Polizei-Experten warnen: Deutschland ist oft machtlos gegen organisierte Kriminalität

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Die SPD in NRW fragte: Ist der Staat gegen Mafia und Clankriminalität gewappnet? Die Antwort von Experten dazu ist erschütternd. Vor allem in einem Punkt ist die Sorge bei allen groß.

Düsseldorf/Berlin – Die Prognose ist düster: Kriminelle Clans und Mafia-Banden werden die Demokratie unterwandern, wenn der Staat jetzt nicht gegensteuert. Das sagten am Dienstag übereinstimmend Polizeigewerkschafter, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei einer Anhörung im Innenausschuss des NRW-Landtags auf Antrag der SPD-Fraktion. Die wollte wissen: Ist der Staat gewappnet im Kampf gegen organisierte Kriminalität? Die ernüchternde Antwort der geladenen Expertinnen und Experten: nein, der Staat sei oft machtlos.

Clankriminalität und Rockerbanden: „Es gehört zum Programm, Angst und Schrecken zu verbreiten“

„Wir werden ja bisweilen regelrecht überrascht, wenn Rocker auf offener Straße schießen oder Clans im Ruhrgebiet mit Stühlen um sich werfen“, sagte Erich Rettinghaus, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) NRW. Im Juni waren unter anderem in Essen hunderte Menschen aus dem sogenannten Clan-Milieu mit Eisenstangen und Messern aufeinander losgegangen. „Es gehört zum Programm solcher Gruppen, martialisch aufzutreten und Angst und Schrecken zu verbreiten“, so Rettinghaus.

In Deutschland hätten sich kriminelle Clans und mafiöse Strukturen längst etablieren können. “Deshalb sollten wir dringend die Finger von Cannabis-Legalisierung lassen“, so Rettinghaus. „Diesen Bereich wird die organisierte Kriminalität sofort übernehmen. Ein Blick nach Holland reicht, um die Folgen zu sehen: Dort werden Politiker auf der Straße erschossen. Von Schweden will ich gar nicht anfangen.” In den beiden Ländern waren zuletzt Konkurrenzkämpfe zwischen kriminellen Banden eskaliert, in den Niederlanden sprechen Beobachter gar von einem Drogenkrieg.

Nachholbedarf bei der Polizeiausbildung: „Worauf wollen wir warten? Bis der Laden zusammenbricht?“

Der NRW-Chef vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Oliver Huth sagte: „Beim Kampf gegen organisierte Kriminalität muss man in Dekaden denken. Da geht nichts von heute auf morgen.“ Umso wichtiger sei, dass der Staat möglichst bald in die Ausbildung von hoch qualifizierten Ermittlern investiere. „Worauf wollen wir denn warten? Bis der Laden zusammenbricht?“, so Huth. Ähnlich äußerte sich Michael Maatz von der Gewerkschaft der Polizei: „Die Kolleginnen und Kollegen müssen top ausgebildet sein. Da besteht Nachholbedarf.“

BDK-NRW-Chef Oliver Huth und Bundespolizeigewerkschafts-Co-Chef Manuel Ostermann (v.r.) bei einer Anhörung im NRW-Landtag
BDK-NRW-Chef Oliver Huth und Bundespolizeigewerkschafts-Co-Chef Manuel Ostermann (v.r.) bei einer Anhörung im NRW-Landtag. © Peter Sieben

Polizeiexperten fordert Bargeldobergrenze in Deutschland im Kampf gegen Clankriminalität

Die Polizei-Experten forderten alle eine Bargeldobergrenze, wie es sie etwa in Frankreich oder Italien gibt. Viele illegale Geschäfte seien dann nicht mehr möglich. Außerdem brauche die Polizei mehr Befugnisse bei der Überwachung von Telekommunikation. „Deutschland stellt mit seinem starren Datenschutz immer wieder den Täterschutz vor den Opferschutz“, sagte Manuel Ostermann, Co-Vorsitzender der Bundespolizeigewerkschaft. Regelmäßig seien die Ermittler auf Tipps aus dem Ausland angewiesen, in denen es weniger strikte Datenschutz-Regeln gebe.

Behörden müssen Clan 77 Immobilien zurückgeben: „Dadurch wirkt der Staat schwach“

Ein anderer Hebel mit Nachbesserungsbedarf ist nach Ansicht der Experten die Abschöpfung illegaler Vermögen. „Es kann nicht sein, dass wir Vermögen kriminellen Banden wieder zurückgeben müssen“, sagte Erich Rettinghaus von der DpolG. Damit spielte er auf einen Fall in Berlin an: Die Behörden hatten dort 77 Immobilien des Remmo-Clans sichergestellt – mussten sie nach einem Urteil jetzt aber wieder zurückgeben. „Dadurch wirkt der Staat schwach und wird nicht ernst genommen“, so Rettinghaus.  

Rechtswissenschaftler Arndt Sinn von der Uni Osnabrück im Landtag NRW
Rechtswissenschaftler Arndt Sinn von der Uni Osnabrück. © Peter Sieben

Neben den eher „lauten Clans“ gebe es aber auch „leise organisierte Kriminalität“, sagte die Soziologin Zora Hauser, die an der Universität Oxford zu Mafiastrukturen forscht. „Die italienische Mafia infiltriert die deutsche Gesellschaft und die Wirtschaft. Das müssen wir ernst nehmen“, so Hauser. Deutsche Ermittler hätten aber kaum Möglichkeiten, diese Strukturen aufzudecken, so der Osnabrücker Rechtswissenschaftler Arndt Sinn. „Die Behörden arbeiten mit alten Daten. Es muss eine engere Zusammenarbeit mit der Wissenschaft geben.“

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