Autor Oliver Pötzsch über das Ende der Henkerstochter-Romane: „Aufhören, bevor es sich ausleiert“

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Oliver Pötzsch © Hans-Helmut Herold

Zum Ende der erfolgreichen Henkerstochter-Reihe spricht Autor Oliver Pötzsch im Interview mit der Heimatzeitung über Verkaufszahlen, die Entstehungsgeschichte seiner Romane und seine Verbindung zu Schongau.

Als der Münchner Oliver Pötzsch, damals noch Fester freier Mitarbeit beim Bayerischen Rundfunk, im Jahr 2008 den ersten Henkerstochter-Roman über seine Vorfahren, die Schongauer Henkersfamilie Kuisl, herausbrachte, hätte er sich nicht erträumen lassen, was für ein Erfolg die Buchreihe werden sollte. Und auch die Stadt hat davon profitiert. Nach dem Erscheinen des zehnten Bandes und dem vorläufigen Ende der Reihe sprachen wir mit Pötzsch (54) über seine Erlebnisse in den vergangenen mehr als 15 Jahren und ob er Schongau weiter verbunden bleibt.

Herr Pötzsch, wissen Sie, wie viele Bücher von der Henkerstochter-Reihe verkauft wurden?

Ich muss mich da auf die Schätzungen verlassen, die von den Verlagen außerhalb Deutschlands reinkommen. Von meinen Büchern wurden insgesamt weltweit 3,5 Millionen Exemplare verkauft, der allergrößte Teil davon ist sicher die Henkerstochter. Ich kann es jetzt nicht genau sagen, aber so drei Millionen Exemplare, würde ich jetzt mal sagen.

Das ist schon eine Hausnummer.

Ja, das ist schon sehr krass. Die Leute denken dann immer, der Pötzsch ist Millionär. Aber die meisten Romane wurden in den USA verkauft, da gibt es keine Buchpreisbindung. Da geht mein Roman auch mal für 99 Cent über den Tisch, und dann ist noch der amerikanische und deutsche Verlag beteiligt. Aber ich will nicht jammern, es gibt, glaube ich, wenige deutsche Autoren, die so viele Bücher auf dem amerikanischen Markt verkauft haben. Bei den Russen weiß ich es leider nicht mehr. Vor einigen Jahren war ich dort auf Lesereise und die haben das auch eifrig verkauft. Schade, denn es ist eigentlich ein sehr lesefreudiges Land. Die Resonanz in anderen Ländern ist wirklich enorm.

Wir haben uns 2010 das erste Mal getroffen, da war gerade der zweite Henkerstochter-Band herausgekommen, der in der Umgebung von Schongau spielt. Damals haben Sie erstmals Exkursion zu den Orten gemacht, die im Buch vorkommen, was für Sie völliges Neuland war – Sie waren damals noch beim BR beschäftigt und wurden erst 2013 hauptberuflich Schriftsteller.

Das hat sich tatsächlich alles durch die Henkerstochter entwickelt. Also, wenn sie eine Schlagzeile haben wollen, schreiben Sie: „Schongau hat mein Leben auf den Kopf gestellt“. Es war eigentlich als Einzelprojekt geplant. Ich wollte für den BR ein Feature über meine Vorfahren machen, die Henkersfamilie Kuisl. Mit dem damaligen Kreisheimatpfleger Helmut Schmidbauer stand ich für ein Interview auf dem Galgenhügel im Norden Schongaus, das war sehr beeindruckend. Da wurde mir klar, dass das das Buch sein könnte, das ich eigentlich immer schreiben wollte. Ich habe das mit Freunden besprochen, die waren eher skeptisch: Ein Henker ist doch eine negative Figur, ob das funktioniert?

Oliver Pötzsch (l.) und Maximilian Geiger
„Es ist ein Glück für Schongau, dass Sie jemand gefunden hat, der sich so mit diesem Ort beschäftigt“, lobt Oliver Pötzsch (l.) Maximilian Geiger, der die Tourist Information leitet und schon zwei Festspiele zur Henkerstochter auf die Bühne gebracht hat. © Hans-Helmut Herold

Das hat Sie aber nicht abgehalten.

