„Heftige Debatte? Fehlt im Programm“ - Der große Expertencheck zu den Wahl-Plänen von CDU, SPD und Grünen
Bald wird gewählt – doch verfolgen die Parteien in Deutschland die richtigen Ansätze für die drängenden Probleme unserer Zeit?
Um die inhaltlichen Vorschläge kompetent und unabhängig zu bewerten, hat der Tagesspiegel eine Gruppe von elf hochkarätigen Fachleuten für Sie zusammengestellt. In den kommenden Wochen werden wir Ihnen ihre Expertise zu den wichtigsten Politikfeldern im Tagesspiegel präsentieren: in der Zeitung und online auf unserer Website, in unseren Newsletter und in den sozialen Medien. Und auf unseren Leserevents können Sie ihnen Fragen stellen.
MIGRATION
- Daniel Thym ist Professor für Öffentliches Recht an der Universität Konstanz, wo er auch das Forschungszentrum Ausländer- und Asylrecht leitet.
CDU/CSU: Aufnahmestopp und Abschiebungen
Die Überschrift sagt alles: „Stopp der irregulären Migration“. Zwar bekennt sich die Union zur Humanität, will diese aber nur noch über die legale Einreise ermöglichen, sobald die irreguläre Migration beendet ist. Hierzu dienen, wie schon im Grundsatzprogramm, ausgelagerte Asylverfahren in sicheren Drittstaaten. Allerdings setzt die CDU/CSU nicht mehr vorrangig darauf. Im Zentrum stehen nationale Restriktionen.
Zurückweisungen an den deutschen Grenzen sollen einen „faktischen Aufnahmestopp“ durchsetzen. Wie die anderen Parteien schweigt auch die CDU/CSU zu manchen Details: etwa über die Dauer der Zurückweisungen und den Plan für den „Tag danach“. Dauerhaft wird man die Asylmigration schwerlich an den deutschen Grenzen stoppen können. Es braucht also eine europäische Antwort. So will die CDU/CSU mit Frankreich und Polen neue EU-Initiativen anstoßen, sagt aber nicht, wie diese aussehen sollen.
Bei den Sozialleistungen soll es eine Trendwende geben: neu einreisende Ukrainer sollen dem Asylbewerberleistungsgesetz unterfallen, Sachleistungen für Asylbewerber flächendeckend zur Regel werden und Ausreisepflichtige nur ein absolutes Minimum erhalten und nicht, wie bisher, nach 36 Monaten faktisch doch Bürgergeld. Soweit das umgesetzt würde, müsste das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob es an den großzügigen Urteilen der letzten Jahre festhält.
Abschiebungen sind ein Schwerpunkt. Umsetzungsdefizite auf Landesebene will die Union durch „Bundesausreisezentren“ begegnen, wo Ausreisepflichtige zentral untergebracht würden. Gefährder und Straftäter sollen zeitlich unbegrenzt in einen „Ausreisearrest“ kommen. Diese Forderungen sind gleichsam das Gegenstück zum Integrationsfokus bei den Grünen.
SPD: Verwaltung statt Veränderung
Die SPD steht für „Weiter so!“. Das Wahlprogramm nennt bei der Migration kein einziges Vorhaben, das zwingend eine Gesetzesänderung bräuchte. Die SPD lobt die Reformen der Ampel und will diese nun umsetzen. Die Sozialdemokraten stehen also für Verwaltung statt für Veränderung. Das wird denjenigen gefallen, die die Asylpolitik auf dem richtigen Weg sehen, aber eine bessere Umsetzung anstreben. Bei der Integration bleibt unklar, ob die „verbindlichen Regelungen“ im Partizipationsgesetz feste Quoten für Migranten im öffentlichen Dienst beinhalten.
Wer spektakuläre Aussagen sucht, wird enttäuscht. Die heftige Debatte der letzten Monate findet im Programm nicht statt. (Daniel Thym, Migrationsexperte, zum Wahlprogramm der SPD)
Viele der wenigen Positionierungen zur Migration beinhalten eine Abgrenzung zur CDU/CSU, als ob die SPD in der Opposition wäre: explizit bei der Staatsangehörigkeit, implizit beim Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten und bei Asylverfahren in sicheren Drittstaaten. Entgegen vereinzelter Medienberichte ist die SPD nicht explizit gegen Zurückweisungen von Asylbewerbern an den deutschen Grenzen, unterstützt diese jedoch auch nicht. Ausdrücklich abgelehnt werden nur „Pushbacks“ an den EU-Außengrenzen.
