Bauernkrieg im Allgäu: Wie bewertet die Geschichtswissenschaft die Ereignisse vor 500 Jahren heute?

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Ein Mann des Ausgleichs: Bürgermeister Gordian Seuter (um 1470 bis 1534) war Verhandlungsführer beim „Großen Kauf“ und einer der Vorbereiter und Mitunterzeichner des Memminger Vertrags. Das Ölbild eines unbekannten Künstlers stammt laut Museumskatalog (Zumsteinhaus) aus dem 18. Jahrhundert. Im Kempten-Museum ist eine Kopie zu sehen. © Fischer

Nach den Berechnungen von Dr. Stefan Fischer verloren im Bauernkrieg 1525 knapp 10.000 Allgäuerinnen und Allgäuer ihr Leben, vor allem kämpfende Bauern und ihre Familienmitglieder. Die Freiheit, für die sie bereit waren zu sterben, bekamen andere: „Memmingen und Kempten waren die beiden Städte, die von den Bauernkriegen Nutzen zogen“, schreibt der frühere Kaufbeurer Stadtarchivar in seinem Buch „Aufruhr im Allgäu. Kleine Geschichte des Bauernkriegs 1525“ (Pustet, 2024).

Kempten – Die größte Gewinnerin war die Reichsstadt Kempten, die unter der Führung von Bürgermeister Gordian Seuter die Notlage des Fürstabtes Sebastian von Breitenstein zum „Großen Kauf“ nutzte: Im Vertrag vom 6. Mai 1525 erhielt die Stadt gegen die Zahlung von 30.000 Gulden ihre vollständige Freiheit von den Herren des Stiftes Kempten.

Neuerscheinungen zum 500. Jubiläum des Bauernkriegs

Fischers 140 Seiten umfassendes Buch gehört zu den zahlreichen neu herausgegebenen oder neu verfassten Publikationen, die zum 500. Jahrestag veröffentlicht wurden, von Peter Blickl­es Klassiker über „Die Revolution des Gemeinen Mannes“ (C.H.Beck, erste Auflage 1998) bis zu Lyndal Ropers vielseitig gelobtem Werk „Für die Freiheit“ (S. Fischer, 2024).

Fischers Buch gibt einen guten Überblick über die wichtigsten Ereignisse, Personen und Zusammenhänge im „Brennpunkt Allgäu“ (Bezeichnung von Gerd Schwerhoff: „Der Bauernkrieg. Eine wilde Handlung“, C.H.Beck, 2024). Der Kaufbeurer Forscher geht auf die Folgen des „Aufruhrs“ (eine verbreitete zeitgenössische Bezeichnung) ein: Der Memminger Vertrag zwischen dem Fürstabt und den Bauern im Januar 1526 sorgte langfristig für „erhebliche Milderungen“, bei politischen Entscheidungen konnten die Interessen des „gemeinen Mannes“ nicht mehr ganz außer Acht gelassen werden und im Allgäu entstanden die „starken Wurzeln der später in Bayern praktizierten kommunalen Selbstverwaltung“.

Er übernimmt an manchen Stellen Blickles Sichtweise, sonst ignoriert er die Diskussion über die Deutung der Ereignisse, die man am besten an den Bezeichnungen „Revolution“ (Blickle), „Volksaufstand“ (Roper), „Medienereignis“ (Thomas Kaufmann) oder „Abfolge von Plünderungszügen der Bauern und von Massakern an den Bauern“ (Marina Münkler) festmachen kann.

Bauernkrieg im Allgäu: Die Sicht von Dr. Stefan Fischer auf die Fürstäbte

Auch Schwerhoff ruft dazu auf, „den Bauernkrieg in seiner ganzen Vielfalt und auch Widersprüchlichkeit zu würdigen“ und warnt davor, ihn „auf eine flinke Faustformel zu reduzieren“. Dafür brauche man „eine gewisse emotionale Distanz zu den Geschehnissen“. Diese zu bewahren, gelingt Fischer überwiegend, aber er wird für einen Historiker ungewöhnlich subjektiv und verteilt ironische Seitenhiebe, wenn es um die Fürst­äbte geht. Zwei Beispiele: Bei der Beschreibung, wie weltliche Bestrebungen zur Vernachlässigung der Seelsorge führten, fügt er Autor hinzu: „Ein Armutszeugnis!“ 1507 übernimmt Hans Rudolf von Raitenau die Nachfolge von Johann von Riedheim: „Auch er keine Zierde in der Abtreihe!“, hält Fischer mit seiner persönlichen Meinung nicht hinter dem Berg.

