Mocro-Mafia: „In Zukunft immer wieder Gewaltausbrüche durch Drogen-Banden“
Niederländische Drogenbanden agieren brutal in Deutschland. Grund ist ein Umbruch am Drogenmarkt. Deutschland verliere an Resilienz gegen organisierte Kriminalität, so ein Experte.
Das berüchtigte Folterzimmer zeigt die Skrupellosigkeit der Gangster eindrücklich: ein Container, innen dick mit Silberfolie ausgekleidet, in der Mitte ein Zahnarztstuhl mit Fesselriemen und Handschellen – und daneben ein ganzes Arsenal an Quälwerkzeugen. Niederländische Polizisten haben den Container 2020 im Hafen von Rotterdam gefunden. Genutzt wurde er offenbar von Drogenbanden, die sich in den Niederlanden seit Jahren einen regelrechten Krieg liefern. Die Gewalt der sogenannten „Mocro-Mafia“ schwappt jetzt nach Deutschland über – und das Problem könnte ungekannte Ausmaße annehmen, fürchten Experten.
„Es gibt auf dem europäischen und dem deutschen Drogenmarkt einen Umbruch. Wir müssen damit rechnen, dass es auch in Zukunft immer wieder zu Gewaltausbrüchen durch Drogenbanden kommen wird“, sagt Daniel Brombacher. Er ist Direktor der Beobachtungsstelle für organisiertes Verbrechen in Europa bei der Global Initiative against Transnational Organized Crime (Gitoc).
Drogenbanden: Massive kriminelle Gewalt ist neues Phänomen in Deutschland
Für die Niederlande, Belgien oder auch für Frankreich oder Schweden sei die massive kriminelle Gewalt des organisierten Verbrechens nichts Neues, so der Experte. „Für Deutschland indes ist diese Form der Brutalität eine neue Situation. Darauf müssen sich die Behörden und die Öffentlichkeit erstmal einstellen.“ Wichtig sei für die Bekämpfung der Banden, die Strukturen dahinter zu verstehen. „Es handelt sich bei der sogenannten Mocro-Mafia nicht um eine hierarchische Organisation mit einem Kapo, wie man das teilweise von der italienischen Mafia kennt“, erklärt Bromberger.
Vielmehr habe man es mit einem undefinierten Konglomerat von einigen Dutzend verschiedener krimineller Gruppierungen zu tun – kleine Netzwerke, oft mit losen Organisationsstrukturen: „Häufig sind diese Gruppierungen nach einer Person benannt, die eine gewisse Führungsrolle innehat. Wenn diese Person dann im Gefängnis landet oder vielleicht stirbt, dann ist das auch oft das Ende der Bande, die sich in anderen Gruppierungen neu organisiert.“
Sprengstoffanschläge durch „Mocro-Mafia“ in NRW und anderen Bundesländern
Deutschland sei schon allein durch seine Lage attraktiv für ausländische kriminelle Netzwerke, weiß der Experte: „Wir sind das europäische Land mit den meisten Nachbarländern, haben eine gute Infrastruktur, sind weltweit gut angebunden. Die Vernetzung mit dem Ausland ist von hier aus recht einfach.“
Vor allem in Nordrhein-Westfalen hatten zuletzt Sprengstoff-Anschläge sowie eine brutale Geiselnahme, die der Mocro-Mafia zugeschrieben werden, für Aufsehen gesorgt. Aber auch in anderen Bundesländern, etwa Niedersachsen oder auch Bayern, gibt es mehr Aktivitäten von teils ausländischen Drogenbanden, wie Sicherheitsbehörden auf Anfrage dieser Redaktion mitteilen. Woran liegt das? „Gewalt in illegalen Märkten, etwa im Drogenmarkt, sehen wir vor allem dann, wenn es Unruhe oder eine neue Konkurrenzsituation gibt“, erklärt Daniel Brombacher.
Cannabis-Legalisierung als Grund für neue Aktivitäten der Drogenbanden?
