Moderne Herbergssuche in Bad Tölz: Ukrainische Familie erlebt persönliches Weihnachtswunder
Yuliia Konovalanko und Ivan Fishchenko haben in Bad Tölz ihr persönliches Weihnachtswunder erlebt. Rechtzeitig vor der Geburt seiner jüngsten Tochter Varvara hat das Ehepaar, das vor dem Krieg in der Ukraine flüchtete, das scheinbar Unmögliche geschafft und eine Wohnung gefunden.
Bad Tölz – Eine hochschwangere Frau und ihr Mann sind fern der Heimat auf Herbergssuche. Die Zeit drängt. Denn die Niederkunft steht kurz bevor. Diese Geschichte von Maria, Josef und der Geburt des Jesuskinds steht im Mittelpunkt des Weihnachtsfests. Eine moderne Version davon spielte sich über 2000 Jahre später in Bad Tölz ab. Für Yuliia Konovalenko und Ivan Fishchenko gleicht es einem Wunder, dass sie eine Wohnung gefunden haben – gerade noch, bevor ihr kleines „Christkind“ zur Welt gekommen ist.
Ukrainische Familie findet Wohnung in Bad Tölz: Am 8. März 2022 verließen sie ihre Heimat
„Wir sind hier sehr glücklich, Bad Tölz ist so eine schöne Stadt – und in dieser Wohnung können wir alle zusammen unter einem Dach schlafen und in dieser gemütlichen Ecke in der Küche zusammensitzen.“ Yuliia Konovalenko und Ivan Fishchenko fühlen sich angekommen – endlich.
Beide haben eine lange Reise und schwere Zeiten hinter sich. Es war der 8. März 2022, zwei Wochen nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine, als Yuliia Konovalanko gemeinsam mit ihren Töchtern Iryna (heute 16) und Oleksandra (11) ihre Heimatstadt Odessa verließ. Ehemann Ivan Fishchenko kam im Mai nach – aufgrund eines Augenleidens kann er nicht zum Kriegsdienst herangezogen werden. Im August dann verlor auch Yuliias Mutter Tetiana Konovalenko die Hoffnung, in der Heimat bald wieder in Sicherheit leben zu können, und kam ebenfalls nach Deutschland.
In der Asylunterkunft wurde es eng: Nur ein Badezimmer gemeinsam mit siebenköpfiger Familie
Es verschlug alle zusammen in den Landkreis. Anfangs kamen sie in der Mehrzweckhalle in Wolfratshausen unter. Später fanden sie Obdach in dem mittlerweile abgerissenen Sparkassenhaus an der Lenggrieser Straße in Bad Tölz. Zuletzt bewohnten sie zwei Zimmer in einer weiteren Asylunterkunft in Bad Tölz. Die Wohnung teilten sie mit einer anderen, siebenköpfigen Familie. Allen stand nur ein Badezimmer zur Verfügung. Und es kündigte sich an, dass der Platz bald noch enger werden würde: Yuliia war schwanger.
Ihren künftigen Vermieter, den Tölzer Ludwig Janker, kannte die Familie da noch nicht. Der hatte gerade eine Wohnung frei, nachdem seine Tochter mit ihrer Familie dort ausgezogen war. Die Wohnung liegt im ehemaligen städtischen Schlachthof in unmittelbarer Nachbarschaft zu Jankers Baustoffhandel. Er hatte die Immobilie 2009 gekauft, nutzt den größten Teil davon als Lagerfläche, baute aber auch frühere Zimmer für Mitarbeiter zu Wohnungen und Büros um.
Ukrainische Familie flieht nach Bad Tölz: Über einen persönlichen Kontakt fanden sie eine Wohnung
Über einen persönlichen Kontakt bot er die Wohnung zunächst der Ukrainerin Nataliia Suprun an, die in Bad Tölz beim Zweckverband Kommunale Dienste arbeitet. Sie wollte gerne ihre Mutter aus der Ukraine nachholen und hier einziehen, die Mutter aber wollte das Land nicht verlassen. Da Nataliia Suprun in einer WhatsApp-Gruppe mit Yuliia Konovalenko vernetzt ist, entstand dann der Kontakt zu deren Familie.