Ein Buchcover, das ein historisches Gemälde zeigt: Geharnischte Bauern mit Gabeln und Lanzen
Das Buch des ehemaligen Kaufbeurer Stadtarchivars. © Foto: Fischer

So sahen die Herrschaftsverhältnisse im Fürststift Kempten aus

Nach einer kurzen Einführung zum Begriff Allgäu schildert Fischer die Herrschaftsverhältnisse in der Region. Das Stift Kempten verfügte über das bevölkerungsreichste Gebiet, das von Martinszell im Süden, bis nach Grönenbach und Ronsberg im Norden, von Frauenzell im Westen bis nach Kemnat im Osten reichte.

Das Aufbegehren der Bauern begann nicht erst 1525. Im Stift Kempten entstanden bereits im Vorfeld Unruheherde, auf die Fischer ausführlich eingeht. 1491/92 kam es beispielsweise zu einem bewaffneten Aufstand, der mithilfe von Gewalt und falschen Versprechungen niedergeschlagen wurde.

Mit den zunehmenden Lasten steigt die Wut bei den Bauern

Da Sebastian von Breitenstein nach seinem Amtsantritt im Mai 1523 die Lasten für die Bauern erhöhte und auf ihre Beschwerden nur stur und ablehnend reagierte, kochten die Gemüter zunehmend hoch. Als der Fürstabt im Januar 1525 die letzten Verhandlungen in Obergünzburg verließ, und statt Zugeständnisse zu machen mit Gewalt drohte, versammelten sich die Bauern unter der Führung von Jörg Knopf in Leubas. Mitte Februar schlossen sie sich in Sonthofen zu einem Bund zusammen, aus dem zwei Wochen später die „Christliche Vereinigung“ hervorging.

Die Hoffnung, mithilfe von Klageschriften etwas erreichen zu können, wurde Ende Februar endgültig aufgegeben: Statt auf den Rechtsweg zu setzen, beriefen sich die Abgesandten nur noch auf das „göttliche Recht“. Der Wunsch, dieses genau zu definieren, führte im März zur Ausformulierung der Memminger Zwölf Artikel und der damit verbundenen „Bundesordnung“.

Warum eskalierte die Situation im Jahr 1525?

Was machte den Unterschied zu 1491/92 aus? Was veranlasste gerade im Frühjahr 1525 viele Tausende Bauern, ihr Zuhause zu verlassen und in einen blutigen Krieg zu ziehen? Das sind die spannendsten Fragen, vor denen die heutige Forschung steht. Die wirtschaftliche Lage im Allgemeinen konnte nicht der Grund sein. Die Entstehung der modernen „Weltwirtschaft“ (Braudel, Wallerstein) im „langen 16. Jahrhundert“ ging nämlich mit einer deutlichen Konjunktur der Agrarwirtschaft einher.

Fischer schreibt über „eine heute schwer vorstellbare Not und Verzweiflung der Bauern, die mit dem Rücken zur Wand standen“. Dieser Volksaufstand „entstand aus einem schwelenden Haufen von Groll und Verstimmungen, aus dem Gefühl, angestammte Rechte seien erodiert, während die Verpflichtungen zugenommen hätten“, schreibt Roper.

Zu den Kennzeichen des Strukturwandels im „langen 16. Jahrhundert“ gehörte neben einem bisher nicht gekannten Bevölkerungswachstum und schnell wachsenden Städten auch die große Nachfrage nach Agrarprodukten, mit denen man auf dem Markt sehr gute Preise erzielen konnte. Um möglichst große Gewinne erreichen zu können, stellten die Feudalherren ihre Produktion den Markterwartungen entsprechend um (vorher ging es vor allem um Selbstversorgung), was östlich der Elbe in die historische Sackgasse der „zweiten Leibeigenschaft“ führte.

Die Fürstäbte wollten verhindern, dass die Menschen ihren Herrschaftsbereich verließen

Um diese Zeit war die Leibeigenschaft im größten Teil des Reichs abgeschafft, nur im Süden nicht. Im Allgäu blieb es auch nach 1525 so, mit Ausnahme der Reichsstadt Memmingen. Gingen die Fürst­äbte in Kempten, die an erster Stelle Grundherren waren, eher den osteuropäischen Weg? Einiges deutet darauf hin: Fischer schildert beispielsweise den „Allgäuer Brauch“: Wenn ein Untertan umzieht, bleibt die Steuer-, Gerichts- und leibherrschaftliche Hoheit bei seiner alten Herrschaft. Das Ziel war, Menschen im eigenen Territorium zu halten.

