Trauriger Anlass: Tölzer (83) begründete beliebte Weihnachtstradition mit einer besonderen Trompete
Auf dem Tölzer Waldfriedhof gibt es jedes Jahr an Heiligabend das Weihnachtskonzert. Die Tradition besteht bis heute, doch ihre Begründung hatte einen traurigen Anlass.
Bad Tölz – Weihnachten ist für viele Tölzer erst mit dem Konzert auf dem Waldfriedhof komplett. An jedem Grab werden Kerzen entzündet, der Friedhof ist ein Lichtermeer, die Musiker der Stadtkapelle spielen in ergreifend stimmungsvoll-festlicher Atmosphäre Weihnachtslieder. Hunderte Tölzer versammeln sich vor der Aussegnungshalle, um zuzuhören. Die Idee zu diesem Konzert hatte der Tölzer Architekt Anton Singer – wobei der Anlass ein trauriger war.
Anton Singer aus Bad Tölz will mit 13 Jahren zum ersten Mal ein Instrument erlernen
Bis zum ersten Weihnachtskonzert war es ein weiter Weg für die 1924 gegründete Stadtkapelle, die im Zweiten Weltkrieg auseinandergefallen und lange Zeit damit beschäftigt war, sich neu zu erfinden. Auch Singers Weg zur Musik war nicht gerade einfach. Im Alter von 13 Jahren ließ er seine Mutter wissen, dass er gerne ein Instrument erlernen würde. „Mei, du sagst des so einfach, Bua“, lautete die Antwort. „So ein Instrument kostet einen Haufen Geld, und das haben wir nicht.“
Die Mutter fragte ein Mitglied der Stadtkapelle um Rat. So kamen sie in Kontakt mit Musiklehrer Hermann Peters, ein Flüchtling, der in einem Bauernhof am Buchberg lebte. „Ein guter Mann, ein guter Mensch“, erinnert sich der 83-Jährige. Obwohl sich die Familie kein Instrument leisten konnte, unterrichtete der Musiklehrer den Buben. Der übte ein Vierteljahr nur mit dem Mundstück, lernte, wie man die Lippen richtig formt und Töne hervorzaubert. Singer empfand diese Zeit als „sehr lehrreich“: „Ich kann Nachwuchs-Musikern nur empfehlen, es auch so zu machen.“
Pure Freude über die erste eigene Trompete: „Ich würde sie niemals hergeben“
Schließlich wollte Singer dann aber doch ein Instrument besitzen und wandte sich an den Instrumentenbauer Willi Gareis, der seine Werkstatt damals noch in Lenggries hatte. „Er hat mich gefragt, wie viel Geld ich habe“, erinnert sich Singer. „Ich hab gesagt, dass ich in der Lehre bin und fünf Mark pro Woche verdiene.“ Gareis teilt ihm mit, dass eine Trompete 135 Mark kostet. Singer: „Als ich das gehört habe, wäre ich fast vom Stuhl gefallen.“

Gareis war selbst Musikant und freute sich, dass der Bub ein Instrument lernen will. Also schlug er vor: „Immer wenn du wieder zehn Mark beinand hast, bringst du sie mir vorbei.“ Und so radelte der Bub immer wieder nach Lenggries, um seine Schulden zu begleichen. Singer tat es gerne, er war außer sich vor Freude, endlich ein Instrument zu besitzen: „Ich hab’ die Trompete mit ins Bett genommen. Auch heute hab’ ich sie noch und würde sie niemals hergeben.“
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Als sein Vater stirbt: Anton Singer verabschiedet sich, indem er am Waldfriedhof die Trompete spielt
Im Oktober 1965 starb Singers Vater bei einem Unfall. Der Junior überlegte hin und her, wie er sich würdig verabschieden könnte – und beschloss, mit seiner Trompete auf dem Waldfriedhof zu spielen. Da er bis dahin noch nie öffentlich aufgetreten war, bat er den erfahrenen Hans Erhard, ihn zu unterstützen. Der stimmte zu, obwohl er am Heiligen Abend auch noch Geburtstag hatte. Um Licht zu haben, drückte Erhard seinem kleinen Sohn eine Kerze in die Hand.
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Die beiden dachten nicht ans Publikum und nicht an eine Wiederholung, doch in den folgenden Monaten kam immer wieder die Frage: „Wann spielt ihr wieder?“ Im nächsten Jahr gesellten sich Tenor-Hornist Paul Hamberger und Posaunist Anderl Heimkreiter hinzu. Um noch mehr Hall zu haben, spielten sie im Eingangsbereich der Aussegnungshalle.
Anton Singer war 38 Jahre in der Tölzer Stadtkapelle aktiv
Singer blieb 38 Jahre in der Stadtkapelle aktiv, ist Ehrenmitglied, war Vorstand und engagierte 1988 Josef Kronwitter als Dirigenten. Wie kam es dazu? „Ich hab’ gewusst, dass er in München Musik und Gesang studiert hat und damals keine Festanstellung hatte“, antwortet Singer. Kronwitter habe sich zunächst schwergetan mit dem Gedanken, eine Blasmusik-Kapelle zu leiten: „Er ist ein klassischer Musiker. Er legt Wert auf Reinheit und Sauberkeit der Töne, was bei einer Blaskapelle ja nicht immer der Fall ist.“ Doch die Stadtkapelle blühte unter seiner Leitung weiter auf und zählt nun um die 100 Musiker.
Singer hat zur Stadtkapelle noch immer engen Kontakt, begleitete sie zu Bayerischen Meisterschaften. Und natürlich ist er auch dabei, wenn am Sonntag die Stadtkapelle auf dem Friedhof spielt. (pr)
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