Flächennutzungsplan Kempten: Neuaufstellung findet nach kontroverser Diskussion Mehrheit im Stadtrat

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„Bunt wie ein Hundertwasser-Gemälde“ sieht die Gesamtübersicht des Flächennutzungsplans aus. Um sich noch orientieren zu können, wurden ein paar Fragestellungen in zusätzliche Themenkarten ausgelagert. © Stadtplanungsamt Kempten

Die Neuaufstellung des Kemptener Flächennutzungsplans befindet sich auf der Zielgeraden. Die Stadträtinnen und -räte begrüßten größtenteils den gefundenen Kompromiss, lieferten sich aber stellenweise emotionale Wortgefechte.

Kempten – Die Neuaufstellung des Flächennutzungsplans mit integriertem Landschaftsplan (FNP) stand voraussichtlich das vorletzte Mal auf der Tagesordnung des Bauausschusses und des Stadtrats. Dem Treffen des Billigungs- und Auslegungsbeschlusses folgt jetzt ein Beteiligungsverfahren. Noch vor der Sommerpause soll der Stadtrat den Feststellungsbeschluss treffen, der anschließend von der Regierung von Schwaben genehmigt werden muss.

Eingangs bedankte sich Oberbürgermeister Thomas Kiechle bei allen, die daran mitgearbeitet haben. „Viele Stadträte kommen mit diesem Thema nur einmal in Berührung. Ziel war ein maßvoller Umgang mit Flächen, die unterschiedlichen Interessen in Einklang zu bringen und nicht über das Ziel hinauszuschießen. Die Stadt wächst weiter. Wir müssen festlegen wo Wohnflächen, Gewerbeflächen und Verkehrsflächen benötigt werden. Wir können die jetzige Planung guten Gewissens dem Stadtrat vorlegen“, betonte er.

Ein neuer Flächennutzungsplan für Kempten: Das sind die Inhalte

In den Flächennutzungsplan wird der Landschaftsplan integriert und mit dargestellt. Der Landschaftsplan bildet vor allem den Bestand und die derzeitigen Nutzungen der Grünflächen ab. Hinzu kommen noch vier Karten zu den Themen Klima und Starkregen, Naturschutz, Erholung sowie Land- und Forstwirtschaft. Es handle sich um eine verbindliche Grundlage für die künftige Stadtentwicklung, die jedoch rechtlich nicht bindend sei, erklärte Florian Eggert, Leiter des Stadtplanungsamtes. Das umfassende Werk biete eine Planungsperspektive für die nächsten 15 Jahre, also etwa bis 2040.

Stellungnahmen aus der Öffentlichkeit und von Trägern öffentlicher Belange

Aus der Öffentlichkeit sind zwölf Stellungnahmen und zwei Unterschriftenlisten eingegangen, berichtete der Amtsleiter. Hierbei ging es um die gewerbliche Entwicklung südlich des Heussring, Aussagen bezüglich Potenzialflächen für Aufforstungen und zu Radwegen, die Ausweisung von Wohnbauflächen im Bereich Dreifaltigkeitsweg, um das geplante Landschaftsschutzgebiet an der Hangkante oberhalb von Reiters/Oberschmieden/Schwarzen.

Von Behörden und Trägern öffentlicher Belange gingen 41 Stellungnahmen ein, davon 15 abwägungsrelevante. Hierbei ging es um die Darstellung des derzeitigen Standorts der Landespolizei als Reservefläche für Schulnutzung, die Forderung von Maßnahmen zum Erhalt landwirtschaftlicher Betriebe, also um „Schutzzonen“ für Betriebe, um die kritische Haltung zu neu ausgewiesenen Bauflächen. Ferner forderte man ein Verkehrsgutachten im Zusammenhang mit der Oberstdorfer Straße und deren geplanter angrenzender baulichen Entwicklung. Laut Eggert wurde das Verkehrsgutachten zurückgestellt, „da man noch nicht weiß, welches Gewerbe wo hinkommt“.

Änderungen gegenüber dem Vorentwurf

Was wurde gegenüber der Ursprungsplanung verändert? Die entlang der Dieselstraße, westlich Steig geplante Landwirtschaftsfläche hat man auf Wunsch der Eigentümerin in ca. 11,1 ha Gewerbefläche umgeplant. Die östlich von Steig und westlich der Autobahn A7 ausgewiesene gewerbliche Baufläche mit 3,3 ha wird jetzt als landwirtschaftliche Fläche ausgewiesen. Grund hierfür ist, dass die Erschließungs- und Eigentumsverhältnisse nur bedingt eine Ausweisung als Gewerbefläche zulassen und eine zeitnahe Umsetzung unrealistisch erscheint.

