Literarischer Spaziergang mit „Henkerstochter“-Autor: Teilnehmer kamen bis aus Berlin
Oliver Pötzsch ist mit seiner Henkerstochter-Saga zu einem international bekannten Autor geworden. Auf einem literarischen Spaziergang durch Schongau konnte man mit ihm hautnah spannende Geschichten und Schauplätze der Handlung erleben.
Zweimal im Jahr bietet die Tourist Information neben den beliebten Themenführungen rund um die Schongauer Henkersfamilie Kuisl auch eine literarische Spurensuche mit dem Autor Oliver Pötzsch persönlich an. Kein Wunder, dass dafür auch diesmal wieder viele Liebhaber seiner Bücher aus Nah und Fern kamen – sogar aus Berlin waren Gäste nach Schongau angereist. Sie wollten erfahren, warum er schon als kleiner Junge Schriftsteller werden wollte, wie er von seinen Ahnen, den Schongauer Scharfrichtern, erfuhr und wie der Traum vom ersten eigenen Buch in Erfüllung ging. Mit seiner Ukulele und dem Lied „Ja so warn’s, die alten Henkersleut“ stimmte Pötzsch die Teilnehmer am Rathaus unterhaltsam auf die grausame Historie der frühen Neuzeit ein.
Stationen des Spaziergangs zusammen mit den Stadtführerinnen Kornelia Funke und Gisela Sporer, waren zunächst das Ballenhaus, der Kasselturm und der Klostergarten. In der altehrwürdigen Ratsstube im Ballenhaus las der Autor passende Passagen aus dem sechsten Band der Henkerstochter vor. Genau an diesem Ort entschieden nämlich zu jener Zeit die mächtigen Ratsherren, ob ein Angeklagter freigesprochen oder das Todesurteil verhängt wurde.
Ursula Engelwurz erzählt von Heilung, Räucherwerk, Elixieren und Tinkturen
Am Kasselturm wartete die kräuterkundige Turmherrin Ursula Engelwurz mit ihrer Enkelin Emilia auf die Gruppe. Sie wusste alles rund um Heilung, Räucherwerk, Elixiere und Tinkturen zu berichten. Frauen, die damals mit dem „Teufelszeug“ und „magischem Firlefanz“ hantierten, riskierten bekanntlich als „Hexen“ ihr Leben.
Zeitgleich erläuterte Pötzsch die komplizierte Rolle des Henkers, der nicht nur folterte und exekutierte, sondern auch als geschätzter Heiler arbeitete und oftmals im Dunkeln heimlich aufgesucht wurde. Der Schongauer Henker Jakob Kuisl aus Pötzschs Romanen wohnte genau wie andere „ehrlose Berufe“ recht einsam außerhalb der Stadt im stinkenden Gerberviertel, nah am Lech gelegen. Er besaß eine medizinische Bibliothek, einen großen Apothekerschrank und machte mit allerlei Arzneien ein gutes Geschäft. Als den Henkern später die Heillizenz entzogen wurde, betrieben sie weiter Handel mit makaberen Glücksbringern, beispielsweise Diebesdaumen oder Stücken vom Galgenstrick. So wie Jörg Abriel, der bei den Schongauer Hexenprozessen zwischen 1589 und 1592 Dutzende von unschuldigen Frauen hinrichtete – und eigentlich selbst ein Hexer war.
Im Turmsaal wurde früher gefoltert
Nach dem Besuch des Klosterhofs, in dem mit Rosenstöcken namentlich an jedes der 63 Schicksals der Hexenprozesse erinnert wird, war es Zeit für eine Mittagspause in einem zentral gelegenen kleinen Innenhof. Hier bestand neben dem Essen die Gelegenheit, weiter mit Pötzsch und den anderen Teilnehmern ins Gespräch zu kommen. Natürlich wurde die Zeit auch für Fotos und das Signieren von Büchern genutzt.
Am Nachmittag führte Gisela Sporer die Freunde der Henkerstochter weiter an verschiedene Handlungsorte, die mal historisch, manchmal von Pötzsch aber auch frei erfunden bzw. in einem anderen Zusammenhang leicht verändert worden waren.
Und dennoch waren sie nicht weniger spannend, so wie beispielsweise im Stadtmuseum das originale Richtschwert oder ein Meisterbrief aus dem 18. Jahrhundert, in dem einem Mitglied der Kuisl-Dynastie eine vorzügliche Hinrichtung bescheinigt wird. Im Turmsaal der Fronveste hörten die literarisch interessierten Spaziergänger noch eine Lesung zur Folter, wie sie in Band 8 der Henkerstochter genau an jenem Ort beschrieben wird. Und an der letzten Station am Schwanenweiher, wo damals im Wassergraben vornehmlich Frauen ertränkt wurden, wurden noch einmal verschiedene sogenannte „Spiegelstrafen“ erläutert, die jeweils abhängig vom Verbrechen waren und somit die Schwere des Delikts widerspiegelten.
Besonders grausam war der Galgenbichl auf einem Hügel im Norden Schongaus. Monatelang hingen hier die Kadaver am Galgen, damit kein Vorbeigehender auf den Gedanken kam, es ihnen gleichzutun. Eine Vorstellung, bei der es einem eiskalt den Rücken runterlief. Und doch war die Führung ein voller Erfolg, die künftig sicher noch viele Gäste nach Schongau locken wird.