Russlands nächstes Ziel? - Putin heizt die Spannungen in der Arktis an: Der Kampf um die Insel Spitzbergen

Ein Mann der Zurückhaltung ist Andrej Guruljow eher weniger. Der stellvertretende Vorsitzende des russischen Parlaments, der Duma, kündigte schon Ende 2023 im Staatsfernsehen an, dass Wladimir Putins territoriale Ansprüche „weiter“ reichen würden als nur bis zur Ukraine.

Im Januar dieses Jahres wurde der Duma-Abgeordnete noch deutlicher. Russland könne sich Grönland mit den USA teilen, es sei ja „offensichtlich, dass Dänemark nie wieder einen Fuß dorthin setzen“ werde, sagte Guruljow bei einer Debatte im russischen Fernsehen. Auch Spitzbergen sei „extrem wichtig“ für Russland.

Dann sprach Guruljow offen aus, was viele seit Langem nur gemunkelt haben: „Der Krieg in der Arktis hat jetzt tatsächlich begonnen.“

Trumps Grönland-Pläne motivieren Russland

Mit seiner Haltung ist Guruljow nicht allein in seinem Land, auch andere Politiker haben in den vergangenen Jahren immer wieder laut über „Russlands Autorität in der Arktis“ fantasiert. Die Eroberungspläne von US-Präsident Donald Trump, der Grönland notfalls mit militärischer Gewalt, so zumindest seine Ankündigungen, den USA einverleiben will, geben ihnen neue Nahrung.

„Trump führt seinen geopolitischen Kampf auf dem Gebiet der Geografie“, sagte der nationalistische Hardliner Sergei Mironow der norwegischen Zeitung „The Barents Observer“ zufolge im Februar. „Russland sollte auch auf diesem Gebiet eine Initiative ergreifen, vor allem in der Arktis.“

Spitzbergen ist ein Teil Norwegens und Norwegen ist Mitglied der Nato, daher fällt Spitzbergen unter Artikel 5 der Nato. Arild Moe, Politologe am norwegischen Fridtjof-Nansen-Institut 

In den vergangenen Jahren ist dabei Spitzbergen immer stärker ins Rampenlicht gerückt. Militärexpertinnen und -experten vermuten, dass Moskau bei einem Diktatfrieden in der Ukraine die Nato genau hier testen könnte.

„Spitzbergen ist ein Teil Norwegens, und Norwegen ist Mitglied der Nato, daher fällt Spitzbergen unter Artikel 5“, sagt der Politikwissenschaftler Arild Moe vom norwegischen Fridtjof-Nansen-Institut dem Tagesspiegel.

  • Arild Moe forscht am Osloer Fridtjof-Nansen-Institut unter anderem zu Russland, russischer Energiepolitik sowie russischer Außenpolitik in der Arktis.

Durch den Artikel 5 und die darin geregelte Beistandspflicht sichern sich die Mitgliedsländer des größten Militärbündnisses der Welt gegenseitig ab: Wenn ein Land angegriffen wird, wird dies als Angriff auf die Nato insgesamt gewertet – das Bündnis verteidigt sich kollektiv. „Aber wie verlässlich Artikel 5 heutzutage ist, ist ein Problem, nicht nur in Spitzbergen“, gibt Moe zu bedenken.

Spitzbergen hat eine strategisch wichtige Lage

Die norwegische Inselgruppe liegt mittig zwischen Nordpol und Nordkap. Jahrhundertelang galt das Eiland im arktischen Eismeer als unbewohnbar, zwischen Oktober und Februar herrscht durch die Polarnächte vollständige Dunkelheit, die Maximaltemperatur im Sommer beträgt etwa sieben Grad Celsius.

Seit der Unterzeichnung des Spitzbergenvertrags im Februar 1920 steht die Inselgruppe unter norwegischer Verwaltung, ist aber internationales Territorium – Bürgerinnen und Bürger aller Vertragsstaaten können sich dort niederlassen oder wirtschaften.

Gemacht hat das bisher nur Russland, der Ort Barentsburg wird seit knapp einem Jahrhundert von russischen Bergarbeiterinnen und Bergarbeitern bewohnt. Neben alten sowjetischen Plattenbauten findet sich dort noch heute eine Statue von Lenin.

