Renditen hoch – Kurse runter - Über Anlegern braut sich ein perfekter Sturm zusammen
Investieren Sie an der Börse vor allem in Aktien, Aktien-Fonds und -ETFS? Dann tun Sie das Gleiche wie viele Privatanleger. Vermutlich sind Ihnen die Produkte der Unternehmen selbst gut bekannt und die Logik „mehr Absatz = mehr Umsatz = mehr Gewinn“ ist eingängig, weil sie direkt die Kurse beeinflussen kann.
Doch das ist nur einer von vielen Faktoren, die Aktienkurse steigen oder fallen lassen. Die Profis an der Börse beobachten einen ganz anderen Markt: den für Staats- und Unternehmensanleihen. Dort leihen sich die Staaten und Unternehmen Geld gegen einen jährlichen Zins, den Kupon, der zum Teil von den Leitzinsen der Notenbanken abhängig ist. Aber auch die Rückzahlungswahrscheinlichkeit, die Bonität, wird dort eingepreist. Je mehr Risiko, desto höher der vom Markt verlangte Zins.
Mit einem geschätzten Marktvolumen zwischen 130 und 150 Billionen Dollar ist der Anleihenmarkt deutlich größer als der Aktienmarkt (ca. 100 Billionen Dollar). Dort wird das Renditeniveau bestimmt, an dem sich auch Aktien messen lassen müssen. Denn Anleihen gelten als sicherer und weniger schwankungsanfällig. Eine Näherung für die erwartete Aktienrendite ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Eine Aktie mit einem KGV von 25 bietet eine Rendite von vier Prozent (=100:25). Böten Anleihen bei niedrigerem Risiko die gleiche Rendite wie diese Aktie, würde ein erfahrener Investor immer die Anleihe vorziehen und Aktien verkaufen.
Warnisgnale am Anleihenmarkt - doch die Aktionäre feiern noch
Erfahrene Börsianer wissen auch, dass der Anleihenmarkt auf Risiken in der Regel deutlich früher reagiert als die Aktienmärkte. Während die Aktionäre noch feiern, bringen die Bond-Investoren schon ihre Schäfchen ins Trockene. Aktuell ist wieder so eine Phase: Die Aktienmärkte liefen 2024 so gut wie seit Jahren nicht und markierten nach einer kurzen Verschnaufpause ab Oktober fast im Wochentakt neue Allzeithochs. Auch im Januar 2025 gaben die Kurse bisher kaum nach. Gleichzeitig sind aber die Kurse für Anleihen seit August kontinuierlich gefallen und ihre Renditen gestiegen. Steigen die Zinsen, macht das Anleihen mit niedrigem Kupon unattraktiver. Denn ihre künftigen Zinszahlungen sind, wenn man sie mit dem neuen, höheren Zinssatz diskontiert, heute weniger wert.
Die Rendite für zehnjährige US-Staatsanleihen stieg zum Beispiel um einen Prozentpunkt. Das klingt nicht viel. Wenn man aber bedenkt, dass der Zins von etwas über 3,5 auf 4,7 Prozent anstieg, bedeutet das eine Verteuerung um 34 Prozent oder ein Drittel. Der Anstieg erscheint umso erstaunlicher, weil die US-Notenbank im gleichen Zeitraum den Leitzins in mehreren Stufen von 5,5 auf 4,5 Prozent senkte.

Da stellt sich die Frage: Was sieht der Anleihenmarkt, was die Aktien-Investoren – und sogar die Notenbank – ausblenden?
„Die Notenbanken haben die Kontrolle verloren“
Die Antwort darauf lautet: An den Anleihenmärkten zählt nicht nur das Zinsniveau von heute, sondern auch das im nächsten, übernächsten oder in zehn Jahren. Zu sehen ist das an der sogenannten Zinsstrukturkurve: Je nach Restlaufzeit einer Anleihe lässt sich anhand des aktuellen Kurses eine Rendite ausrechnen, die ein Investor erhält, wenn er die Anleihe heute kauft und alle Zinsen plus Nennwert planmäßig zurückbezahlt werden. Erwarten die Marktteilnehmer langfristig höhere Zinssätze, sinkt der Wert langlaufender Anleihen.
Dieser Fall tritt vor allem dann ein, wenn die Marktteilnehmer eine höhere Inflationsrate erwarten. Denn darauf würde die Notenbank mit höheren Zinsen reagieren müssen.
