Südkoreas verzweifelter Versuch, seinen Präsidenten loszuwerden

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Seit der Ausrufung des Kriegsrechts klammert sich Südkoreas Präsident an sein Amt. Am kommenden Samstag unternimmt das Parlament einen weiteren Versuch, Yoon loszuwerden.

Es geht um ein ernstes Anliegen. Immerhin stand, zumindest für ein paar Stunden, Südkoreas hart erkämpfte Demokratie auf dem Spiel. Und doch wirken die Proteste, die in diesen Tagen Zehntausende in Seoul und anderswo allabendlich auf die Straßen treiben, eher wie riesige Pop-Konzerte: friedlich, euphorisch, geradezu fröhlich. Neben Plakaten, die den Rücktritt von Präsident Yoon Suk-yeol fordern, haben viele Menschen Leuchtstäbe in der Hand, wie sie auch auf Shows von K-Pop-Bands im Publikum zu sehen sind. Der Schlachtruf „Enthebt Yoon seines Amtes“ erklingt zum Beat von „Whiplash“, einem Song der beliebten Gruppe aespa.

Protest trifft Popkultur – das gibt es so wohl nur in Südkorea. „Frühere Kundgebungen waren vielleicht ein bisschen gewalttätig und beängstigend“, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters eine Demonstrantin aus Seoul. Leuchtstäbe und K-Pop aber hätten für viele „die Schwelle gesenkt“, zu den Protesten zu gehen.

Demonstranten in Seoul
Allabendlich gehen die Menschen in Seoul auf die Straße, um gegen Präsident Yoon zu demonstrieren. © Jung Yeon-je/AFP

Südkorea nach dem Kriegsrecht: Angriff als Verteidigung

So leicht allerdings dürften die Menschen in Südkorea ihren Präsidenten nicht loswerden. Seit Yoon Suk-yeol in der Nacht vom 3. auf den 4. Dezember das Kriegsrecht erst ausgerufen und sechs Stunden später nach einer eilig einberufenen Parlamentsabstimmung wieder zurückgenommen hat, kommt Südkorea nicht zur Ruhe. Dass das so ist, liegt vor allem an Yoon selbst. Denn der konservative Politiker, der im März 2022 mit nur hauchdünnem Vorsprung ins Amt gewählt worden war, denkt nicht daran, sich zurückzuziehen. Staatskrise hin oder her.

Am vergangenen Wochenende hatte sich Yoon zwar erstmals dafür entschuldigt, das Kriegsrecht ausgerufen zu haben. Er habe aus „Verzweiflung gehandelt“, erklärte Yoon seinem Volk in einer Fernsehansprache. „Es tut mir sehr leid.“ Er werde, sagte Yoon weiter, sich nicht davor drücken, die Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen. Doch davon ist derzeit wenig zu spüren. Als Yoon an diesem Donnerstag erneut vor die Fernsehkameras trat, klang er jedenfalls alles andere als reumütig. „Ich werde bis zum Ende kämpfen“, sagte Südkoreas Präsident. Angriff als Verteidigung.

Südkoreas Präsident bemüht Verschwörungserzählungen

Yoon behauptete auch, Hacker aus Nordkorea seien in die Systeme der südkoreanischen Wahlkommission eingedrungen. Weswegen die Parlamentswahl vom vergangenen April, bei der Yoons Partei eine krachende Niederlage erlitten hatte, möglicherweise nicht fair verlaufen sei. Beweise blieb der Präsident schuldig, die Wahlkommission wies die Vorwürfe umgehend zurück.

Yoons Behauptung passt allerdings gut in das Narrativ, das der Präsident seit seinem Putschversuch von Anfang Dezember unermüdlich verbreitet: dass die Oppositionspartei DP alles tue, um ihm das Regieren unmöglich zu machen, und dass irgendwie das nordkoreanische Regime seine Finger im Spiel habe. Ihm sei deswegen gar nichts anders übrig geblieben, als das Kriegsrecht auszurufen, so Yoons seltsame Schlussfolgerung.

Yoon Suk-yeol in einer Fernsehansprache
Am Donnerstag gab sich Yoon Suk-yeol in einer Fernsehansprache kämpferisch. © Anthony Wallace/AFP

Bereits am vergangenen Samstag hatte das Parlament in Seoul versucht, Yoon aus dem Amt zu entfernen. Die Opposition verfügt zwar über eine komfortable Mehrheit in der Volksversammlung, für eine Amtsenthebung sind allerdings zwei Drittel der Parlamentarierstimmen nötig. Und weil Yoons People Power Party (PPP) der Abstimmung fernblieb, scheiterte das Vorhaben.

Opposition unternimmt neuen Anlauf, um Yoon aus dem Amt zu entfernen

Ein neuer Anlauf, der für den morgigen Samstag vorgesehen ist, hat bessere Chancen. Denn Han Dong-hoon, Chef der PPP und einer der größten Kritiker seines Parteifreunds Yoon, hat sich hinter eine Amtsenthebung gestellt. „Wir müssen weitere Verwirrung verhindern. Es gibt nur noch eine wirksame Methode“, sagte Han laut der Nachrichtenagentur Yonhap. „Unsere Partei muss eine Amtsenthebung als Parteilinie unterstützen.“ Mindestens acht PPP-Abgeordnete müssten mit der Opposition stimmen, sieben haben das bislang angekündigt. Fehlt noch einer.

Sollte das Parlament für die Amtsenthebung votieren, hat das oberste Gericht des Landes sechs Monate Zeit, um zu entscheiden, ob Yoon tatsächlich aus dem Amt entfernt wird oder nicht. Angeblich schart Yoon, ein ehemaliger Generalstaatsanwahl, schon ein hochkarätiges Anwaltsteam um sich.

Aber was, wenn die Abstimmung am Samstag erneut scheitert? „Die Opposition wird sicherlich alternative rechtliche und politische Wege beschreiten, um die Autorität von Präsident Yoon anzufechten“, sagte der Korea-Experte Steven Denney von der Universität Leiden zu IPPEN.MEDIA. „Einschließlich neuer Amtsenthebungsanträge in den nächsten Sitzungen der Nationalversammlung und einer Intensivierung ihrer Kampagne für seinen freiwilligen Rücktritt.“

Yoon weigert sich zurückzutreten

Wäre Yoon ein Politiker, der die demokratischen Traditionen seines Landes wertschätzt, er würde sich wohl aus eigenen Stücken zurückziehen. Doch ein Rücktritt wäre auch ein Eingeständnis eigener Fehler, und das ist vom Machtmenschen Yoon Suk-yeol nicht zu erwarten. „Darüber hinaus würde ein Rücktritt ihn rechtlich angreifbar machen“, sagt Denney. Noch biete Yoon das Präsidentenamt einen gewissen Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung, wegen umstrittener Handlungen während seiner Präsidentschaft und vor allem wegen der Ausrufung des Kriegsrechts.

Schon jetzt ermittelt die Polizei wegen Hochverrats gegen Yoon, am Mittwoch wurden die Büros des Präsidenten durchsucht. Sein inzwischen zurückgetretener Verteidigungsminister sitzt bereits im Gefängnis. Er gilt als Schlüsselfigur hinter den Ereignissen von Anfang Dezember. Yoon selbst darf das Land nicht verlassen. Die Proteste in Seoul gehen derweil weiter, für Samstag hat die Opposition neue Kundgebungen angekündigt.

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