Experten erklären - Putins „großer Gewinn“: Was das neue Schwarzmeer-Abkommen wirklich bedeutet
Auf den ersten Blick mögen die Ergebnisse der US-geführten Verhandlungen in Saudi-Arabien wie ein großer Schritt hin zu einem Waffenstillstand und Frieden in der Ukraine wirken, bei dem beide Seiten sich auf Kompromisse einlassen mussten. So wollen die Kriegsparteien die gegenseitigen Angriffe auf die Energieinfrastruktur einstellen – und eine sichere zivile Schifffahrt auf dem Schwarzen Meer garantieren.
Ein genauer Blick zeigt aber, dass der Aggressor Russland – gerade im Schwarzen Meer – nur wenig Zugeständnisse machen musste.
Militärexperte Nico Lange von der Zeitenwende-Initiative der Münchener Sicherheitskonferenz etwa gibt auf X zu bedenken: Die russische Armee sei zumindest im westlichen Schwarzen Meer sowieso bereits geschlagen.
"Mit der Vereinbarung gibt Russland fast nichts"
Der Ukraine ist es gelungen, die Handelsrouten aus der Hafenstadt Odessa freizukämpfen, schreibt Lange. Daraus folge: "Mit der heutigen Vereinbarung gibt Russland fast nichts, erhält aber Erleichterung bei Sanktionen und neues Einkommen für seine Kriegsmaschine."
Dazu kommt Nico Lange zufolge: "Die Vereinbarung hindert Russland weder daran, ukrainische Hafenanlagen und Hafenstädte mit Raketen und Drohnen anzugreifen, noch ist das Abfeuern von Marschflugkörpern auf die Ukraine von Schiffen im Schwarzen Meer aus erfasst."
Moskau formulierte neue Bedingungen
Zuletzt hatte Russland die bereits stark in Mitleidenschaft gezogene Stadt Odessa in der Nacht zu Freitag massiv mit Drohnen angegriffen, teilte der zuständige Gouverneur mit.
Zudem muss man wissen: Das Abkommen zum Schwarzen Meer ist noch nicht mal in Kraft.
Kurz nachdem die USA am Dienstag eine Einigung zwischen der Ukraine und Russland verkündet hatten, meldete sich Moskau mit einer abweichenden Erklärung – und formulierte Bedingungen.
Putin kann jetzt auf die Aufhebung von Sanktionen hoffen
Russland knüpft nun also die Zustimmung zum Schwarzmeer-Abkommen an die Aufhebung westlicher Sanktionen, die nach dem völkerrechtswidrigen Einmarsch in die Ukraine verhängt wurden. Zum Beispiel sollen die russische Landwirtschaftsbank und andere Geldhäuser wieder Zugang zum internationalen Finanztelekommunikationssystem Swift bekommen.
Die USA haben sich bereit erklärt, Sanktionen zu lockern. Für die Aufhebung ist jetzt auch die Zustimmung der EU und anderer Länder nötig.
Es kann also sein, dass das Schwarzmeer-Abkommen überhaupt nicht kommt. Falls aber doch, wäre es wegen der fallenden Sanktionen bei nur geringen Zugeständnissen ein „großer Gewinn“ für die Russen, wie der schottische Kriegshistoriker Phillips O’Brien in seinem Newsletter schreibt.
Seinen Quellen zufolge haben die USA in den Verhandlungen „großen Druck“ auf die ukrainische Delegation ausgeübt – unter anderem, damit Kiew ein starkes Zeichen für den eigenen Friedenswillen setze. Zuvor hatte US-Präsident Donald Trump öffentlich am Friedenswillen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gezweifelt.
Immerhin hätten die Ukrainer die Zusicherung der USA bekommen, dass im Falle einer Vertragsverletzung Russlands die Sanktionen erhöht werden. Wobei fraglich ist, warum die russische Armee gegen ein Abkommen verstoßen sollte, das keine großen Nachteile für sie hat.
Russland spielt auf Zeit
Es wird mehr und mehr deutlich, was Kritiker Russland schon lange vorwerfen: Ein Spiel auf Zeit nämlich, bei dem Vereinbarungen hinausgezögert und weitere Bedingungen gestellt werden – und die Angriffe auf die Ukraine größtenteils weitergehen. Diese Taktik hat nun selbst der russlandfreundliche US-Präsident eingestanden.
Im Fernsehsender „Newsmax“ sagte Trump: „Ich denke, dass Russland ein Ende sehen will, aber es könnte sein, dass Putin die Verhandlungen hinauszögert. Ich habe es im Laufe der Jahre selbst gemacht, wissen Sie.“
Trotzdem denke er, dass Russland den Krieg gerne beenden würde. Fakt ist: Den eindeutigen Beleg dafür bleibt Moskau der Welt auch nach den jüngsten Abkommen schuldig.
Von Tobias Mayer
Das Original zu diesem Beitrag "Putins „großer Gewinn“: Was das Schwarzmeer-Abkommen wirklich bedeutet – Experten erklären" stammt von Tagesspiegel.