Haupt- und Finanzausschuss in Kempten informiert sich über die Instrumente eines Baulandbeschlusses

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Jahrelang brachliegende Baugrundstücke im Herzen der Stadt: Kann die Stadt diese Situation, wie auf dem Bild in der Bodmanstraße, mithilfe eines Baulandbeschlusses verhindern? © Lajos Fischer

Für Baulandbeschlüsse steht eine Vielzahl von „Werkzeugen“ bereit, die den Kommunen erlauben, mehr Einfluss auf den kommunalen Wohnungsmarkt und dadurch auf die Stadtentwicklung auszuüben. Laut einer vor vier Jahren erstellten Befragung nutzten etwa 70 Prozent der Städte zwischen 50.000 und 100.000 Einwohnern in Deutschland dieses Ins­trument, Tendenz steigend. In der letzten Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses begann auch Kempten, die ersten ernsthaften Schritte in diese Richtung zu unternehmen.

Kempten – Der erste Antrag mit diesem Ziel wurde 2019 von der Grünen Fraktion gestellt. Sie schlug damals vor, Baugebiete nur dann auszuweisen, wenn sich die Flächen im Eigentum der Stadt befinden. 2021 forderte die SPD-Fraktion die Einführung von Sozialgerechter Bodennutzung (SoBon) in Kempten und erreichte, dass ein Experte, Dr. Gerhard Spieß, den Stadtrat über die damit verbundenen Chancen informierte. Eine Arbeitsgruppe wurde eingerichtet, die 2022 den Vertretern der Fraktionen mögliche Eckpunkte präsentierte. Nach einer langen Pause stand jetzt ein grundlegender Sachbericht auf der Tagesordnung. Kurz danach ernannte Oberbürgermeister Thomas Kiechle, bei seiner erneuten Nominierung zum OB-Kandidaten der CSU, die Durchsetzung der Inhalte eines Baulandbeschlusses zu einem der zentralen Vorhaben der kommenden Legislaturperiode).

Die Vorstellung von Christian Klink, dem stellvertretenden Leiter des Amtes für Wirtschaft und Stadtentwicklung, war wesentlich übersichtlicher und klarer formuliert als der frühere Vortrag von Dr. Spieß. Er bezog sich auf zwei Veröffentlichungen des Deutschen Instituts für Urbanistik und nannte gleich am Anfang die Kernfrage: Wie stark und in welchem Tempo möchte Kempten wachsen? Bei der Neuaufstellung des Flächennutzungsplans geht man in den nächsten 15 Jahren von einem starken Wachstum aus. Das Anpassen der verkehrlichen, schulischen und sozialen Infrastruktur kostet viel Geld.

Wenn man die Grenzen der Leistungsfähigkeit des städtischen Haushaltes kenne, stelle sich nicht mehr die Frage, warum man einen Baulandbeschluss brauche, sondern nur die nach den geeigneten Instrumenten, betonte Klink. Bevor er aber auf deren Vorstellung einging, nannte er eine andere Statistik, die zeigt, warum die Stadt Spekulanten keinen unnötigen Gestaltungsraum auf dem Markt überlassen, sondern lieber das Heft des Handelns in die Hand nehmen sollte: Während der Verbraucherpreisindex zwischen 1962 und 2017 um gut 300 Prozent nach oben ging, stiegen die Preise von Grund und Boden im gleichen Zeitraum um 2.300 Prozent.

Mögliche Instrumente für die Stadt Kempten

Von dem großen „Blumenstrauß“ an angemessenen Regelungen schlägt die Verwaltung vor, folgende genauer unter die Lupe zu nehmen:

1. Folgekosten fair aufteilen

Die Stadt hat die Möglichkeit, Investoren an den Folgekosten ihrer Baumaßnahmen (z.B. Schaffung von Kita- und Schulplätzen) zu beteiligen. Dies muss dann in einem städtebaulichen Vertrag festgeschrieben werden. Die Höhe des Beitrags muss transparent, im Voraus kalkulierbar, verlässlich und angemessen sein. Mehr als 100 Kommunen gehen diesen Weg bereits, u. a. auch Kaufbeuren. Der faire Lastenausgleich zwischen Stadt und Investoren sorgt nicht nur für die Entlastung des städtischen Haushalts, sondern er macht auch ein gesundes, Hand in Hand verlaufendes Wachstum von Wohnraum und sozialer und schulischer Infrastruktur möglich. „Da einen gewissen Beitrag einzufordern, ist das Postulat der Stunde. Wir werden daran nicht vorbeikommen“, sagte Baureferent Tim Koemstedt.

2. Mindestquoten für den sozialen Wohnungsbau

Der andere Punkt, den Koem­stedt für unabdingbar hält, ist ab einer bestimmten Größenordnung des Bauvorhabens die Festsetzung von Mindestquoten für geförderte soziale Mietwohnungen, die ebenfalls in einem städtebaulichen Vertrag festzulegen sind. In Kempten besteht großer Bedarf an Wohnungen für Menschen in der unteren und mittleren Einkommensschicht. Wenn man will, dass Wohnungen gebaut werden, die tatsächliche Bedarfe decken, braucht man dafür einen Grundsatzbeschluss des Stadtrats. Durch derartige Regelungen könne man auch dafür sorgen, dass ein ausgewogenes Mischverhältnis zwischen Einfamilienhäusern, Doppelhäusern und Hausreihen entsteht, erklärte Klink. Fast 250 Kommunen gehen bereits diesen Weg, Kaufbeuren ist schon dabei. Es geht dabei um fachlich fundierte Methoden, die in Deutschland seit 30 Jahren diskutiert und angewendet werden, fügte Koem­stedt hinzu.

