Heizen wir in zehn Jahren ganz anders? Viele Infos und Fragen zum kommunalen Wärmeplan in Kempten

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Bastian Hiergeist (l.), Konsultant im Zentrum für Digitale Entwicklung, moderierte den Bürgerdialog zur Kommunalen Wärmeplanung in Kempten. Jakob Schulz (v.l.), Projektleiter bei Greenventory, Kemptens Baureferent Tim Koemstedt, Antje Schlüter von der Stabsstelle Wärmeplanung der Stadt, Christoph Lindermayr , Geschäftsführer der ZAK Energie GmbH, Anselm Pfitzmaier von Schwaben Netz GmbH und Volker Wiegand von der Allgäu Netz GmbH standen Rede und Antwort. © Fischer

Fast ein Jahr wurde an der kommunalen Wärmeplanung für Kempten gearbeitet. Jetzt beginnt die öffentliche Diskussion darüber. Am Anfang stand ein Bürgerdialog im Tagungszentrum S4.

Kempten – „Wir tragen gemeinsam die Verantwortung für die Zukunft, dafür, dass unsere Stadt lebens- und liebenswert bleibt. Es kann und muss ohne Carbon gehen“, sagte Bürgermeisterin Erna-Kathrein Groll in ihrer Einführung. Für diesen Weg gebe es in Kempten große Potenziale.

Den Weg in einem zentralen Teilbereich soll der kommunale Wärmeplan beschreiben. Diesen erstellte – im Auftrag der Stadt, den gesetzlichen Vorgaben entsprechend und in Zusammenarbeit mit örtlichen Experten – die Firma „Greenventory“ aus Freiburg, die wiederum mit dem Zentrum für Digitale Entwicklung aus Westhausen kooperiert.

Bürgerdialog in Kempten: Das kann ein Wärmeplan leisten und was nicht?

Projektleiter Jakob Schulz stellte gleich am Anfang fest: Der Wärmeplan ist nur ein strategisches Instrument. Er geht inhaltlich tiefer als der Flächennutzungsplan oder die Klimastrategie der Stadt, hat aber „eine bestimmte Flughöhe“ und seine Grenzen. Rechtlich gesehen besteht keine Pflicht, die Infrastruktur tatsächlich zu errichten. Das heißt: Wenn der Plan für ein Quartier den Ausbau von Fernwärme vorsieht, wird dort zuerst eine Wirtschaftlichkeitsprüfung angesetzt.

Diese wurde auf dem Lindenberg vor kurzem mit einem positiven Ergebnis abgeschlossen, brachte Christoph Lindermayr, Geschäftsführer der ZAK Energie GmbH, ein aktuelles Beispiel. Jetzt geht sein Unternehmen auf die größeren Verbraucher, auf sogenannte „Ankerkunden“ zu. Wenn mindestens die Hälfte von diesen mitmacht, kann man mit der konkreten Planung anfangen. Erst dann werden Besitzer von Familienhäusern einbezogen. Der Grund dafür ist, dass die Errichtung der Übergabestationen bei dem Kemptener Hochtemperatur- und Hochdrucknetz „relativ teuer“ und deswegen ohne Großabnehmer nicht realisierbar ist. In die andere Richtung gedacht: Ist für ein Quartier im Wärmeplan keine Fernwärme vorgesehen, muss man dort de facto nach anderen Lösungen Ausschau halten.

Ausgeklammert aus dem aktuellen Plan ist die Zukunft des Gasnetzes. Man rechnet damit, dass erst 2028 ein Plan für dessen Umstellung auf klimaneutrale Gase wie Biogas oder Wasserstoff erstellt wird. Laut Anselm Pfitzmaier, Vertreter des Netzbetreibers Schwaben Netz GmbH, sind 98 Prozent der vorhandenen Infrastruktur auch jetzt wasserstofftauglich. Er rechnet jedoch damit, dass die Umstellung im süddeutschen Raum erst Ende der 30er-, Anfang der 40er-Jahre erfolge und dass dann Wasserstoff nicht mehr die dominierende Erdgas-Alternative sein werde.

