Lauterbach flüchtet sich in ARD-Talk in Floskeln und nennt den "Elefant im Raum"

Wäre der aktuelle Umfragewert so etwas wie ein Blutdruck der einzelnen Parteien, müsste man sich allergrößte Sorgen um die SPD machen. In den Umfragen liegen die Genossen nur noch bei knapp 15 Prozent. Das reicht, um in der Medizin-Metapher zu bleiben, gerade mal aus, um die lebensnotwendigen Funktionen am Laufen zu halten. Zum Glück hängen die Sozialdemokraten als Teil der Regierung derzeit am Tropf der Union und können ein wenig von deren Prozentwerten zehren. Doch wie lange noch?

Auf Stütze aus den eigenen Reihen kann Patientin SPD dabei leider nicht setzen: Zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung sind selbst bei den SPD-Wählern nur 38 Prozent, von den Zustimmungswerten der Nicht-SPD-Fans wollen wir an dieser Stelle gar nicht erst reden. Statt dem „Herbst der Gefühle“ befeuert die schwarz-rote Koalition eher eine Art verfrühte Winterdepression, dessen Gründe der Politikwissenschaftler Carlo Masala bei „Maischberger“ beschreibt als das Kollektivgefühl, dass wir „in allen Prozessen zu langsam sind“: Die deutsche Regierung mache Politik so, „als ob wir in Friedenszeiten leben“.

SPD-Mann Lauterbach bei Maischberger: Der Elefant im Raum

Wie lässt sich wieder Schwung in die Sache bringen? Zu dieser Frage konsultiert Sandra Maischberger diesmal Karl Lauterbach, als promovierter Mediziner und ehemaliger Gesundheitsminister ja so etwas wie der Leibarzt seiner Partei. Der legt den Finger in die Wunde und zählt, beinahe ohne Atem zu holen, Missstände auf, die den Menschen in Deutschland momentan Magenbeschwerden verursachen: ein Bildungssystem, das seinem Namen nicht mehr gerecht wird, ein Gesundheitssystem, das zur Minimalversorgung schrumpft. Dazu das nagende Gefühl vieler, dass das Leben immer teurer wird. „Der Elefant im Raum“, diagnostiziert Lauterbach, „ist das Gerechtigkeitsproblem.“

Als Therapie mahnt Lauterbach an dieser Stelle Reformen an, etwa im Sinne von Ex-Kanzler Gerd „Agenda 2010“ Schröder, dem SPD-Chef Lars Klingbeil kürzlich attestierte, der habe „mutige Reformen angepackt“. Solche, die Deutschland jetzt auch brauchen könnte. Höchste Zeit für Lauterbach, sich der aktuell beliebtesten Floskel aller Regierungspolitiker zu bedienen: „Wir müssen hier liefern.“

Was wäre, wenn die SPD nicht regiert hätte?

Wäre es nicht so deprimierend, man müsste Lauterbach applaudieren zu seiner Darstellung einer gespaltenen Persönlichkeit: Der SPD-Politiker redet bei „Maischberger“, als wäre er tatsächlich nur ein Konsultationsarzt, den man hier um eine Zweitmeinung zu einem nahezu hoffnungslosen Fall gebeten hat. Als hätte die SPD mit all dem, was seit Jahren schiefläuft, schlichtweg nichts zu tun. Als wäre seine Partei nicht Teil der Regierung, die auf eine Regierung folgte, bei der seine Partei sogar den Kanzler stellte.

Nur ganz kurz gibt Lauterbach zu: „Obwohl wir regieren, ist die Ungerechtigkeit größer geworden.“ Sein Zuckerl für enttäuschte Genossen: „Wenn wir nicht regiert hätten, wäre vielleicht alles noch viel schlimmer.“ Als würde dies ausreichen als Regierungsbilanz.

Wo die Aufschieberitis grassiert

Aus Laiensicht deutet vieles darauf hin, dass die SPD – ähnlich wie die Union als ihr aktueller Regierungskomplize – unter chronischer Aufschieberitis leidet: lieber reden als machen. Im Rückblick auf seine ergebnisarme Zeit als Gesundheitsminister urteilt Lauterbach, ihm sei damals schlicht „die Zeit weggelaufen“. Etwa, um mit einem Präventionsgesetz ein Umdenken im Gesundheitssystem einzuleiten: Gesundheit zu erhalten, anstatt erst lange nichts zu tun und dann die dadurch entstandene Krankheit zu therapieren.

In den USA wie in vielen europäischen Ländern sehen wir bereits, was passiert, wenn man das Thema Vorsorge gesellschaftlich vernachlässigt: Wenn das Gefühl der Ungerechtigkeit in der Bevölkerung weit über Elefantengröße hinauswächst, haben Populisten ein leichtes Spiel. Lauterbach aber hält das Immunsystem Deutschlands für stark genug, um mit dieser viralen Bedrohung fertigzuwerden.

Festhalten am Prinzip Zuversicht

Die deutsche Gesellschaft halte die 15 bis 20 Prozent in der Bevölkerung aus, „die sich mit dem demokratischen System schwertun“, prognostiziert der Politmediziner. Und wenn man nun seitens der Regierung wirklich Ernst macht und die zunehmende Verarmung eines Teils der Bürger stoppt sowie den Missbrauch bei Migration und Bürgergeld tatsächlich bekämpft, dann lasse sich der Rechtsruck aufhalten.

Prof. Dr. Lauterbach zumindest blickt angesichts dieser Aufgaben positiv in die nahe Zukunft: „Ich glaube, dass die Koalition dafür das Potenzial und auch die Kraft hat.“ Und schenkt uns am Ende eine allerletzte Floskel, die nicht einmal mehr Trostpflaster-Qualitäten hat: „Wir können es uns nicht leisten, zu scheitern.“