Neu sind etliche Sonderbauflächen „Solar“, wie z. B. im Bereich Öschberg mit 8,2 ha, zwischen Bundesautobahn A 7 und Heisinger Straße mit 3,6 ha, im Kemptener Südwesten im Bereich Johannesried mit 20,3 ha und südlich des Autobahnkreuzes mit 4,8 ha. Ferner wurde die gewerbliche Baufläche südlich des Heussring von 12,3 ha auf 6,6 ha verringert. Die verbleibende Fläche definiert man zunächst als landwirtschaftliche bzw. Grünfläche.

Diese Umplanungen gegenüber dem Vorentwurf ergaben Verschiebungen in der Flächenbilanz. Die umfangreichsten Veränderungen sind bei den Sonderbauflächen zu finden, da man ca. 38 ha für Freiflächenphotovoltaik neu ausweist. In der Summe werden ca. 142,9 ha des Stadtgebiets als Baufläche neu ausgewiesen oder umgewidmet. Der Anteil der im Außenbereich neu auszuweisenden Flächen beläuft sich auf ca. 99,6 ha. Die verbliebenen ca. 43,3 ha der Flächen entfallen auf die Umwidmung bereits bestehender Siedlungsflächen, die größtenteils schon in baulicher Nutzung stehen.

80 Hektar landwirtschaftliche Fläche wird zu möglichen Siedlungs- und PV-Anlagen-Flächen

Durch die Neuausweisungen werden gegenüber dem derzeit gültigen FNP insgesamt ca. 80,1 ha landwirtschaftlich genutzte Flächen in potenzielle Siedlungsflächen und Flächen für Freiflächen-PV-Anlagen umgewandelt. Die Differenz zu den ca. 99,6 ha ergibt sich daraus, dass ca. 19,5 ha der geplanten Agri-PV-Forschungsanlage auf den Flächen am Spitalhof in der Rechnung keine Berücksichtigung finden, da diese trotz Umwidmung weiterhin einer landwirtschaftlichen Nutzung unterliegen.

Der Entwurf weist 7,5 ha Wohnbauflächen neu aus. 3,5 ha werden in Wohnbauflächen umgewidmet. Vorhandene Potenziale im rechtsgültigen FNP von 2009, die noch nicht bebaut sind, belaufen sich derzeit auf 30,6 ha. Damit stünden 41,4 ha Wohnbauflächen zur Verfügung. Gemäß Wohnbauflächenbedarf laut Bevölkerungsprognose – man geht bis 2040 mit einem Bevölkerungswachstum von 5.600 Einwohnern aus – besteht ein Bedarf von 38,2 ha. „Somit hätten wir einen Flächenüberschuss von 3,2 ha“, so Eggert.

Noch immer mangelt es an Gewerbeflächen

Im Entwurf werden 24,2 ha gewerbliche Bauflächen neu ausgewiesen, 7,4 ha für diesen Zweck umgewidmet. Damit stehen 31,6 ha an Gewerbeflächen zur Verfügung. Für die Prognose wurde ein Bedarf von 49,1 ha ermittelt. Was eine Fehlsumme von 17,5 ha bedeutet.

Das sagen die Stadträtinnen und Stadträte zum neuen Flächennutzungsplan

Mit Stolz blickte Oberbürgermeister Kiechle auf die Arbeit in den 18 Sitzungen der Lenkungsgruppe zurück. Die Verwaltung hat in den Plan ca. 1.000 Seiten Gutachten eingearbeitet. Katharina Schrader (SPD) hob hervor, dass man kaum Aufträge an Externe habe vergeben müssen, was von der hohen fachlichen Kompetenz der eigenen Leute zeuge. Bürgermeisterin Erna-Kathrein Groll (Grüne) lobte, dass im Vergleich zum letzten Flächennutzungsplan (FNP) diesmal Themen von Klima und Naturschutz integriert wurden. Der Plan sorge dafür, dass die Stadtpolitik nicht von momentanen Ereignissen getrieben werde, sondern strategisch handeln könne.

„Zielkonflikte“ an der Dieselstraße

Theo Dodel-Hefele (Grüne) verglich die bunte Karte des Flächennutzungsplans mit einem Hundertwasser-Gemälde. Mit 8 Hektar Gewerbefläche an der Dieselstraße verliere man wertvolle landwirtschaftliche Flächen. Es handle sich außerdem um einen sensiblen Raum im Hinblick auf die Nähe zum Naturschutzgebiet. Er sprach von „einem massiven Zielkonflikt“, für den es neue Lösungsansätze gebe, über die man öffentlich noch nicht sprechen könne. Er bat darum, die neuen Entwicklungen einzuarbeiten. Kiechle entgegnete, der Flächennutzungsplan sei ein dynamisches Gesamtwerk. Bei diesem Punkt könnte man nach dem Gesamtbeschluss die erste Änderung in die Wege leiten.