Seit dem Beginn des Ukrainekriegs haben die Spannungen zwischen Norwegen und Russland im hohen Norden zugenommen. Auch, weil Spitzbergen geopolitisch von Bedeutung ist.

Die russische Nordflotte mit ihren strategischen U-Booten müsste von der Halbinsel Kola kommend Spitzbergen passieren, um den Nordatlantik zu erreichen. Sollte es einen Krieg mit Russland geben, würde die Nato dieses Nadelöhr im Nordpolarmeer sofort schließen – Russland könnte seine Atom-U-Boote und Kriegsschiffe nicht auslaufen lassen.

Moskau wirft Oslo Aufrüstung vor

Der Duma-Abgeordnete Guruljow forderte deshalb schon im Januar eine „russische Option“ auf der Insel – die vermutlich über Bergbau und Polarforschung hinausgehen dürfte.

Vergangene Woche beschwerte sich Moskau dann öffentlich in Oslo und beklagte die angebliche norwegische Militarisierung der Inselgruppe.

Spitzbergen kommt nach Ansicht des russischen Außenministeriums in „immer größerem Ausmaß in den Orbit der militärisch-politischen Planungen Norwegens unter Einbeziehung der USA und der Nato“. Dabei sei allein die friedliche Nutzung des Eilands erlaubt.

Russland hat wenig zu verlieren, wenn es Norwegen kritisiert und ständig an sein Interesse an diesem Gebiet erinnert. Arlid Moe, norwegischer Politikwissenschaftler, über Russlands Interesse an Spitzbergen

Russland wirft Norwegen regelmäßig vor, den Spitzbergenvertrag zu verletzen und die Inselgruppe für militärische Zwecke zu nutzen. Doch entgegen weitverbreiteter Annahmen ist Spitzbergen nicht demilitarisiert. Der Spitzbergenvertrag legt lediglich fest, dass die Insel nicht für Kriegszwecke genutzt werden darf.

Die norwegische Küstenwache läuft regelmäßig Spitzbergen an; auch schickt Oslo einmal jährlich eine Fregatte der Marine vorbei, um die norwegische Souveränität zu unterstreichen. Militärische Aktivitäten verbietet der Vertrag ausdrücklich nicht. Weil auf dem Eiland keine Militärbasen stehen, gilt Spitzbergen aber als leicht angreifbar.

Mit hybriden Kriegsaktionen hat Moskau die Geduld der norwegischen Regierung in den vergangenen Jahren immer wieder getestet. So ließ der Kreml 2023 trotz eines Flugverbotes zum Tag des Sieges über Hitler-Deutschland eine kleine Militärparade in Barentsburg abhalten, inklusive Hubschraubern. In der zweiten russischen Siedlung auf Spitzbergen, Pyramiden, wurde die Flagge der „Volksrepublik“ Donezk gehisst.

„Russland ist ein wenig berechenbarer Akteur geworden“, sagt der norwegische Politologe Arlid Moe.

Dennoch habe sich die Sicherheitslage auf Spitzbergen in den vergangenen drei Jahren nicht „grundlegend verändert“, auch wenn sich russische Kritik an angeblichen Vertragsverletzungen häufe. „Russland hat wenig zu verlieren, wenn es Norwegen kritisiert und ständig an sein Interesse an diesem Gebiet erinnert“, sagt Moe.

Wie wichtig Spitzbergen für Moskau offenkundig ist, verdeutlichte im Februar 2024 der stellvertretende Ministerpräsident Juri Trutnew.

Bei einer Regierungssitzung behauptete er damals, dass die Rechte der auf Spitzbergen lebenden Russen und Russinnen unter Druck gerieten. Unter einem ähnlichen Vorwand hatte der Kreml zwei Jahre zuvor russische Truppen in die Ukraine einmarschieren lassen.

Von Maxi Beigang

Das Original zu diesem Beitrag "Russland heizt Spannungen in der Arktis an: Der Kampf um die Insel Spitzbergen" stammt von Tagesspiegel.