampf um die besten Talente orientieren müsse.
15 Euro Mindestlohn: Die Linke fordert ebenfalls eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro und zudem eine automatische jährliche Anhebung in Höhe der Inflationsrate statt der bisherigen Festsetzung durch die Mindestlohnkommission.
Rückkehr der Vermögensteuer: Die 1997 ausgesetzte Vermögensteuer soll wieder erhoben werden. Ab fünf Millionen Euro Nettovermögen soll ein Prozent pro Jahr fällig werden, ab 50 Millionen Euro fünf Prozent und ab einer Milliarde Euro zwölf Prozent. Auch andere Parteien wie SPD und Grüne wären für eine Vermögensteuer, aber mit geringeren Sätzen.