Am ersten Kanzlertag von Merz ist die Linke der heimliche Sieger
Friedrich Merz ist Bundeskanzler – aber der Weg ins Amt war steinig. Und ohne die Linkspartei hätte er ihn so schnell gar nicht geschafft.
"Um einen zweiten Wahlgang überhaupt möglich zu machen, hat Friedrich Merz die Linkspartei gebraucht", ordnet FOCUS-online-Chefkorrespondent Ulrich Reitz ein. Und tatsächlich: Was als taktischer Schachzug beschrieben wurde, hat weitreichende politische Wirkung.
Florian Festl, Chefredakteur von FOCUS online, sieht darin mehr als nur einen einmaligen Vorgang: "Man hat ja taktisch geschickt gesagt, das beziehe sich jetzt hier nur auf die Geschäftsordnung und nicht auf tiefe politische Inhalte. Ich würde sagen, das war schon ein Anfang vom Ende."
Denn am Ende sei Friedrich Merz "nur mit den Linken hier in die rettende zweite Abstimmung" gekommen. Das passe in eine Entwicklung, in der "die alten Gewissheiten" nicht mehr gelten.
Merz habe einst versprochen, für Schuldenbremse und Abgrenzung zu stehen – nun stehe er für Milliarden-Neuverschuldung, Klimaneutralität im Grundgesetz und "zumindest mal vorübergehende Zusammenarbeit mit einer Linkspartei auf dem Weg ins Kanzleramt'".
Linkspartei ist der Profiteur des Tages
Für Reitz ist die Linkspartei damit klarer Profiteur des Tages: "Tatsache ist, dass es sozusagen auch ein Gewinnertag ist für die Linkspartei. Und das, kurz nachdem sie die Systemfrage aufgeworfen hat, den Kapitalismus abschaffen will und eine Systemrevolution veranstalten will."
Er verweist zudem auf den Bruch innerhalb der Union: "Da widersprechen sich führende Figuren und führende Politiker der Union."
Während Alexander Dobrindt betont, der Unvereinbarkeitsbeschluss gelte nicht für Geschäftsordnungsfragen, sagt die neue Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Serap Güler, man müsse "auch mal über Parteitagsbeschlüsse hinwegsehen".
Auch AfD profitiert vom Kanzler-Wahl
Die politische Rechte nutzt diese Entwicklung bereits für sich. "Ein anderer Profiteur von diesem Tag heute ist die AfD", so Reitz weiter.
Sie sehe sich durch diese Konstellation bestätigt. Am Tag der Kanzlerwahl postete etwa Björn Höcke: "Willkommen in der Kartellparteien-Demokratie."
Für Reitz ist klar: „Das ist der Sound des radikalen Flügels der AfD. Das werden wir in nächster Zeit noch öfter hören."
Zusammenarbeit mit der Linkspartei war das geringere Übel
Trotz der Kritik am Vorgehen verteidigt Festl die Entscheidung, nicht auf einen dritten Wahlgang zu warten.
"Ich denke, dass in den Tagen bis zu einer Abstimmung so viel Zeit gewesen wäre, ihn noch mehr zu beschädigen und noch stärker zu ramponieren im Inland und Ausland, dass man einfach diesen Weg gehen musste, auch wenn der ein Stück weit schmerzhaft war."