Wer spektakuläre Aussagen sucht, wird enttäuscht. Die heftige Debatte der letzten Monate findet im Programm nicht statt. Anders als die Grünen schweigt die SPD zu vielen Fragen. Dies kann implizit Veränderungen ablehnen – oder eine bewusste Zurückhaltung darstellen, die den Sozialdemokraten allen Spielraum für Koalitionsverhandlungen belässt.
Die Grünen: Zuwanderung als Chance
Die Grünen bleiben sich treu: im Zentrum stehen die Integration, Vorteile von Zuwanderung und Humanität. Die Ausreisepflicht erwähnt das Wahlprogramm, allerdings verborgen nach dem Bekenntnis zum Asylrecht. Das Wort „Abschiebung“ wird umgangen und kommt nur mittelbar bei positiv besetzten Begriffen wie „Abschiebungshindernissen“ oder „Abschiebungsstopp“ vor.
Die künftige Bundesregierung wird auf EU-Ebene eine wichtige Rolle spielen. Zu Recht geben die Grünen daher der EU-Politik mehr Raum als andere Parteien. Diese Themen sind teils in der deutschen Öffentlichkeit noch gar nicht präsent: Letzte Woche erst unterstützte die EU-Kommission eine Aussetzung des Asylrechts an der polnischen Ostgrenze. Das lehnen die Grünen ab, wobei die Gerichte entscheiden werden, ob dieser Schritt, wie vom Wahlprogramm suggeriert, gegen die Menschenrechte verstößt.
Die Grünen lehnen das CDU/CSU-Projekt ausgelagerter Asylverfahren in Drittstaaten ab. Das Programm sagt aber nicht, was konkret es mit der schön klingenden Alternative meint, eine Kooperation mit Transitstaaten anzustreben, „die sichere Migrationswege ermöglichen und ungeordnete Migration reduzieren“ soll. Auch Zurückweisungen an den deutschen Grenzen soll es nicht geben: „Schlagbäume an den Binnengrenzen“ und „dauerhafte stationäre Grenzkontrollen“ lehnen die Grünen ab.
In einem Punkt könnten sich Grüne und CDU/CSU aber schnell einigen: Eine Digitalisierung der Visavergabe an Fachkräfte, vermutlich auch mit einer Bundesagentur, befürworten auch die Grünen.
AUSSENPOLITIK UND VERTEIDIGUNG
- Thomas Kleine-Brockhoff ist Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin.
CDU/CSU: Konkret bei der Sicherheit, aber nicht beim Verteidigungsetat
Die Union ist in ihrem Wahlprogramm bemerkenswert konkret: Sie will einen Bundessicherheitsrat einrichten und eine neue Nationale Sicherheitsstrategie schreiben, den Westbalkan besser in die EU integrieren, einen „Kurswechsel im Sahel“ erreichen. Doch sie redet nur scheinbar nicht drumherum: Sie will die „Systemkonkurrenz zu China annehmen“. Wie? Das bleibt gerade da ein wenig wolkig, wo es weh tun würde.
Die Beziehungen zu Israel sind der Union ein ganzes Segment wert. Die Freundschaft zu Israel sei „unerschütterlich“. Was sie nicht ist: „Staatsräson“ – eine Verabschiedung von Angela Merkel.
Eine Art Alleinstellungsmerkmal hat die Union unter den Parteien, indem sie sich besonders für Zukunftstechnologien für die Bundeswehr starkmacht: Sie will eine „Drohnenarmee aufbauen“, spricht von Weltraum und Cyber, von Forschungs- und Produktionskapazitäten.
Dass Europa einen dramatischen Verlust an Macht und Einfluss erlebt, liest man nirgends, auch nicht bei den anderen Parteien. Müsste diese bittere Erkenntnis nicht der Ausgangspunkt sein? (Thomas Kleine-Brockhoff, Experte für Außenpolitik)
Zu den Lerneffekten von Putins Angriffskrieg zählt bei der Union die Erkenntnis, es werde bei der Verteidigung auf Reserven und Reservisten ankommen. Eine „aufwachsende Wehrpflicht“ und ein „Gesellschaftsjahr“ sind daraus die Konsequenz. Populär macht das die Union unter jungen Leuten nicht. Gerade deshalb verdient die Konsequenz Respekt.
