Eine Zigarrenschachtel voll Milliarden im Nachlass

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Hatte 30 000 Goldmark verloren: Amtsdiener Hans Wittmann. © cs/STA

Im Rückblick auf das ereignisreiche Jahr 1923 hat der Tölzer Stadtchronist vor 100 Jahren auch das Leben eines „Dieners der Gemeinde“, Hans Wittmann, gewürdigt. Eine Biografie, die auch heute noch lesenswert ist, weil sie einen seltenen Blick in den Alltag des „kleinen Mannes“ in jener Zeit erlaubt. Ratsdiener Wittmann starb vor 100 Jahren.

Bad Tölz – Der 1837 in der Oberpfalz geborene Hans Wittmann kam als Schuster auf der Walz, also den Lehr- und Wanderjahren, nach Tölz und blieb hier. Er arbeitete bei den Tölzer Schustern Braun (Mühlfeld) und Brömauer (Konradgasse). Sowohl den 1866er-Krieg als auch 1870/71 machte er als Soldat mit und blieb unverwundet. Aufgrund seiner „gestählten Soldatentugenden“ (Tölzer Kurier) wurde ihm Mitte der 1870er-Jahre die Stelle eines Polizeidieners beim Tölzer Magistrat anvertraut.

Obwohl er einen ausgezeichneten Ruf besaß und als äußerst zuverlässig galt, durfte er nicht heiraten. Die Braut war aus einem guten Bürgerhaus und seine Stellung wurde „als zu gering bewertet“, liest man in der Chronik und glaubt ein bedauerndes Kopfschütteln des Verfassers zu spüren. Der tief getroffene Wittmann beschloss darauf hin, nie zu heiraten. Am Ende seines 86-jährigen Lebens, so ist überliefert, bekannte er, „froh gewesen zu sein, als alleinstehender, heimatloser Mensch beim katholischen Gesellenverein Aufnahme und gute Freunde gefunden zu haben“. Der Gesellenverein, den er in Tölz mitgründete, heißt heute Kolpingverein.

Heftiger Streit auf der Isarbrücke

Als Polizeidiener hatte Wittmann Ordnungs- und Kontrollaufgaben innerhalb der Stadt zu vollziehen und einzugreifen, wenn jemand über die Stränge schlug. Die Chronik hält auch fest, wie der ehemalige Soldat Wittmann dabei einmal seinen Meister fand. Als er den „riesenstarken Maler Eberz“ nachts wegen eines – nicht näher beschriebenen – Skandals auf der Isarbrücke zur Rede stellte, hielt ihn dieser mit einer Hand über das Brückengeländer hinaus und drohte ihn fallen zu lassen. Wittmann musste klein beigeben.

Als besondere Lebensleistung beschreibt eine schriftliche Würdigung des späteren Kämmerers Franz-Xaver Rottenfußer im Stadtarchiv die Anspruchslosigkeit und Sparsamkeit des Mannes. Obwohl er auch noch seine Mutter zu sich nahm und sie versorgte und als Polizei- und später Amtsdiener nur ein kleines Gehalt bezog, sparte er im Laufe seines Lebens 30 000 Goldmark zusammen.

Gesamtes Vermögen ging verloren

Die Ersparnisse waren, so schreibt der Finanzexperte Rottenfußer, in vierprozentigen Goldpfandbriefen der Hypotheken- und Wechselbank angelegt. Zu Beginn der Inflation Anfang der 1920er-Jahre habe er auf Anraten der Bank die Wertpapiere verkauft und den Erlös auf ein laufendes Konto eingezahlt, aus dem er die damals üblichen 12 Prozent Zinsen erhielt. Es kam, wie es kommen musste. Die laufenden Konti wurden nie aufgewertet und so ging das gesamte Vermögen Wittmanns verloren.

Seinen Lebensunterhalt konnte er bis zu seinem Tode im September 1923 durch eine kleine Pension der Stadt bestreiten. Sein Nachlass in seinem Zimmer im städtischen Marienstift am Fuß der Marktstraße bestand laut Chronist aus einer einfachen Zimmereinrichtung sowie „einer Zigarrenschachtel voll wertloser Millionen- und Milliardenscheine der Inflationszeit“.

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