Meine news
Um sich für Konovalenko und Fishchenko als Mieter zu entscheiden, war für Janker deren „Notsituation“ ausschlaggebend, sagt er. „Mir war aber auch wichtig, dass die Familie selbst für die Wohnung aufkommen kann“, sagt er. „Sehr schön finde ich auch, dass sie sich für die Allgemeinheit engagieren und so der Gesellschaft etwas zurückgeben“, ergänzt Janker. „Deswegen habe ich bei ihnen ein gutes Gefühl.“
Mir war wichtig, dass die Familie selbst für die Wohnung aufkommen kann.
Tatsächlich verdient Ivan Fishchenko den Lebensunterhalt für die Familie selbst. Er hat einen Job als Techniker bei der Europäischen Agentur für Luft- und Raumfahrt „Destinus“. Morgens steigt er um 7 Uhr in Tölz in den Zug – dass die neue Wohnung nahe am Bahnhof liegt, kommt ihm sehr entgegen –, abends ist er im Schnitt um 20.30 Uhr daheim.
39-jähriger Familienvater findet Arbeit in der Luft- und Raumfahrt
Arbeit gefunden hat der 39-Jährige, nachdem er unmittelbar nach seiner Ankunft in München als Freiwilliger Pakete mit Hilfsgütern für die Ukraine packte. Im dortigen Helferkreis hatte ihm ein anderer ukrainischer Ehrenamtlicher von der freien Stelle berichtet. Und nach einem Tag Probearbeit hatte Fishchenko den Arbeitsvertrag in der Tasche.
Für seine Frau war es ebenfalls eine Selbstverständlichkeit, sich in Deutschland für andere Menschen zu engagieren. Auch sie packte Hilfsgüter beim Roten Kreuz in Bad Tölz und war bis zu Varvaras Geburt Lehrerin für ukrainische Kinder im Kulturzentrum Gorod in München. Sie bekam dafür nur eine kleine Aufwandsentschädigung. „Aber es war mir wichtig, aktiv zu sein.“ Beim Blutspenden war die 39-Jährige in Bad Tölz auch schon. Ihr Mann hilft darüber hinaus ehrenamtlich beim Repa-Treff mit. In der Ukraine hatte er zuletzt ein Servicezentrum für die Reparatur von Kaffeemaschinen geleitet.
Ukrainische Familie setzte sich schon in der Heimat für Menschen in Not ein
Der Einsatz für Menschen in Not war schon in der Ukraine ein fester Bestandteil im Leben des Ehepaars. Beide gründeten in Odessa eine Organisation, die bei der Suche nach vermissten Menschen half. „Das begann damit, dass in unserer Nachbarschaft ein alter Mann mit seinem Enkelkind verschwand.“ Der demente Mann hatte sich verlaufen. Mit anderen Helfern, die sich an der Suche beteiligten, habe man sich zusammengesetzt und eine Strategie für ähnliche Situationen in der Zukunft entwickelt.
In einem spektakulären Fall machte die Organisation später landesweit Schlagzeilen. Ein Mädchen war nach der Schule verschwunden. Nach vier Tagen wurde das Kind lebend in einer Abwassergrube gefunden. Ein Mann aus der Nachbarschaft hatte es entführt. „Das war zwei Jahre vor dem Krieg“, erinnert sich Yuliia Konovalenko.
Egal, wen du hier triffst, jeder Deutsche hilft dir.
Die Sicherheit und der Frieden in Bad Tölz sind der Familie heute sehr viel wert. Die elfjährige Tochter Oleksandra besucht hier aktuell in der fünften Jahrgangsstufe eine Brückenklasse, nimmt nachmittags per Internet an ukrainischem Unterricht teil. Iryna, die Ältere, studiert zurzeit in Polen Landschaftsarchitektur. Darauf will sie später in Deutschland aufbauen. Dass Nesthäkchen Varvara nun genau am internationalen Tag des Ehrenamts, dem 5. Dezember, zur Welt kam, passe gut zur Familie, sagen die Eltern mit einem Lachen.
Darüber, wie es in Zukunft für sie weitergeht, kann sich die Familie erst jetzt in Ruhe Gedanken machen, da ihre Wohnsituation geklärt ist. Doch daran, dass sie sich in absehbarer Zeit in der Ukraine ein sicheres Leben aufbauen können, zweifeln sie. Jetzt ist erst einmal Bad Tölz ihre Heimat. „Egal, wen du hier triffst“, sagt Ivan Fishchenko, „jeder Deutsche hilft dir.“ (ast)
Noch mehr aktuelle Nachrichten aus der Region finden Sie auf Merkur.de/Bad Tölz.