Nein. Ich habe daran geglaubt, mich hingesetzt und dieses erste Buch geschrieben. Und es war auch nur ein Buch geplant, weil alle Journalisten in ihrem Leben ein Buch schreiben müssen. Doch der Ullstein-Verlag fand das interessant und wollte gleich eine Serie draus machen. Ab dem dritten oder vierten Buch sind die Amerikaner aufgesprungen, und wenn man den amerikanischen Markt hat, hat man sehr schnell den internationalen Markt, weil andere Verlage in den Ländern hellhörig werden und sich fragen: Warum haben die das gekauft? Anfangs habe ich nur nebenher geschrieben, aber ich habe dann beim BR gekündigt, weil gleichzeitig Fernsehen und Radio sowie Bücher schreiben einfach zu viel war. Seitdem bin ich nur Autor, und das habe ich Schongau zu verdanken – und natürlich meinen Vorfahren.

Ihre Henkerstochter-Romane spielen auch in anderen Städten, in Regensburg gab es auch mal eine Henkerstochter-Führung. Ist Ihr Roman dort auch so präsent wie in Schongau? Geben Sie dort auch Führungen?

In Schongau machen wir schon am meisten, auch in Oberammergau bin ich öfter. In Andechs haben wir auch immer wieder Veranstaltungen gehabt, auch in Regensburg, aber da kam irgendwie Corona dazwischen, dann kam von denen nichts mehr. Mir macht das wahnsinnig Spaß, bei solchen Terminen mit meinen Lesern in Kontakt zu kommen. Denn Schreiben ist ja doch eine sehr einsame Tätigkeit.

Da kommt wieder ein bisschen der Journalist in Ihnen raus, oder?

Ja. Man hockt die ganze Zeit vorm Computer und ist mit sich alleine beschäftigt, dafür bin ich eigentlich gar nicht der Typ. Ich unterhalte mich gerne mit Leuten, auch die Recherche für ein Buch macht mir sehr viel Spaß, weil ich einfach neugierig bin. Und es geht natürlich runter wie Öl, wenn zu einer Lesung in Schongau wie zuletzt im Oktober Menschen aus allen möglichen Bundesländern und sogar dem Ausland kommen. Das macht total Spaß, mit denen ins Gespräch zu kommen und zu merken, dass ihnen meine Bücher gefallen.

Sie haben durch die Romane und die häufigen Besuche in Schongau auch viel über ihre Familiengeschichte gelernt, weil immer wieder Verwandte aus der Umgebung aufgetaucht sind.

Wir haben sogar mal ein Treffen mit allen Kuisls aus der Gegend gemacht, die kamen bis aus Marktoberdorf. Ich habe tatsächlich auch welche kennengelernt aus einem Zweig der Familie, den ich noch nicht kannte. Es gibt nämlich einen Josef Kuisl, der ein bekannter Heimatmaler in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen war. Verwandte haben mir die Anekdote erzählt, dass er ein entschiedener Gegner Hitlers war, und als ein Adjutant zu ihm kam und fragte, ob er ein Porträt Hitlers malen will, soll Kuisl gesagt haben, für den ist mir meine Farbe zu schade. Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber ich finde es eine wahnsinnig schöne Geschichte. Ich habe schon versucht, über eine Auktion an ein Bild von diesem Maler Kuisl zu kommen, bin aber leider ausgestochen worden.

Wussten Sie schon vor dem Schreiben des zehnten Henkerstochter-Bands, dass es der vorerst letzte sein wird?

Ja. Im Grunde war mir schon ab Band sieben klar, dass ich bald eine Zäsur setzen muss.

Sie haben den alten Haudegen Kuisl immer siechender beschrieben.

Das war für mich wirklich schwierig. Jakob Kuisl ist ja immer körperlich voll im Einsatz, man muss auch glaubwürdig bleiben. Deshalb habe ich gesagt: Wenn es am schönsten ist, soll man aufhören, bevor es sich ausleiert. Zumal sich die Henkerstochter-Romane komplizierter schreiben als andere, weil ich einen extrem großen Figurenkosmos aufgebaut habe. Und immer alle Personen zu bedienen und die Handlungslinie zum Schluss so zusammenzubringen, dass es nicht pseudo-zufällig ausschaut, fand ich immer sehr schwer. Vielleicht brauchte ich jetzt auch mal Urlaub von meiner Familie.