Manche Kommunen haben beschlossen, das Gasnetz abzuschalten

Da man mit der momentan meist genutzten Energiequelle nicht rechnen konnte, überwiegt auf dem Plan für 2035 die Farbe Blau als Symbol für Wärmepumpen. Wenn man mehr dazu weiß, soll die Planung angepasst werden. Ein Bürger erinnerte daran, dass manche Kommunen bereits beschlossen haben, das Gasnetz abzuschalten, um die Wärmewende zu beschleunigen, und fragte, ob Kempten Ähnliches vorhabe. Es handle sich um eine politische Entscheidung, über die hier noch keine Diskussion stattfand, antwortete Tim Koemstedt, Leiter des Referates Planen, Bauen und Verkehr. Es sei ab 2027 mit einer Preiserhöhung für Gas und Öl zu rechnen, so steht es in der schriftlichen Vorlage der Stadtverwaltung. Ab dann wird der CO2-Preis nicht durch deutsche Gesetze, sondern durch den europäischen Emissionshandel bestimmt.

Ein Plan der Stadt Kempten mit farbigen Flecken. Den Großteil macht die Farbe Gelb aus, die anzeigt, dass hier mit Erdgas geheizt wird.
So wird in Kempten aktuell geheizt. In den kommenden Jahren stehen große Veränderungen bevor. © Grafik: Greenventory/Stadt Kempten

Heizen in Kempten: Der Ist-Zustand

75 Prozent der erforderlichen Wärme werden in Kempten mit fossilen Brennstoffen wie Erdgas und Heizöl erzeugt. Mehr als die Hälfte des Bedarfs entsteht im privaten Wohnbereich, rund 37 Prozent in der Industrie. Der Gebäudebestand ist verhältnismäßig alt, 72 Prozent wurden vor 1979 gebaut, in einer Zeit, in der keine umweltbezogenen Vorgaben existierten.

Der Soll-Zustand in Kempten 2035 „sehr ambitioniert“

Die Stadt hat das Ziel, bis 2035 die Klimaneutralität zu erreichen, was an diesem Abend mehrmals als „sehr ambitioniert“ bezeichnet wurde. Die technischen Potenziale in Kempten würden dafür „bilanziell reichen“, stellte Schulz fest. Ein Bürger kritisierte den Begriff: Was bilanziell reiche, sei technisch nicht umsetzbar, weil man hierbei die jahreszeitlichen Schwankungen und die mangelnden Speichermöglichkeiten nicht berücksichtige. Man müsse auf die Mischung verschiedener Lösungsmöglichkeiten setzen, erwiderte der Projektleiter und gab zu, dass die Stadt „vor riesigen Herausforderungen“ stehe.

Große Veränderungen stehen in den kommenden zehn Jahren bevor: Statt Erdgas sollten die Bürgerinnen und Bürger 2035 in Kempten vor allem mit Wärmepumpen heizen, die durch PV-Anlagen unterstützt werden. © Grafik: Greenventory/Stadt Kempten

Die Hebel zur Umsetzung des kommunalen Wärmeplans in Kempten

Koemstedt nannte zwei Hebel, um das Ziel zu erreichen: Einerseits den Ausbau erneuerbarer Energien, andererseits die Sanierung des alten Gebäudebestands. Durch Letztere könnte der Wärmebedarf stark reduziert werden, Schulz sprach von etwa 50 Prozent, vor allem, wenn man Gebäude, die zwischen 1949 und 1978 gebaut wurden, ins Visier nimmt. Der Wärmeplan sieht eine jährliche Sanierungsquote von zwei Prozent vor, laut Antje Schlüter von der Stabstelle Wärmeplanung liegt dieser Wert momentan bei einem Prozent.

Thomas Hartmann, Energieberater und Stadtrat (Grüne) forderte eine Verzehnfachung: „Wenn wir das nicht hinkriegen, funktioniert alles nicht.“ Konservativ berechnet sei damit ein Investitionsbedarf von rund 100 Millionen Euro jährlich notwendig. Die Stadt habe mehrfach versucht, Anreize zu schaffen, trotzdem werde die Sanierungsquote „nicht überdurchschnittlich“, sagte Koemstedt. Das Beratungsangebot führe nicht automatisch zur Umsetzung. Die Gründe sind oft wirtschaftlicher Art, aber auch generationsbedingt: „Ich gehe das nicht mehr an“, meinten ältere Menschen. Es handle sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die die Stadt allein nicht stemmen könne.