3. Zwischenerwerb mit kooperativem Baulandmodell

In diesem Fall stellt die Stadt Bebauungspläne erst dann auf, wenn sie vorher mindestens einen bestimmten Teil der Grundstücke im Planungsgebiet zu einem transparent ermittelten Preis erwerben konnte. Ziel ist es, den Grundstock von Entwicklungsflächen für Wohnungsbau und Gewerbe im städtischen Eigentum vorzuhalten und stetig zu erweitern. Das Beispiel von Ulm zeigt eindrücklich, dass eine Bodenbevorratung zu einer deutlichen Preisdämpfung führen kann, sowohl im Bereich der Grundstückspreise als auch beim Mietniveau.

4. Konzeptvergabe

Die Entstehung lebendiger, gemischter Quartiere mit hoher Qualität für die Stadtgesellschaft kann dadurch gefördert werden, dass kommunale Liegenschaften nicht an den Bieter des höchsten Preises, sondern des besten Konzepts veräußert werden. Man kann dafür etwa soziale, gestalterische, energetische oder umweltbedingte Kriterien festlegen.

5. Besonderes Vorkaufsrecht

Mithilfe einer Vorkaufsrechtssatzung kann sich die Kommune zusätzlich zu ihrem gesetzlichen allgemeinen Vorkaufsrecht den Zugriff auf städtebaulich bedeutende und auf unbebaute Grundstücke sichern.

6. Erbbaurecht

Erbbaurecht bedeutet, dass das Eigentum der Immobilie und des Grundstücks nicht in der gleichen Hand ist. Die von der Stadt betreuten Stiftungen nutzen diese Möglichkeit. Durch das erhöhte Zinsniveau erlebt diese Rechtsform zurzeit eine Renaissance. Die höheren Erbbauzins-Einnahmen könnten auch der Stadt zugutekommen.

7. Erstzugriffsrecht für die Sozialbau

Die Stadt hätte auch die Möglichkeit, dem kommunalen Wohnungsunternehmen Sozial­bau ein Erstzugriffsrecht bei städtischen Grundstücken einzuräumen, gefolgt von genossenschaftlichen Bauunternehmen wie der BSG Allgäu und der Baugenossenschaft. Für gemeinschaftliche und genossenschaftliche Wohnprojekte empfiehlt sich auch das Gewähren von speziellen Erbbauzins-Konditionen.

Bei einem Baulandbeschluss geht es um ein dynamisches Gebilde, das regelmäßig angepasst werden kann, betonte Klink. Der Wunsch der Verwaltung sei, die Informationen in die Fraktionen zu nehmen und zu diskutieren. In der nächsten Ausschusssitzung könne man darüber weitersprechen und für die genaue Weiterbearbeitung Prioritäten setzen.

„Die Wohnfrage ist eine der drängendsten unserer Gesellschaft“, betonte Kiechle. Man brauche eine differenzierte Betrachtung, um die Lösungen auszuwählen, die zu Kempten passten. Er wünsche sich darüber eine offene Diskussion.

Die Diskussion

Es sei richtig und wichtig, sich damit intensiv zu befassen, sagte Katharina Schrader (SPD). Sie fügte in Bezug auf ihren SoBon-Antrag hinzu: „Es ist egal, wie das Kind heißt, Hauptsache, wir machen uns auf den Weg.“ Dieser Beschluss bringe eine ganze Reihe von Vorteilen, stellte Thomas Hartmann (Grüne) fest und fragte: „Warum haben wir ihn nicht schon längst?“ Er würde sich wünschen, dass die Stadt bereits jetzt von ihrem allgemeinen Vorkaufsrecht öfter Gebrauch mache. „Gute Dinge sollen Weile haben, aber diese Weile ist zu lang“, merkte Bürgermeisterin Erna-Kathrein Groll (Grüne) kritisch an. In den vergangenen drei Jahren hätte man einiges weiterbringen können. Die Solidarität sei ein wichtiger Wert und man müsse einsehen, dass die Stadt nicht alles alleine stemmen könne. Sie schlug vor, über die Qualität des erwünschten Wachstums nachzudenken.

Dass man nicht schneller zu einem Beschluss gekommen sei, habe etwas mit der Komplexität des Themas und des fehlenden Konsenses zu tun, sagte ­Andreas Kibler (FW). Das Baulandprogramm baue neue Hürden auf und führe zu Teuerungen. Er frage sich, ob es zu Kempten passe und ob es das elementare Ziel, Wohnraum zu schaffen, nicht eher teurer mache und verzögere. „Geht es um eine Sondersteuer für Investoren?“, fragte er. Wenn man die Investoren zur Kasse bitte, würden diese Kosten diejenigen zahlen, die die Wohnungen kauften oder mieteten. Etwas anderes zu behaupten, sei „eine Augenwischerei“. Er habe große Vorbehalte, die Freien Wähler werden das Thema aber in ihrer Fraktion gerne vertieft diskutieren.

Er sei mit den Zielen, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und die Folgekosten gerecht zu verteilen, einverstanden, betonte Prof. Robert Schmidt (CSU). Man sollte aber jedes Instrument einzeln betrachten, juristisch absichern und die Erfahrungen anderer Kommunen genau anschauen. Helmut Berchtold (CSU) warnte davor, „die große Nummer“ zu erwarten. Man werde in den Fraktionen festlegen, wo man mitgehen könne und schauen, wo es zu viel Konfliktpotenzial gebe. Die Zeit bis zur nächsten Sitzung im September sei dafür seiner Meinung nach zu kurz.

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