Die Zinsstrukturkurve hat sich in den vergangenen Monaten deutlich verändert: 2023 war sie noch invers, das heißt kurzfristige Anleihen boten sogar höhere Renditen als langlaufende. Jetzt „steilt sie sich auf“, wie die Börsianer sagen, das Gefälle zwischen kurz- und langlaufenden Renditen wird immer extremer. „Das zeigt, dass die Notenbanken die Kontrolle verloren haben“, sagt der Portfoliomanager André Stagge, der jahrelang bei einer deutschen Fondsgesellschaft große Mischfonds gemanagt hat. Er sieht darin ein Zeichen dafür, dass Anleger den Notenbanken nicht mehr zutrauen, die anhaltende Inflation mit der aktuellen Zinspolitik in den Griff zu bekommen – sondern nur auf einem deutlich höheren Zinsniveau.
Schuldentürme in USA und Frankreich schrecken die Börse auf
Renditen steigen auch, wenn die Anleger um ihre zukünftigen Rückzahlungen aus einer Anleihe fürchten. Steigt dieses Ausfallrisiko, sinken ebenfalls die Kurse. Das war zuletzt vor allem in den USA zu beobachten, wo Anleger aufgrund der Steuer- und Zollpläne von Donald Trump mit einer steigenden Inflation und einer noch höheren Staatsverschuldung rechnen. Und auch in Frankreich geraten die Schulden außer Kontrolle. Angesichts einer Regierungskrise und des Streits um den französischen Staatshaushalt ziehen manche Beobachter schon Parallelen zur letzten Eurokrise.
All das drückt gerade die Anleihen-Kurse und treibt die Renditen in die Höhe – weltweit und unerwartet schnell:
- Die Rendite für zehnjährige US-Staatsanleihen stieg in vier Monaten um einen Prozentpunkt und nähert sich der Marke von fünf Prozent – das höchste Niveau seit 2023, bevor die Leitzinssenkungen begannen.
- Die Rendite französischer Staatsanleihen schoss seit Anfang Dezember von 2,87 auf 3,44 Prozent in die Höhe.
- Die Rendite für 30-jährige britische Staatsanleihen, die sogenannten „Gilts“, stieg diese Woche auf 5,472 Prozent – das ist der höchste Wert seit 27 Jahren.
- Japanische Staatsanleihen haben ein Renditeniveau erreicht wie seit 2011 nicht mehr.
- Auch die Renditen deutscher Staatsanleihen steigen, allerdings deutlich langsamer als in anderen Staaten.
Institutionelle Investoren werden umschichten
Warum ich Ihnen das alles erzähle? Weil es ein wichtiger Indikator dafür ist, wie sich Ihre Aktien in diesem Jahr verhalten werden: Die Renditen bei den Anleihen werden immer attraktiver, was institutionelle Investoren dazu bringen wird, von Aktien in Anleihen umzuschichten. Das drückt die Kurse.
Wer langfristige Anleihen im Portfolio hat, erleidet aktuell relativ hohe Verluste. Profis setzen derzeit deshalb vor allem auf kurzlaufende Anleihen mit bis zu zwei Jahren Laufzeit. Dort sind die Zinsen auf einem attraktiven Niveau angekommen, gleichzeitig erscheint das Ausfallrisiko aufgrund der kurzen „Restlaufzeit“ gering. Auch große Mischfonds wie etwa der SICAV Mulitple Opportunities von Flossbach von Storch haben 2024 damit begonnen, diese Kurzläufer beizumischen.
Hinzu kommt, dass ein starkes „Aufsteilen“ der Zinsstrukturkurve in der Vergangenheit oft ein Indikator für eine bevorstehende Rezession war. Die Aktienmärkte gehen bisher nicht davon aus, weil die Arbeitsmarktdaten, das BIP-Wachstum in den USA und auch die Inflation derzeit eine andere Sprache sprechen. Aber es wäre nicht da erste Mal, dass der Anleihenmarkt am Ende recht behalt – und eine zumindest kurze Baisse die Aktienmärkte erwischt.
Was können Sie als Privatanleger tun?
Darauf sollten sich auch Privatanleger vorbereiten. Sparpläne auf breit gestreute ETFs kann man weiterlaufen lassen. Für langfristig orientierte Sparplan-Investoren sind sinkende Kurse sogar Sonderangebote. Wer aber bei einzelnen Aktien-Positionen auf sehr großen Gewinnen sitzt, sollte vielleicht mal ein bisschen davon realisieren und zur Seite legen. Bei Renditen von mehr als vier Prozent können im aktuellen Umfeld auch Geldmarktfonds oder ein auf kurzlaufende Anleihen spezialisierter Fonds mal eine gute Alternative sein.
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