Mehr Fernwärme führt nicht zu mehr Müllverbrennung

Zurzeit hängen zwölf Prozent der Gebäude am Fernwärmenetz, bis 2035 sieht der Plan eine Steigerung auf 16 Prozent vor. Wünschenswert wären 25 Prozent, sagt Schlüter. Ein Bürger äußerte seine Sorgen, dass die Erhöhung der Kapazitäten zur Vermehrung der Müllmengen führen könnte und wies darauf hin, dass die Verbrennung nicht klimaneutral sei.

Lindermayr erklärte, dass seit diesem Jahr kein Müll deponiert werden dürfe und 75 Prozent der Gesamtmenge recycelt würden. Den restlichen 25 Prozent könne man nicht wiederverwerten, deswegen müssten diese verbrannt werden. Es gelte, die dabei entstandene Abwärme zu nutzen.

Der ZAK werde die Müllverbrennung nicht erweitern. Ziel sei die effektivere Nutzung der vorhandenen Kapazitäten durch Netzausbau und die Erschließung neuer Wärmequellen, beispielsweise durch die Nutzung industrieller Abwärme. Der ZAK wolle außerdem die Spitzenlastabdeckung auf Biomasse und Biogas umstellen. Der biogene Anteil des verbrannten Mülls, der zu biogenen CO2-Emissionen führe, liege zurzeit bei 53 Prozent, er rechne mit einer Steigerung, weil die Auflagen für die Industrie bei der Verwendung von Kunststoffen sich ebenfalls erhöhten, wodurch weniger Plastik verbrannt wird.

„Wo sollen die riesigen Holzmengen herkommen?“

Der Anteil an Biomasse soll von jetzt knapp fünf Prozent bis 2035 auf 20 Prozent steigen. Biomasse sei die moderne Bezeichnung für Schnitt-, Restholz und Pellets, sagte ein Bürger und fragte: „Wo sollen die riesigen Holzmengen herkommen?“ Er wies auf illegale Abholzungen in Osteuropa hin. Außerdem werde beim Verbrennen von Holz doppelt so viel CO2 freigesetzt wie beim Verbrennen von Gas. Holz brauche man auch für andere Zwecke, hier entstehe eine Konkurrenz. „Ich möchte ihren Aussagen nicht widersprechen“, erwiderte Schulz. Er erinnerte daran, dass auch bei den Freiflächen-PV-Anlagen ein Konkurrenzverhältnis zur Landwirtschaft bestehe.

Nach dem Plan sollen 2035 mehr als 60 Prozent der Gebäude mit Wärmepumpen versorgt werden (46 Prozent mit Luftwärme und 16 Prozent mit Erdwärme). Es lohnt sich, in diesem Zusammenhang einen Blick auf die hohen Zahlen bei der Analyse des technischen Potenzials für Geothermie zu werfen. Ein Bürger fragte konsequenterweise, ob in Kempten auf Großwärmepumpen basierende Netzwerke geplant seien.

Private Energiegesellschaften gründen

Nein, antwortete Lindermayr, aber in Sonthofen prüfe man zurzeit eine Großwärmepumpe bei der Versorgung eines Stadtteils. Hier passiere deswegen so wenig, weil man preislich mit Gas noch nicht konkurrieren könne. Ein anderer Bürger fragte, ob die Stadt sich vorstellen könnte, auf naheliegenden öffentlichen Flächen Bohrungen durchzuführen, um für die Hauseigentümer in der Umgebung ein neues Potenzial zu eröffnen. Bei Bestandsquartieren sehe er dafür kaum eine Möglichkeit, antwortete Koemstedt und empfahl, über die Gründung privater Energiegesellschaften nachzudenken.

In der Potenzialanalyse wird als eine innovative Möglichkeit die Nutzung der Flusswärme der Iller aufgeführt. Diese könne ähnlich wie eine Wärmepumpe funktionieren, erläuterte der Projektleiter. Eine Bürgerin bedankte sich für die Informationen und die Transparenz, die diese Veranstaltung ermöglichte.

Kommentar von Lajos Fischer

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