Erstaunlich zurückhaltend ist die Union beim Verteidigungsbeitrag. Zwar sprechen CDU und CSU vom „aktuellen Zwei-Prozent-Ziel der Nato als Untergrenze“. Mehr aber auch nicht. Anders als die Grünen baut die Union nicht für den wachsenden Bedarf vor. Schon nach dem nächsten Nato-Gipfel in Den Haag könnte das Wahlprogramm der Union in diesem Punkt Makulatur sein.
Wer wollte kein „starkes Europa“? Die Union jedenfalls will eins. Dass Europa einen dramatischen Verlust an Macht und Einfluss erlebt, liest man nirgends, übrigens auch nicht bei den anderen Parteien. Müsste diese bittere Erkenntnis nicht der Ausgangspunkt für eine zukunftsweisende Europapolitik sein?
SPD: Eine Bundeswehr wie zu Friedenszeiten
Auch die SPD ist beim Zwei-Prozent-Ausgabenziel der Nato für Verteidigung angekommen. Aber was die Sozialdemokraten dazu zu sagen haben, mutet kursorisch, manchmal kurios an: Die Bundeswehr soll „als Arbeitgeber attraktiv werden“, die „Vereinbarkeit von Familien und Dienst“ gewährleisten und die „weitere berufliche Perspektive im öffentlichen Dienst“ gewährleisten. Tiefste Friedenszeit-Rhetorik.
Die SPD ist glasklar, was den „imperialen Krieg in Europa“ betrifft, und zwar „durch die Atommacht Russland“. Einen „russischen Diktatfrieden zulasten der Ukraine“ wollen die Sozialdemokraten „nicht akzeptieren“. Die Konsequenzen daraus sind weniger glasklar, sondern „besonnen“. Das Wahlprogramm, wenig überraschend, ist die gegenwärtige Regierungspolitik.
Die Partei Willy Brandts begrüßt Friedensinitiativen für die Ukraine. Sie erhöhten „den Druck auf Putin“, an den Verhandlungstisch zu kommen. Dieser Gedanke entzieht sich konventioneller Logik. In den vergangenen Jahrtausenden war es eher so, dass militärischer Druck an den Verhandlungstisch zwang.
Die Absätze zur China-Politik sind watteweich. „Peking ist kein einfacher Partner“, heißt es im Programm. Der Systemkonflikt hat die Sozialdemokratie noch nicht erreicht – und folglich auch keine der möglichen Konsequenzen.
Die Grünen: Plötzlich Sicherheitspartei
Bemerkenswert, wie die Grünen innere und äußere Sicherheit zusammen denken, eine wehrhafte Demokratie und starke Institutionen propagieren – ein erheblicher Kontrast zum Ton früherer Jahre. Wer hätte gedacht, die Grünen würden einmal die Auslandsaufklärung verbessern, die „Sicherheitsbehörden im Kampf gegen den Terrorismus stärken“ und „das BKA und den Verfassungsschutz dafür mit ausreichend Personal, Technik und rechtsstaatlichen Befugnissen ausstatten“ wollen?
Dies muss man zweimal lesen: Die Grünen treten für eine „starke Nato“ ein. Zur Erinnerung: in der Wahlplattform 1980 traten sie für die langfristige „Auflösung der Nato“ ein. (Thomas Kleine-Brockhoff, Experte für Außenpolitik)
Dies muss man zweimal lesen: Die Grünen treten für eine „starke Nato“ ein. Zur Erinnerung: in der Wahlplattform 1980 traten sie für die langfristige „Auflösung der Nato“ ein. Diese Lern- und Wandlungsfähigkeit angesichts veränderter Umstände ist für eine Partei ungemein schwierig. Man muss es ihr hoch anrechnen.
Noch bei der vergangenen Bundestagswahl haben die Grünen laviert, wenn es um das Zwei-Prozent-Ziel der Nato ging. Es galt ihnen als unaussprechlich. Jetzt wollen sie „dauerhaft deutlich mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts“ in Verteidigung investieren. Und noch dazu eine „leistungsfähige Rüstungsindustrie“. Auch so eine frühere Unaussprechlichkeit. Putin ist den Grünen der wichtigste Lehrmeister.