Von den „brutalen“ Mitteln der Fürstäbte, um die Zahl der Freien und Freizinser zu reduzieren, zeugt der Kemptner Leibeigenschaftsrodel vom Januar 1525, laut Fischer „ein in der deutschen Geschichte bisher einmaliges Dokument“. In diesem „wird aufgelistet, wie der Abt 335 Bauern und ihren Verwandten die Freiheit geraubt hatte“, fasst Roper den Inhalt zusammen. Auch nach dem Bauernkrieg ging der Anteil der Freien und Freizinser zurück, stellt Fischer fest.

Auch die Reformation trägt dazu bei, dass die Bauern gewalttätig werden

Der Kaufbeurer Autor stellt bei der Beschreibung der religiösen Motive der Bauern „die Sehnsucht nach einer christlichen Seelsorge, die diesen Namen auch verdient hätte“ in den Mittelpunkt. Fischer würdigt das Wirken des Kemptener Predigers Matthias Weibel, der „dem Abt heftig die Leviten las“, mit tödlichen Folgen: „Der Hass auf Weibel wurde bei Abt Breitenstein schließlich so groß, dass er ihn persönlich verfolgen ließ und Bundeshauptmann Jörg Truchsess im August 1526 zum Justizmord an Weibel anstiftete, der schließlich am 7. September 1525 bei Reichenberg an einer Buche erhängt worden ist“, steht auf Seite 44 in Fischers Buch.

Hier sei angemerkt: Nicht nur an dieser Stelle ist im Drucktext eine offensichtlich falsche Jahreszahl geblieben, gleich auf der gegenüberliegenden Seite wird der Amtsantritt vom Fürstabt Breitenstein in der Überschrift mit 1522, sieben Zeilen weiter unten mit 1523 angegeben. Durch den Einsatz eines Lektors hätte man solche offensichtlichen Fehler vermeiden können.

Zurück zu den inhaltlichen Fragen: Der Einfluss der Reformation bei den Motiven des Aufruhrs darf nicht unterschätzt werden. Luthers Traktat „Von der Freiheit eines Christmenschen“ (1520) oder das von Zwingli eingeräumte Widerstandsrecht der Untertanen für den Fall, wenn die Herrschenden ihren christlichen Maximen nicht gerecht werden, blieben nicht ohne Folge.

Vor allem Roper arbeitet mit viel Empathie heraus, welche Bedeutung auf der Heiligen Schrift basierende „Träume“, „Visionen“ und „Hoffnungen“, befeuert von Reformatoren wie Müntzer oder Karlstadt, für die Bauern hatten und welche Kraft gelebte „Brüderlichkeit“ und damit verbundene Rituale ihnen verliehen. Es gehört auf ein anderes Blatt, dass es meistens in einer Katastrophe endete, wenn man die historische Möglichkeit bekam, derartige Utopien in die Tat umzusetzen.

Genauso wichtig ist die Rolle des Buchdrucks. Dass die Zwölf Artikel zum „Fixstern des Bauernkriegs“ (Schwerhoff) werden konnten, ist auch dem zu verdanken, dass diese als Flugblatt laut Fischer 25-mal aufgelegt und in 25.000 Exemplaren verbreitet wurden.

Wer ist wer? Und was ist was?

Zu den größten Stärken von Fischers Buch gehören die in den Text eingefügten „Hintergrund“-Informationen zum Leben der wichtigsten Akteure wie Sebastian von Breitenstein, Georg Truchsess von Waldburg alias Bauernjörg, Jörg Schmid alias Knopf von Leubas, Sebastian Lotzer und Gordian Seuter, alle herausragende Persönlichkeiten im positiven oder negativen Sinne. Ebenso hilfreich ist das auf gleiche Art und Weise zusammengefasste Grundwissen über die Institution der Leibeigenschaft, die Bundschuh-Bewegung, den Schwäbischen Bund, den Begriff „göttliches Recht“, den „Großen Kauf“ und die Verträge von Martinszell und Memmingen.

Die Leser können den chronologischen Ablauf der Ereignisse gut mitverfolgen und die Unterschiede in der militärischen Ausrüstung und in der Kampferfahrung zwischen den Bauern und den Bundestruppen nachvollziehen. Das gut zusammengestellte Bildmaterial ergänzt den Text hervorragend und erleichtert das Hineinversetzen in die damalige Zeit.

Gewalterfahrungen, dargestellt in Wort und Bild

Beeindruckend sind die Bilder, die die Brutalität der Sieger illustrieren. Fischer attestiert Georg von Waldburg eine „an Grausamkeit grenzende Härte“, Hofrat Leonhard von Eck nennt er einen „Scharfmacher“, umgeben von „radikalen ‚Schlagtots‘“. Die Anführer der Aufständischen wurden zumeist publikumswirksam enthauptet, der „blutgetränkte Boden“ sollte als Mahnung dienen. Es gibt Berichte über wahllose Massaker. Einigen gelang die Flucht, meist in die Schweiz. Nicht nur deshalb protestierte Blickle gegen die Bezeichnung „deutscher“ Bauernkrieg, sondern auch, weil dieser „auch in der Eidgenossenschaft seine breite Spur von Basel bis nach Graubünden hinterließ“.

