"Spielchen, um Zeit zu gewinnen" - Was ist Putins begrenzte Feuerpause wert? Experte legt Kalkül-Taktik des Kreml offen

So richtig erfolgreich lief das Telefonat mit Wladimir Putin am Dienstagabend deutscher Zeit nicht – da kann Donald Trump im Nachhinein noch so viel schönreden.

Das Gespräch mit dem Kremlchef sei „sehr gut und produktiv“ gewesen, schrieb der US-Präsident zwar auf seiner Social-Media-Plattform Truth Social. Der Friedensprozess sei nun „in vollem Gange“.

Die Wahrheit aber ist: Die Einigung, die beide Seiten erzielten, blieb weit hinter den Wünschen Washingtons zurück. Trump nämlich wollte eine 30-tägige Waffenruhe durchsetzen, als Auftakt zu Verhandlungen über ein dauerhaftes Ende der Kämpfe.

Baldiges Treffen in Saudi-Arabien

Kiew hatte dem Vorschlag bereits zugestimmt – doch Putin machte seinem amerikanischen Amtskollegen einen Strich durch die Rechnung.

Russlands Präsident sei lediglich bereit, für rund einen Monat die Angriffe auf ukrainische Energieanlagen einzustellen, teilte der Kreml mit – falls die Ukraine das auch tue. Details dazu müssen erst noch besprochen werden, am kommenden Sonntag wollen sich russische und US-Vertreter dazu einmal mehr auf neutralem Boden in Saudi-Arabien treffen.

"Es sieht so aus, als ob Putin Trump irgendetwas geben wollte, ohne tatsächlich auf die Forderungen des US-Präsidenten einzugehen" Stefan Meister, Politologe und Russland-Beobachter

Nur wenige Stunden, nachdem Trump und Putin ihre Telefonhörer aufgelegt hatten, bombardierte Russlands Armee das Nachbarland erneut massiv. Insgesamt 145 russische Kampfdrohnen zählte der ukrainische Generalstab im Laufe der Nacht.

In der Region Sumy wurden ein Mensch getötet und mehrere verletzt, in Dnipropetrowsk war die Stromversorgung der Staatsbahn teilweise unterbrochen.

„Russland greift zivile Infrastrukturen und Menschen an – und zwar genau jetzt“, schrieb der Leiter des ukrainischen Präsidentenbüros, Andrij Jermak, auf Telegram.

Staatschef Wolodymyr Selenskyj, der erst am Mittwoch von Trump persönlich über dessen Gespräch mit Putin informiert wurde, fügte hinzu: „Putin hat den Vorschlag für einen vollständigen Waffenstillstand de facto abgelehnt.“

Teil-Feuerpause schwer zu überwachen

„Das ist kein Erfolg und es wird offensichtlich, dass Russland kein Interesse an einer Feuerpause hat“, sagt auch der Politologe und Osteuropa-Experte Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) dem Tagesspiegel. „Es sieht so aus, als ob Putin Trump irgendetwas geben wollte, ohne tatsächlich auf die Forderungen des US-Präsidenten einzugehen.“

  • Stefan Meister ist Russland-Beobachter und Programmleiter Internationale Ordnung und Demokratie bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Darüber hinaus sei eine teilweise Feuerpause nur schwer zu überwachen, gibt Meister zu bedenken: „Wie wollen Sie unterscheiden, welche Infrastruktur getroffen wird und welche nicht?“, meint er. „Entweder Sie machen einen vollständigen Waffenstillstand oder solch ein Abkommen dient nur dazu, die andere Seite zu manipulieren.“

Er halte es deshalb für „überhaupt nicht“ realistisch, dass Russland sich an die Abmachung halte und tatsächlich die verheerenden Attacken auf die kritische Infrastruktur des Nachbarlandes einstelle.

Putin will Zeit gewinnen

Auch viele internationale Medien zogen eine ernüchternde Bilanz des mit Spannung erwarteten Telefonats von Trump und Putin. Selenskyj werde „zum bloßen Zuschauer degradiert“, schrieb die britische Zeitung „Independent“. 

Putin spiele auf Zeit und bekomme mit der Fortsetzung des Krieges genau das, was er wolle, attestierte „La Stampa“ aus Italien.

In Deutschland lobte Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz den Plan, die Angriffe auf Energieanlagen zu pausieren, zwar als „ersten wichtigen Schritt“ auf dem Weg zu einem gerechten und dauerhaften Frieden.

Moskau geht es darum, Maximalforderungen zu stellen, die die andere Seite gar nicht akzeptieren kann

Sein SPD-Parteifreund und Verteidigungsminister Boris Pistorius aber sprach von einer „Nullnummer“: Putin biete ausgerechnet eine Aussetzung der Angriffe auf die Infrastruktur an, „die in der Ukraine am besten geschützt ist“, sagte er im ZDF-„Morgenmagazin“.

Als Bedingung für eine umfassende Waffenruhe nennt der Kreml einen Stopp sämtlicher westlicher Militärhilfen an die Ukraine – während Russlands Rüstungsindustrie weiter auf Hochtouren produzieren dürfte.

"Erst mal wird Trump mehr Druck auf die Ukraine machen" Stefan Meister, Politologe

Das würde nicht nur einer faktischen Kapitulation der Ukraine gleichkommen, die dann schutz- und wehrlos künftigen russischen Angriffen ausgesetzt wäre. Es sind zudem Bedingungen, die Trump gar nicht allein erfüllen kann, weil ja bei Weitem nicht nur die USA Waffen an Kiew liefern.

Das sei Kalkül, sagt Stefan Meister: Putin spiele auf Zeit. Es gehe Moskau darum, Maximalforderungen zu stellen, die die andere Seite gar nicht akzeptieren könne – „um sie dann zu beschuldigen, dass sie kein Interesse am Waffenstillstand hat“, sagt er. „Das sind taktische Spielchen, um Zeit zu gewinnen.“

Hämische Freude in Moskau

Wie also kann es nun weitergehen? Mehrere Szenarien sind denkbar, sagt Meister. „Erst mal wird Trump mehr Druck auf die Ukraine machen“, meint der Politikwissenschaftler. „Er möchte unbedingt den Deal und ihm ist es relativ egal, was das für die Ukraine bedeutet. Die Ukraine ist das schwächste Glied hier und das macht es für Trump einfacher, Zugeständnisse zu bekommen.“

Theoretisch sei auch denkbar, dass Trump irgendwann die Geduld mit Putin verliere und versuche, Russland unter Druck zu setzen, indem die militärische Unterstützung für die Ukraine wieder stark hochgefahren werde. Meister betont aber auch: „Aktuell gibt es dafür keine Anzeichen.“

Das sieht man offensichtlich auch in Russland so. Dort frohlockte der für seine Hasstiraden gegenüber der Ukraine bekannte Ex-Präsident Dmitri Medwedew, dass die beiden Großmächte Russland und USA die Sache nun offensichtlich unter sich klären würden.

„Es gibt nur Russland und Amerika im Esszimmer“, schrieb Medwedew, der mittlerweile Vize-Chef des russischen Sicherheitsrates ist, süffisant auf X. Die Europäer verglich er mit Beilagen – und schob dann zynisch hinterher: „Der Hauptgang ist ein Schnitzel nach Kiewer Art. Guten Appetit!“

Von Hannah Wagner