Trotz allem geben die Grünen ihre Träume nicht auf. Sie treten ein für einen „zukunftsfesten Multilateralismus“ und eine Welt, in der „die Stärke des Rechts über das Recht des Stärkeren triumphiert“. Besser wäre es, Rezepte aufzuschreiben, wie Deutschland sich in einer Welt behauptet, die erkennbar vom Recht des Stärkeren geprägt sein wird.
WIRTSCHAFTSPOLITIK
- Jakob Hafele ist Geschäftsführer und Chefökonom des ZOE Institut für zukunftsfähige Ökonomien.
CDU: Ein Programm wie vor 40 Jahren
Das Wahlprogramm der CDU kostet mindestens 90 Milliarden Euro – ohne eine seriöse Gegenfinanzierung. Um diese Pläne zu tragen, bräuchte Deutschland aus einer Rezession heraus jährliche Wachstumsraten von etwa 10 Prozent. Solche Zahlen wurden nicht einmal während des Wirtschaftswunders erreicht. Ohne klare Gegenfinanzierung drohen massive Einsparungen, beispielsweise bei Bundeswehr oder Rente. Doch die CDU bleibt Antworten dazu schuldig.
Positiv hervorzuheben ist, dass die CDU in ihrem Wahlprogramm die Stärkung der ökonomischen Resilienz klar priorisiert. Mit Fokus auf Zukunftstechnologien wie grünem Stahl sollen Pioniermärkte geschaffen und durch Quoten ein schneller Hochlauf ermöglicht werden.
Die CDU erkennt den Ernst der Lage nicht an. (Jakob Hafele, Experte für Wirtschaftspolitik)
Negativ fällt auf, dass die CDU entgegen aktueller ökonomischer Forschung den Staat eher als Gefahr statt als Ermöglicher von Innovation betrachtet. Dieses Denken hat vor 20 Jahren erfolgreich für Wachstum gesorgt in einer Zeit, in der keine größeren wirtschaftlichen Umbrüche als notwendig erachtet wurden. Heute geht es jedoch darum, eine zukunftsfähige Wirtschaft aufzubauen und das geht nur durch klare Rahmenbedingungen und einen verlässlichen Staat. Auch die Steuerentlastungen nach dem Gießkannenprinzip helfen nicht gezielt den Bereichen, die für die Wettbewerbsfähigkeit in der Welt von morgen entscheidend sind.
Die CDU will in Zeiten von Verunsicherung und Populismus einen erheblichen Abbau des Sozialstaats vorantreiben. Statt Stabilität und Zuversicht zu vermitteln, senden diese Forderungen ein Signal sozialer Kälte und fördern ein Klima des Gegeneinanders. Und das in einer Zeit, in der der Hauptgrund für das Kreuzchen bei der AfD ökonomische Unsicherheit ist. Das schadet dem Vertrauen in Demokratie und Sozialstaat.
Positiv zu bewerten ist der Ansatz der CDU, die Klimawandelanpassung durch verlässliche Finanzierungen und die Einführung von Pflichtversicherungen voranzutreiben. Solche Maßnahmen schaffen notwendige Sicherheit und Handlungsfähigkeit in Zeiten zunehmender klimatischer Herausforderungen.
Die CDU erkennt den Ernst der Lage nicht an. Zwar werden Defizite und Handlungspotenziale in der deutschen Wirtschaftspolitik korrekt benannt, doch die vorgeschlagenen Maßnahmen könnten ebenso vor 40 Jahren in einem Wahlprogramm gestanden haben. Es fehlt an Weitsicht und Problembewusstsein. Stattdessen präsentiert die CDU ein massives Entlastungsprogramm für Reiche und einen Plan zur Zerschlagung des Sozialstaats.
SPD: Ein sinnloser Kampf um jeden Industriearbeitsplatz
Mit einer Reform der Schuldenbremse auf Bundes- und Länderebene, einer Altschuldenregelung auf kommunaler Ebene und dem Deutschlandfonds bietet die SPD ehrliche und pragmatische Lösungen, um den Investitionsrückstau zu beheben. Dadurch wird eine nachhaltige Finanzpolitik verfolgt, die ohne das Risiko struktureller Finanzlücken auskommt.