Für die Gewaltausübung der Bauern wird stets die „Bluttat“ von Weinsberg (Nähe Heilbronn) als Beispiel herangezogen: Im April 1525 wurden hier beim Spießrutenlauf sechzehn Adelige sowie mehrere ihrer Knechte und Reisigen getötet. Schwerhoff merkt jedoch an: „Die Weinsberger Bluttat war eine einmalige Aktion. Sie wiederholte sich nirgendwo, vielmehr legten die aufständischen Bauern jenseits des Schlachtfelds eine bemerkenswerte Zurückhaltung beim Einsatz eindeutiger physischer Gewalt an den Tag.“

Der Fürstabt wurde halb nackt auf einen Esel gesetzt

Roper meint, dass die Zeit viel zu kurz war, die Haufen (Kampfgruppen der Bauern) hatten deshalb keine Möglichkeit, „einen Kult der Gewalt zu entwickeln“. Sie ließen aber wenige Gelegenheiten aus, ihre ehemaligen Herren zu erniedrigen. Roper beschreibt beispielsweise, dass die Bauern, nachdem sie im April 1525 die Burg Liebenthann (bei Obergünzburg) eingenommen und den Fürstabt gefangen­genommen hatten, ihn bis aufs Hemd ausgezogen, auf einen Esel gesetzt und mit einem Diener nach Kempten geschickt hätten.

Dann zündeten sie die Burg als Symbol der verhassten Herrschaft an. In die gleiche Kategorie gehört auch die Verwüstung des Stiftes in Kempten. Roper weist auch darauf hin, dass die bei den Plünderungen erbeuteten Güter (wie das Vermögen des Kemptener Fürstabtes) als eine wichtige Quelle für die Finanzierung des Aufstands dienten. Die Historikerin geht als erste auch auf die Rolle der Frauen ein und lenkt die Aufmerksamkeit auf die Nonnen, die im doppelten Sinne zu Projektionsflächen von Hass wurden: Einerseits, weil ihre Klöster zu den Institutionen der Herrschenden gehörten, andererseits weil die männlichen „Brüder“ der Bauernhaufen durchaus frauenfeindliche Züge hatten.

Erinnerungspolitik: Welche Deutung der Bauernkrieg von verschiedenen Seiten erfährt.

Die Geschichte von 1525 musste in den letzten 500 Jahren für die Legitimation unterschiedlichster politischer Systeme herhalten. „Über 300 Jahre diente der Bauernkrieg den intellektuellen und politischen Eliten als Zuchtmittel, um den Untertanen Gehorsam gegenüber jeder Obrigkeit als gottgewollt einzubläuen. Ungehorsam war die Chiffre für 1525, nicht Freiheit“, schreibt Blickle.

Die Nationalsozialisten interpretierten den Bauerkrieg als „germanische Revolution“, die erst unter ihrer Herrschaft ihre Vollendung finden sollte. Gleichzeitig richteten sie in der Form der Zwangsarbeit eine neue Auflage der Leibeigenschaft ein, die landwirtschaftliche Betriebe im Allgäu rege nutzten, wie das Projekt „Butter, Vieh und Vernichtung“ passender Weise ebenfalls im Jahr 2025 aufzeigen wird.

Die DDR sah in den Helden der „frühbürgerlichen Revolution“ und vor allem in der Figur Müntzers ihre eigenen Vorkämpfer. Die Bauernproteste des vergangenen Jahres, die in Kempten starke antidemokratische Züge hatten, stellten auch gerne eine Kontinuität zu 1525 her. Umso interessanter ist, dass Kempten im Jubiläumsjahr unter dem Motto „Freiheit braucht Courage“ die Wurzeln der heutigen Demokratie im Bauernkrieg aufzeigen will. „Als Vorreiter von Demokratie und Menschenrechten taugen die Bauern nur bedingt“, entgegnet Schwerhoff. Man sollte sich an das Motto des ungarischen Historikers Péter Hanák halten, nach dem es die Aufgabe der Geschichtswissenschaft sei, „eine ehrliche Partie mit den Toten zu spielen“. Von diesen gab es 1525 viele: Laut Roper starb in kaum mehr als zwei Monaten etwa ein Prozent der Bevölkerung im Kriegsgebiet.

Mehr zu den diesjährigen Jubiläumsveranstaltungen lesen Sie hier.

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