Wo kann man besser eine Schreibwerkstatt abhalten über das Schreiben historischer Romane als in der antiken Ratsstsube des Schongauer Ballenhauses? „Es ist viel Arbeit, aber es macht total Spaß“, sagt der Autor dazu.
Wo kann man besser eine Schreibwerkstatt abhalten über das Schreiben historischer Romane als in der antiken Ratsstsube des Schongauer Ballenhauses? „Es ist viel Arbeit, aber es macht total Spaß“, sagt Oliver Pötzsch über die Veranstaltung vom vergangenen Wochenende. © Hans-Helmut Herold

Sie haben schon betont, dass es noch nicht zu Ende sein muss. Es gäbe natürlich viele Möglichkeiten, den Faden wieder aufzunehmen.

Exakt. Ich habe immer mal wieder die ein oder andere Information fallen lassen, die vielleicht eine Bedeutung für die mögliche Zukunft haben kann. Wobei mir wichtig ist zu sagen: Es geht nicht darum, dass ich einen teuren Urlaub bezahlen muss und dann wieder ein Henkerstochter-Buch schreibe. Die Familie ist mir über die Jahre einfach ans Herz gewachsen. Und das geht nicht nur mir so: Es kam wahnsinnig oft vor, dass Besucher bei Lesungen gesagt haben: „Herr Pötzsch, bitte lassen‘s den Kuisl nicht sterben, bitte machen Sie weiter.“ Das war manchmal so, dass die Romane in der dritten Generation gelesen werden, weil es die eine an ihre Tochter und die an die Enkelin weitergegeben hat. Das hat mich auch gehemmt, einen Schlussstrich zu ziehen. Wenn ich die Henkerstochter also irgendwann weiterführen würde, dann auch deswegen, weil ich weiß, dass sich die Leser einfach freuen würden.

Wird man Sie auch ohne neue Henkerstochter-Romane künftig noch in Schongau sehen?

Ich werde für Führungen immer wieder in Schongau sein, und es gibt bestimmt noch total viele Möglichkeiten, Veranstaltungen zu machen, die mit dem Thema zu tun haben. Abgesehen davon ist die Gegend einfach schön, schon allein deshalb komme ich gerne.

Was die Henkerstochter Schongau bringt

Schon vor 15 Jahren hat Ursula Diesch, die damalige Leiterin der Tourist Info Schongau, vom Image-Gewinn durch die Henkerstochter-Romane geschwärmt. Damals wurde die erste Stadtführung zu den Büchern über die Schongauer Henkersfamilie Kuisl kreiert, die von allen Führungen am besten besucht gewesen sei – und das hat sich bis heute nicht geändert, zumal das Angebot deutlich ausgeweitet wurde: „Wir bekommen natürlich mit, wie gefragt die Führungen zu dem Thema sind“, sagt Dieschs Nachfolger Maximilian Geiger.

Er hat auch Zahlen parat: So sei der „Literarische Spaziergang mit Oliver Pötzsch und der Stadtführerin auf den Spuren der Henkerstochter durch das historische Schongau“ von 2021 bis 2024 jedes Jahr zweimal angeboten worden, mit insgesamt 334 Personen – also mehr als 40 pro Führung. Die Themenführung „Auf den Spuren der Henkerstochter“, die sich mit den Highlights aller Henkerstochter-Romane beschäftigt, wurde in den vergangenen zehn Jahren 96 Mal durchgeführt mit insgesamt 1891 Teilnehmern. Zum Festspiel „Die Henkerstochter und das Spiel des Todes“ des Theatervereins Treibhaus 2019 gab es eine extra konzipierte Erlebnisführung durch die Stadt und hinter die Kulissen des Festspiels. Diese wurde 19 Mal durchgeführt – mit insgesamt 345 Teilnehmern. Und schließlich die Themenführung „Henker-Heiler-Hexen“, die es seit 2020 gibt und seither 49 Mal durchgeführt wurde – mit insgesamt 829 Teilnehmern. „2024 war sie mit 23 Buchungen die meistbesuchte Stadtführung“, sagt Geiger.

Spezielle Führungen für Gäste aus dem Ausland gibt es nicht, doch mit englischen Audioguides können auch solche Besucher die Stadt und ihre Historie erkunden. Angesichts dieser Zahlen wäre Geiger logischerweise begeistert, „wenn zur Henkerstochter noch etwas kommen würde“.

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