Negativ fällt auf, dass die SPD in ihrem Wahlprogramm die Flottengrenzwerte auf europäischer Ebene verschieben möchte, um jeden Industriearbeitsplatz kämpft und an alten Industrien festhält, anstatt die nötige Transformation zu fördern. Durch das Festhalten am Alten gehen wir die Gefahr ein, in vier Jahren noch weiter abgehängt zu werden. Die deutschen Autobauer hatten ausreichend Zeit, sich an die neuen Herausforderungen anzupassen.
Positiv ist, dass die SPD Arbeitsplätze und die Transformation des Arbeitsmarkts als Schlüsselthemen erkennt. Dennoch sollte sie nicht nur auf klassische Arbeitsmarktpolitik setzen, sondern gezielt Industriepolitik und die Schaffung guter Arbeitsplätze priorisieren. Denn was bringt es einem Ingenieur von Thyssen, dessen Werk in NRW geschlossen wird, wenn in Brandenburg neue Grafikdesignjobs entstehen? Hier müssen realistisch Jobs geschaffen werden, wo sie gebraucht werden.
Der Deutschlandfonds, mit anfänglichen 100 Milliarden Euro für Stromnetze, Wärmenetze und den Wohnungsbau, stellt eine gezielte und zukunftsorientierte Investition dar, die über finanzielle Transaktionen neue Impulse für die Wirtschaft setzen soll.
Der Fokus auf Erhalt von Arbeitsplätzen um jeden Preis mag wie eine populäre Forderung erscheinen, ist jedoch der angesichts der enormen wirtschaftlichen Verwerfungen, vor denen wir uns befinden, nicht sinnvoll. Auch wenn das nicht einfach wird: Ohne Verlust wird es nicht gehen. Vielmehr muss es darum gehen, Industriepolitik so auszugestalten, dass wir auf den Verlust insbesondere von Industriearbeitsplätzen vorbereitet sind und diesen durch Neuansiedlung und Ausbau zukunftsfähiger Industrien kompensieren.
Die Grünen: In die richtige Richtung, doch nicht weit genug
Die Märkte der Zukunft werden aller Voraussicht nach grün sein. Heißt: Wenn wir die grüne Erneuerung der Wirtschaft nicht hinbekommen, werden wir in Zukunft international noch weiter angehängt. Das haben die Grünen erkannt und machen Wirtschaft zum zentralen Thema im Wahlkampf. Die von ihnen geforderten Rahmenbedingungen für ein attraktives Investitionsklima sind entscheidend, um zukunftsfähige Unternehmen und solche, die es werden wollen, bei der Neuausrichtung der Wirtschaft zu unterstützen. Im Gegensatz zur Union sind die Vorschläge der Grünen gegenfinanziert und erfüllen das Kriterium der Generationengerechtigkeit.
Die Investitionsprämie von zehn Prozent für alle Unternehmen und Investitionen ist zwar gut gemeint, greift jedoch zu kurz. Wir müssen gezielt jene Branchen fördern, die auch in den kommenden Jahren wettbewerbsfähig bleiben. Eine pauschale Verteilung der Prämien nach dem Gießkannenprinzip, ohne eine Verbindung zu den gesellschaftlichen Zielen wie Dekarbonisierung, strategischer Autonomie oder gesellschaftlichem Zusammenhalt, ist nicht zielführend.
Die Steuerpolitik im Vermögensbereich geht zwar nicht weit genug, aber die Abschaffung von Ausnahmen bei der Erbschaftsteuer und die Einführung einer globalen Milliardärssteuer sind positive Schritte. Zudem werden offensichtliche Lücken, wie bei Share Deals und der Immobilienbesteuerung, geschlossen.
Im Wahlprogramm lässt sich erkennen, dass die Grünen einen „Picking the Winner“-Ansatz in der Industriepolitik fortführen möchten. Jeder Hobby-Aktionär weiß aber, dass Diversifizierung wichtig ist. Und große Wetten auf einzelne Unternehmen sehr risikoreich. Stattdessen sollten Unternehmen für Zukunftstechnologien ein breiter Zugang zu Investitionsmitteln ermöglicht werden. Auf diese Weise fördern wir einen gesunden Wettbewerb, der zu einem „Race to the Top“ für zukunftsfähiges Unternehmertum führen wird.
Von Daniel Thym, Thomas Kleine-Brockhoff, Jakob Hafele
Das Original zu diesem Beitrag "Wirtschaft, Migration, Außenpolitik: Die wichtigsten Punkte der Wahlprogramme im Expertencheck" stammt von Tagesspiegel.