Auf illegalen Märkten gebe es keine friedlichen Konfliktlösungsinstanzen, kein festes Regelwerk. Deshalb setzten die Akteure darauf, ihr Recht selbst durchzusetzen: „Gewalt ist dabei vor allem eine Kommunikationsstrategie. Es geht darum, andere Parteien einzuschüchtern und sich einen Ruf zu schaffen“, sagt der Experte.
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Die sogenannte „Mocro-Mafia“
► Der Begriff stammt aus den Niederlanden. „Mocro“ ist ein Slangwort für Marokkaner. In der niederländischen Popkultur ist der Ausdruck längst etabliert – die TV-Serie „Mocro Maffia“, die sich auf die Bandenkriminalität bezieht, ist dort populär.
► Die Bezeichnung ist umstritten, da es bislang keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen den Banden und einer bestimmten Herkunft gibt. Laut Experten sind viele Mitglieder albanischer oder marokkanischer Herkunft, viele haben aber auch keine Migrationsgeschichte oder stammen aus anderen Ländern.
► Auch Morde gehen auf das Konto der sogenannten „Mocro-Mafia“: Im Juli 2021 war der niederländische Kriminalreporter Peter de Vries mitten in der Innenstadt von Amsterdam niedergeschossen worden. Der Mord soll in Zusammenhang mit einem Prozess gegen den mutmaßlichen Drogenboss Ridouan Taghi stehen, de Vries war Berater des Kronzeugen.
► Im Sommer 2024 waren niederländische Gangster an einer Geiselnahme in Köln beteiligt: Offenbar ging es dabei um verschwundene Drogen. Die Kriminellen folterten dabei ihr Opfer.
Umbrüche gebe es vor allem auf dem Heroinmarkt. Viele Banden hätten lange Zeit sehr viel Geld mit der Droge verdient. Hauptlieferant war lange Afghanistan – dort haben die Taliban zuletzt aber den Anbau strikt untersagt. „Aktuelle Zahlen zeigen, dass der Anbau von Schlafmohn in Afghanistan um 95 Prozent reduziert ist. Die Lager sind irgendwann leer.“ Das führe zu steigenden Preisen und möglichen Verknappungen. Gleichzeitig gebe es eine Kokainschwemme in Deutschland. „Und der Markt für Crack, den es früher so nicht gab, boomt derzeit in Deutschland“, erklärt Bromberger.
Manche Experten hatten zuletzt immer wieder auch die Cannabis-Legalisierung in Deutschland als Grund für die Aktivitäten der Drogenbanden in Feld geführt – darunter etwa NRW-Innenminister Herbert Reul. Polizeiexperten beobachten eine gestiegene Nachfrage, die die wenigen legalen Anbauvereine nicht decken können – ein attraktiver Markt für die niederländischen Banden, so das Argument. Bromberger hält das nur bedingt für plausibel: „Man kann nicht ausschließen, dass es durch die Cannabis-Legalisierung Verschiebungen im Markt gegeben hat. Aber es gibt noch keine Evidenz dafür. Dafür ist es zu früh.“ Er habe den Eindruck, hinter manchen Aussagen dazu stecke bisweilen eher eine politische Agenda. So hat etwa die Union im Bund angekündigt, dass sie die Legalisierung rückgängig machen will, sollte sie 2025 an der Regierung beteiligt sein.
Wenig Resilienz gegen Kriminalität
Während die Niederlande intensiv in den Kampf gegen die brutalen Banden investieren, sei hierzulande das Problembewusstsein noch nicht so groß, sagt Bromberger: „Auch wenn Innenministerin Nancy Faeser oder auch Herbert Reul in NRW viel Einsatz zeigen. Aber die Sicherheitsbehörden haben hierzulande nicht genügend Ressourcen, wenn es um Bekämpfung von organisierter Kriminalität geht. Deutschland verliert an Resilienz gegenüber organisierter Kriminalität.“ Das zeigen auch Gitoc-Auswertungen der vergangenen Jahre: Demnach nehmen Bedrohungen durch organisierte Kriminalität zu, Ressourcen im Kampf dagegen wachsen allerdings nicht.