Drogenkrieg in den Niederlanden: Wie das Nachbarland verzweifelt gegen kriminelle Banden kämpft
Sprengstoffanschläge und Morde im Drogenmilieu erschüttern die Niederlande. Das liegt auch daran, dass kriminelle Clans dort einen ihrer wichtigsten Umschlagplätze in Europa erschaffen haben.
Düsseldorf/Amsterdam – Wer einen Ausflug nach Amsterdam macht, bringt vielleicht eines dieser Kiffer-Souvenirs mit nach Hause. Ein Feuerzeug mit Hanf-Symbol oder ein T-Shirt, auf das ein riesiger Joint gedruckt ist. Als Gag. Doch in den Niederlanden mit seiner traditionell liberalen Drogenpolitik ist das Thema längst kein Spaß mehr. Bandenkriege und Morde erschüttern die Niederlande, mit Kokain- und Marihuana-Geschäften im ganz großen Stil unterwandern kriminelle Clans die Sozialsysteme. Dahinter stecke ein gewaltiges Netzwerk, sagt der niederländische Staatsanwalt Peter Huttenhuis. Mit einer Art Domino-Effekt wollen die Sicherheitsbehörden nun dagegen vorgehen.
Clankriminalität und Drogenbanden in den Niederlanden: „Löst man nicht in einer Woche“
„Dieses Problem löst man nicht in einer Woche“, so Huttenhuis jüngst bei einem Kongress zur Bekämpfung von Clankriminalität in Düsseldorf. „Man muss das Schritt für Schritt machen“, sagt er und hat ein Beispiel parat: Unter dem Code-Namen „Basalt“ hatte die niederländische Polizei eine gewaltige Marihuana-Produktionsstätte ausgehoben. Der Erwerb der Droge ist zwar in den Niederlanden gestattet, die kommerzielle Produktion aber nicht.

Eher zufällig stießen Ermittler laut Huttenhuis auf eine kleinere Cannabis-Plantage in der Stadt Heerlen nahe der deutschen Grenze. Dabei fiel den Polizisten etwas Merkwürdiges auf: Die Miete für das Haus, in dem die Drogenpflanzen gezüchtet wurden, zahlte nicht der Bewohner, sondern eine Firma. „Wir haben dann das Unternehmen überprüft und festgestellt, dass es für 120 weitere Objekte Miete zahlt“, erzählt Huttenhuis. Nach Abgleich von Daten durch Meldebehörden fanden die Ermittler Wohnhäuser, für die zwar Strom- und Wasserkosten bezahlt wurde, wo aber keine Bewohner gemeldet waren. „So haben wir Dutzende weitere Cannabis-Plantagen gefunden“, sagt Huttenhuis.
Angehörige vom Drogenkartell in den Niederlanden hatten gefälschte Papiere
Hinter den Drogenproduzenten stecke ein großes Drogenkartell, das vornehmlich von Albanern geleitet werde, so der Staatsanwalt: „Die Akteure haben oft gefälschte italienische oder griechische Ausweispapiere.“ Von den Einwanderungsbehörden hatten sie so auf einfachem Wege Aufenthaltserlaubnisse erhalten. Erst durch die Basalt-Ermittlungen war der Betrug aufgeflogen und die Polizei konnte weitere Schritte gegen das Kartell einleiten. Die Taktik der Polizei: Wie bei einem Dominospiel führe ein Ermittlungserfolg zu neuen Ansätzen für die Fahnder.
Immer mehr Sprengstoffanschläge im Drogenmilieu in den Niederlanden
Die Banden tragen ihre Clan-Fehden unterdessen auch in der Öffentlichkeit aus. Ein rasanter Anstieg von Sprengstoffanschlägen im Drogenmilieu bereitet der niederländischen Polizei große Sorge. Allein in den ersten sechs Monaten hatte es über 300 Anschläge auf Häuser gegeben. Die Kriminellen nutzen Brandbomben und Sprengstoffe, wie sie auch zum Aufsprengen von Geldautomaten verwendet werden. Es sei ein Wunder, dass es noch keine Toten gab, heißt es aus Sicherheitskreisen.
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Polizei findet acht Tonnen Kokain in Rotterdam
Vor allem in Rotterdam gab es zuletzt immer wieder Explosionen. Kriminelle Clans, meist mit Verbindungen zu Banden in Marokko oder Albanien, sind dort sehr aktiv. Rotterdams Hafen ist der größte Europas, auch Drogengeschäfte werden hier abgewickelt. Die Niederlande gelten als Drehscheibe für den Handel mit Marihuana, Crack und Kokain. Laut der EU-Beobachtungsstelle für Drogen (EMCDDA) gehört das Land neben Spanien und Belgien zu den wichtigsten Importpunkten für Kokain nach Europa. Im August erst hatten Fahnder in Rotterdam acht Tonnen Kokain zwischen Bananen aus Ecuador in einem Container entdeckt – der größte Einzelfund in der Geschichte der Niederlande.
Die Marge ist bei der Droge besonders hoch. Laut Experten kostet ein Kilogramm in Lateinamerika rund 1.000 Euro – der Weiterverkaufswert in Europa liegt bei 25.000 Euro und mehr. Es geht um viel Geld und Macht für die Kartelle – den Kriminellen reicht das aus, um auch vor brutaler Gewalt nicht zurückzuschrecken. Im Juli 2021 hatte der Mordanschlag auf den niederländischen Kriminalreporter Peter de Vries für Erschütterung gesorgt: Er war mitten in der Innenstadt von Amsterdam niedergeschossen worden. Der Mord soll in Zusammenhang mit einem Prozess gegen den mutmaßlichen Drogenboss Ridouan Taghi stehen, de Vries war Berater des Kronzeugen.
Niederländische Drogenbaronin „Godmother of Coke“ wahrscheinlich ermordet
Ein weiterer prominenter Fall dreht sich um die marokkanischstämmige Naima J. Sie hatte in den Niederlanden den Spitznamen „Godmother of Coke“, also „Kokain-Patin“, erzählt Mara Garavini Seisselberg, Beraterin für Strafjustiz bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Laut einer Studie haben Frauen entgegen dem Klischee auch Führungspositionen in kriminellen Clans inne – so wie Naima J. „Sie leitete die Geschäfte“, sagt Garavini Seisselberg gegenüber IPPEN.MEDIA. Offenbar war sie dabei konkurrierenden Clans im Weg: Naima J. wurde 2019 im Amsterdamer Geschäftsviertel Zuidas entführt. Die Behörden gehen davon aus, dass sie ermordet und an einem unbekannten Ort verscharrt wurde.