„Nice-to-have, nicht prioritär“ - Jetzt steht das Elterngeld auf dem Prüfstand: Lohnt sich das – oder kann das weg?

Der Reformdruck auf Union und SPD ist durch das milliardenschwere Finanzpaket noch größer geworden. Zwar halten sich die Koalitionäre bisher bedeckt, wo genau gespart werden soll. Gerade im sozialen Bereich ist vieles auf dem Prüfstand – auch das Elterngeld.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes haben es letztes Jahr 95.000 Menschen weniger bezogen. Der Ökonom Clemens Fuest hatte schon Anfang März mit seiner Forderung nach einer Abschaffung für Aufsehen gesorgt. 

Es sei „nice-to-have, aber nicht prioritär“, sagte der Ifo-Chef. Ähnlich äußerte sich der CDU-Politiker und Landkreistag-Präsident Achim Brötel.

Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer hält dagegen. Zwar sieht auch sie Sparbedarf. „Beim Elterngeld würde ich aber nicht ansetzen“, sagte die Ökonomin dem Tagesspiegel. Wer bezieht es – und was bringt es?

Elterngeld kostet rund acht Milliarden Euro

Eingeführt wurde das Elterngeld 2007 von Ursula von der Leyen, der damaligen Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Damit wollte man Eltern ermöglichen (vor allem auch Vätern), sich nach der Geburt Zeit für ihr Kind zu nehmen und damit beruflich kürzerzutreten. 

Speziell wollte man zudem die Erwerbsquote von Müttern fördern. Heute ist es mit acht Milliarden Euro der größte Einzelposten im Etat des Familienministeriums.

Bezugsdauer und Höhe des Elterngelds sind von verschiedenen Faktoren abhängig, wie dem Geburtstermin oder dem Erziehungsmodell (allein oder gemeinsam). Es orientiert sich vor allem am zu versteuernden Einkommen – also dem Bruttoeinkommen abzüglich Werbungskosten oder Freibeträgen – im Jahr vor der Geburt. Es beträgt rund zwei Drittel des Nettoeinkommens; mindestens 300 Euro, maximal 1800 Euro.

"Je mehr jemand verdient, umso größer sind die Einbußen, wenn man beruflich pausiert" Wirtschaftsweise Monika Schnitzer

Fuest kritisiert, dass viele Empfänger finanziell gut gestellt und daher nicht bedürftig seien. Schnitzer hält das Modell trotzdem für richtig. „Je mehr jemand verdient, umso größer sind die Einbußen, wenn man beruflich pausiert“, sagte die Ökonomin dem Tagesspiegel. 

Das BMFSFJ definiert das Elterngeld zudem nicht als klassische Sozialleistung, die darauf abzielt, Notlagen auszugleichen. Ziel sei, die breite Mitte der Gesellschaft zu erreichen.

Rund drei Viertel der Bezieher sind Frauen

Tatsächlich sind weniger Menschen anspruchsberechtigt. Früher lag die Einkommensgrenze für Paare bei zusammen 300.000, für Alleinerziehende bei 250.000 Euro. Im letzten Jahr wurde die Grenze auf 200.000 Euro abgesenkt. Für Kinder, die ab 1. April 2025 geboren werden, beträgt sie dann 175.000 Euro. Liegt das Nettoeinkommen darüber, erlischt der Anspruch vollständig.

Die Zahl der Elterngeldbeziehenden sank so auch im letzten Jahr um 5,4 Prozent auf 1,67 Millionen Menschen. Das ist der dritte Rückgang in Folge. Gleichzeitig wurden letztes Jahr auch so wenig Kinder geboren wie seit zehn Jahren nicht.

Rund drei Viertel der Elterngeldempfänger sind Frauen. Der Männeranteil ist seit zehn Jahren konstant gestiegen. Im letzten Jahr ging er erstmals wieder leicht auf 25,8 Prozent zurück. Deutliche Unterschiede gibt es zudem bei der Bezugsdauer: Frauen beziehen 14,8 Monate Elterngeld, Männer nur 3,8 Monate – auch der Wert steigt seit Jahren nur marginal.

Ökonominnen sehen gleichstellungspolitischen Erfolg

Gleichstellungspolitisch hat das Elterngeld trotzdem etwas bewirkt. Die Erwerbsquote von Frauen mit ein- bis zweijährigen Kindern liegt heute bei 40 Prozent – das sind neun Prozentpunkte mehr seit Einführung der Leistung.

„Mütter haben dadurch während der Elternzeit ein höheres Einkommen und sind finanziell weniger von ihrem Partner abhängig“, sagt die Ökonomin Katharina Wrohlich. Auch die Beteiligung von Vätern an der Elternzeit habe sich seit Einführung des Elterngeldes deutlich erhöht.

Auch Schnitzer hält das Instrument für wichtig. „Das Elterngeld wurde eingeführt, um berufstätigen Frauen die Entscheidung für Kinder zu erleichtern.“ Sie verweist zudem auf Studien, wonach das Elterngeld die Geburtenrate gesteigert hat. 

Besonders stark war dieser Effekt bei gut ausgebildeten Frauen. „Wir wollen diese Frauen nicht für den Arbeitsmarkt verlieren, wollen aber gleichzeitig auch nicht, dass diese Frauen sich gegen Kinder entscheiden“, sagte Schnitzer dem Tagesspiegel.

„Die allermeisten Väter, die Elternzeit nehmen, nehmen exakt diese zwei Monate“

Beide halten daher eine Abschaffung des Elterngeldes für das falsche Signal, sehen aber trotzdem Reformbedarf. „Einerseits sollte das Elterngeld an manchen Stellen sogar großzügiger als bisher gestaltet werden“, sagt Wrohlich. Seit Einführung wurden Mindest- und Höchstsatz nicht erhöht und haben durch die hohe Inflation der letzten Jahre real an Wert verloren.

Andererseits sollte es aus ihrer Sicht mehr Anreize für eine gleichmäßige Aufteilung der Kinderbetreuung geben. Für den vollen Anspruch muss jeder Elternteil mindestens zwei Monate in Elternzeit gehen (die sogenannten Partnermonate). 

„Die allermeisten Väter, die Elternzeit nehmen, nehmen exakt diese zwei Monate“, so Wrohlich. Sollte man Einsparungen vornehmen, empfiehlt sie, die Bezugsdauer zu verkürzen oder die Zahl der Partnermonate zu erhöhen.

Zumindest in ihren Wahlprogrammen bekannten sich CDU/CSU wie SPD noch zum Elterngeld und der Elternzeit. Beide wollen es erhalten und weiterentwickeln. Doch die wurden bekanntlich vor der finanzpolitischen Zeitenwende geschrieben. 

Bisher drangen keine Konflikte aus der dafür zuständigen Arbeitsgruppe an die Öffentlichkeit. Zum Stand der Verhandlungen wollte sich unter dem Verweis auf Vertraulichkeit am Montag kein Vertreter äußern.

Von Felix Kiefer

Das Original zu diesem Beitrag "Elterngeld auf dem Prüfstand: Lohnt sich das – oder kann das weg?" stammt von Tagesspiegel.