Ist Lawrow bei Putin in Ungnade Gefallen? "Der Chef kann niemals im Unrecht sein"

Sergej Lawrow steht schon lange an der Seite von Kreml-Chef Wladimir Putin. Seit mehr als 20 Jahren ist er Russlands Außenminister. Auch im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg tritt Lawrow häufig in Erscheinung. 

Es fällt auf, wenn ein hochrangiger Politiker wie Lawrow wichtigen politischen Treffen fern bleibt. Genau dazu kam es in der vergangenen Woche. Als Putin bei einer Sitzung des russischen Sicherheitsrats eine mögliche Wiederaufnahme von Atomtests ankündigte, war sein Außenminister nicht da. Er fehlte als einziges der ständigen Mitglieder.

Kreml dementiert die Gerüchte

Die Gerüchteküche begann zu brodeln, auch wenn Lawrows Fernbleiben angeblich abgesprochen war. Denn noch ein weiterer Punkt sorgte für Verwunderung. 

Der russische Delegationsführer beim geplanten G-20-Gipfel in Johannesburg Ende des Monats wird nicht Lawrow sein. Stattdessen schickt Putin offenbar Maxim Oreschkin nach Südafrika. Er ist nicht nur deutlich jünger als der russische Außenminister, sondern auch ein rangniedrigerer Beamter. 

In den Medien und sozialen Netzwerken kam es zu wilden Spekulationen. Lawrow könnte bei Putin in Ungnade gefallen sein, hieß es. Und nach rund 21 Jahren im Amt womöglich seinen Job verlieren.

Lawrow schuld an Absage von Gipfel?

Der Kreml sah sich offenbar veranlasst, auf die Gerüchte zu reagieren. Mehrfach. In der vergangenen Woche kam es zum ersten Dementi. Lawrow sei nicht bei Putin in Ungnade gefallen. 

Vermutungen, der Außenminister habe sich beim russischen Präsidenten unbeliebt gemacht, "haben nichts mit der Wirklichkeit gemein", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow russischen Nachrichtenagenturen zufolge. Und weiter: "Zweifellos arbeitet Lawrow als Außenminister. Natürlich." 

Am Montag dann das nächste Statement. Gegenüber Journalisten betonte Peskow vor dem Hintergrund eines möglichen Zerwürfnisses von Putin und Lawrow: "All diese Berichte sind absolut falsch."

Ex-Beamter: Lawrow richtete "diplomatisches Fiasko" an

Auch ein ehemaliger hochrangiger Kreml-Beamter sagte im Gespräch mit dem "Guardian", es gebe keinerlei Anzeichen dafür, dass Lawrow „verbannt“ worden sei. Die Abwesenheit des Außenministers bei zwei öffentlichen Veranstaltungen sei an sich noch kein Beweis für einen Fall vom Sockel.

Der Ex-Beamte hielt es im Gespräch mit dem "Guardian" außerdem für unwahrscheinlich, dass Putin einen Diplomaten, der ihm viele Jahre loyal zur Seite stand, entlassen würde. 

Trotzdem soll es zwischen dem Kreml-Chef und Lawrow zu Unstimmigkeiten gekommen sein. Gemutmaßt wird, dass Putin seinem Außenminister die Schuld für ein geplatztes Treffen von US-Präsident Donald Trump und Putin in Budapest gibt. 

Putin will nicht mit der Ukraine verhandeln. (Archivbild)
Außenminister Sergej Lawrow mit Wladimir Putin Sergey Savostyanov/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Denn Lawrow hatte mit seinem US-Kollegen Marco Rubio telefoniert, bevor es zur Absage kam. Der Ex-Kreml-Beamte sagte dem "Guardian", dass Lawrow  das Gespräch mit Rubio "ungeschickt" angegangen sei und ein "diplomatisches Fiasko" angerichtet habe.

Lawrow soll Schuld an abgesagtem Trump-Treffen sein

In Medienberichten heißt es, Lawrow hätte kompromisslose Forderungen gestellt und die russische Linie hart vertreten. So hart, dass Trump das Treffen mit Putin wegen zu geringer Aussichten auf Erfolg abgesagt haben soll. 

"Putin wollte das Treffen in Budapest abhalten, und es war nicht Lawrows Aufgabe, dazwischenzufunken", so der Ex-Beamte im "Guardian". Immerhin wäre die Begegnung mit dem US-Präsidenten eine weitere Gelegenheit gewesen, seine Positionen im Ukraine-Krieg zu untermauern. 

Der Kreml-Chef hätte versuchen können, sich den USA weiter anzunähern, ohne echte Kompromisse einzugehen. Trotzdem: Ob es wirklich Lawrows Schuld war, dass die Begegnung der beiden Präsidenten vorerst platzte, ist unklar. 

Boris Bondarew, ein ehemaliger hochrangiger Diplomat, der nach Russlands Ukraine-Invasion aus dem Dienst ausschied, hielt es im Gespräch mit dem "Guardian" für untypisch, wäre Lawrow aus seiner Rolle als bloßer Vermittler herausgetreten.

"Im russischen System kann der Chef nie im Unrecht sein"

"Putin hat all die Jahre sehr gut mit Lawrow zusammengearbeitet", sagte er. "Er weiß genau, dass man niemals etwas sagen sollte, was nicht hundertprozentig mit der Position des Präsidenten übereinstimmt." 

Bestehe auch nur die geringste Möglichkeit, dass Putin etwas nicht gefalle, würde Lawrow es seiner Einschätzung nach nicht sagen. "Daher ist die Annahme, Lawrow habe Verhandlungsunwilligkeit gezeigt und dies habe das Treffen irgendwie zum Scheitern gebracht, unwahrscheinlich. Es gibt keine separate Lawrow-Linie; nur Putins."

Allerdings merkte Bondarew an, dass der russische Präsident seinem Außenminister womöglich ganz bewusst die Schuld für das geplatzte Treffen in die Schuhe schiebt. Denn: "Im russischen System kann der Chef niemals im Unrecht sein."

mit Material der dpa