Kontroverse um das Areal südlich des Heussrings

Die Strategie Gründlichkeit vor Schnelligkeit habe sich gelohnt, sagte Andreas Kibler (FW). Er sei glücklich darüber, dass man auf Initiative seiner Fraktion die geplante Quelle: Stadtplanungsamt Kempten halbiert habe. Dank der Hochschule gebe es Betriebe, die Bedarf an repräsentativen Flächen mit hoher grüner Aufenthaltsqualität hätten, betonte Dodel-Hefele: „Ein grünes Gewerbegebiet hätte dort gut hingepasst.“

Laut Wolfgang Meyer-Müller (Grüne) muss der FNP vernünftig genutzt werden. „Man sollte auch dreidimensional bauen – also in die Höhe und effizienter denken.“ Dass Kempten in der Innenstadt konsequent dem Ziel der Nachverdichtung gefolgt sei, sei jetzt von großem Vorteil, sagte Josef Mayr (CSU). Flächen für Wohnungsbau habe man im Überschuss, erinnerte Erwin Hagenmaier (CSU). Die Kemptener brauchten Arbeitsplätze, bereits jetzt gebe es viele Auspendler aus Kempten.

Südlich des Heussrings: Kampf „Bauch gegen Kopf“

Er werde dagegen stimmen, verkündete Alexander Hold (FW), weil dieses Gebiet für Gewerbe zu schade sei. Er sprach dann von einem „finanziellen Desaster“: Die Stadt habe bei Kauf des Gebiets einen hohen Preis für Wohnungsbau gezahlt. „Ich kenne außer Kempten keine einzige Gemeinde, die ihre Infrastruktur nicht refinanziert, sondern am Ende draufzahlt.“ Als er anfing, dieses „Desaster“ einer Reihe von vorangegangenen zuzuordnen (Kornhaus, Heiligkreuz), antwortete der OB: „Der Begriff ‚Desaster‘ gefällt mir nicht. Bitte, Dinge miteinander vergleichen, die man vergleichen kann.“

Katharina Schrader (SPD) wies darauf hin, dass die Entstehung neuer Wohngebiete auch die Schaffung sozialer Infrastruktur nach sich ziehe und der Bau von Kindergärten und Schulen hohe Kosten verursache. Bei der Entscheidung über diese Flächen habe der Bauch gegen den Kopf gekämpft, fasste Ullrich Kremser (FDP) zusammen. „Und der Kopf hat ein bisschen obsiegt“.

Versiegelte Flächen

Der bayerische Flächenverbrauch liege über dem Bundesdurchschnitt und der Kemptener noch 30 Prozent höher, sagte Thomas Hartmann (Grüne). Das müsse sich dringend ändern. Michael Hofer (ÖDP) kündigte an, aus diesem Grund nicht zuzustimmen. „Wer zahlt dafür die Zeche?“, fragte Gerti Epple (Grüne). „Die Land- und Forstwirtschaft und der Naturschutz.“ „80 Hektar werden der Landwirtschaft entzogen. Eine Million Liter Milch geht dadurch verloren“, so Dodel-Hefele.

„Die Einwände für den Flächenverbrauch verstehe ich“, sagte Walter Freudling (AfD), nur die Ansiedlung von nachhaltigem Gewerbe könne diesen rechtfertigen. Als Beispiel nannte er die 120-jährige Geschichte der Firma Hoefelmayr (heute Edelweiß). Der größte Teil der Verluste von landwirtschaftlichen Flächen gehe auf die Errichtung von PV-Anlagen zurück, hob Hagenmaier hervor. Vorteilhaft für die Landwirte: „Sie brauchen nicht mehr zu mähen und zu melken.“ Julius Bernhardt (FfK) meinte, diese Flächen seien nicht für ewig verloren.

Bevölkerungsprognose

Mehrere Wortbeiträge deuteten darauf hin, dass die Entscheidung, von einer Prognose mit starkem Bevölkerungswachstum auszugehen, nicht von allen getragen wurde. Beispielsweise nicht von Tobias Hiepp (CSU), der bedauerte, dass er sich mit seiner Meinung in seiner Fraktion nicht durchsetzen konnte. Wenn es anders komme, müsse man reagieren, betonte Schrader. „Wenn die Prognose nicht stimmt, bleiben uns die grünen Wiesen erhalten“, so Freudling.

Schließlich befürwortete der Stadtrat den Plan mit vier Gegenstimmen.

Kommentar von Lajos Fischer

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