Mehr Not als Unterkunft: Rundgang in Miesbach zeigt, wie Asylbewerber in Turnhallen leben
Einen ungeschönten Einblick in das Leben von Asylbewerbern in Turnhallen wollte das Miesbacher Landratsamt vermitteln. So lief der Presserundgang durch die Berufsschulturnhalle.
Landkreis – Bevor die Eindrücke in der Turnhalle für sich sprechen sollen, erklärt Landrat Olaf von Löwis in einem zum Besprechungsraum umfunktionierten Klassenzimmer in der Miesbacher Berufsschule zunächst, um was es bei dem Presserundgang gehen soll. „Wir wollen zeigen, wie es ist, und vor allem nichts beschönigen“, stellt Löwis klar. Nur durch maximale Transparenz könne man es schaffen, der Bevölkerung deutlich zu machen, „dass die Turnhallen eine der schlechtesten Unterkunftsarten für Geflüchtete überhaupt“ seien. Und damit in den Gemeinden im Landkreis dafür zu werben, das Landratsamt im Bemühen zu unterstützen, andere Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen.
So würden in der im März 2022 als Erstaufnahmeeinrichtung – mittlerweile dezentrale Drehscheibe genannt – für maximal 148 Personen ausgelegten Berufsschulturnhalle weiter Asylbewerber leben, derzeit 132. Die Nationalitäten der Bewohner würden sich laufend ändern, Ukrainer seien hier aber nicht untergebracht. Die Miesbacher Integrationsbeauftragte Inge Jooß berichtet mit Olga Denisov und Brigitte Geiss vom Verein Hilfe von Mensch zu Mensch, dass derzeit vor allem Personen aus Afghanistan, dem Jemen, Myanmar, dem kurdischen Teil der Türkei sowie ganz neu auch aus Venezuela und Peru in der Turnhalle leben. Unter welchen Bedingungen und mit welchen Perspektiven sollte der folgende Rundgang zeigen. Für weitere Fragen stehen zudem die Vertreter der jeweiligen Fachbereiche des Landratsamtes, Taskforce-Leiterin Beate Faus sowie der Integrationsbeauftragte des Landkreises, Max Niedermeier, zur Verfügung.
Die Schlafplätze in der Turnhalle gruppieren sich in sogenannten Boxen. Mit abgehängten Metallgittern abgetrennten Bereiche, in denen jeweils bis zu zehn Stockbetten für je zwei Geflüchtete stehen. Privatsphäre ausgeschlossen, zumal die Boxen zwar optisch notdürftig abgeschirmt sind, aber durch die hohe Decke der Turnhalle jedes Geräusch überall zu hören ist. Selbst an diesem Nachmittag, den angesichts des schönen Wetters (und auch wegen des angekündigten Pressebesuchs) viele Geflüchtete draußen verbringen, ist der Lärmpegel ganz erheblich. Hier schreit ein Kleinkind, dort telefoniert jemand, weiter drüben läuft eine Unterhaltung. Was tagsüber noch tolerierbar erscheinen mag, wird nachts nicht selten zum Konfliktstoff, berichtet Geiss. Dann nämlich, wenn nach der an der großen Anschlagtafel genannten Nachtruhe ab 22 Uhr dennoch kein Schlaf möglich ist. Ein Problem nicht zuletzt für alle die Asylbewerber, die in der Früh raus müssen, um zu ihrem Job (rund ein Drittel) oder in die Schule, zum Sprach- oder Integrationskurs zu gehen, während andere noch Musik hören oder einen Film anschauen möchten. Kostenloses WLAN steht den Geflüchteten in der Halle zur Verfügung, auch Steckdosenleisten zum Aufladen elektronischer Geräte gibt es – allerdings nicht direkt in den Boxen.
Die Essensausgabe erfolgt an einer Theke im Geräteraum der Turnhalle. Ein externer Caterer liefert Speisen und Getränke. Zum Frühstück und Abendessen können die Geflüchteten aus verschiedenen Lebensmitteln wählen, beim warmen Mittagessen gibt es nur ein Gericht. Um Kosten und Aufwand für einen Spülservice zu sparen, kommt Einweggeschirr zum Einsatz. Gegessen wird an Biertischgarnituren im vorderen Bereich der Halle, in den Boxen ist es nicht erlaubt. Gerade in diesem Bereich treten die kulturellen Unterschiede stark zutage, erklärt Geiss. Immer wieder komme es zu Magen-Darm-Beschwerden wegen Unverträglichkeiten, gerade Kinder würden ihnen fremdes Essen oft verweigern. Dennoch versuche man, so viel Rücksicht wie nur möglich zu nehmen, heißt es aus dem Landratsamt. So habe man etwa von Toast- auf Fladenbrot umgestellt. Eigene Kochmöglichkeiten sind für die Bewohner nicht vorgesehen, lediglich Babynahrung kann in einer Mikrowelle zubereitet werden.
Da es in den Boxen außerhalb des eigenen Bettes keinen Stauraum gibt, deponieren die Bewohner ihre Wäsche in mit Reißverschluss versehenen Stoff-„Schränken“. Eventuelle größere Gepäckstücke liegen in einem Lagerraum, Wertsachen in Spinden. Bettwäsche und Handtücher werden gestellt. Sämtliche Wäsche wird – falls von den Bewohnern gewünscht – im Schnitt ein- bis zweimal pro Woche von einem externen Dienstleister gewaschen. Für die Sauberkeit an den Essensplätzen und in den Boxen sollen die Asylbewerber selbst sorgen, um sie weiter zur Selbstständigkeit anzuhalten.
Obwohl es in der Turnhalle WCs und Duschen gibt, stehen im Freien eigene Sanitärcontainer. Wie eine Mitarbeiterin des Landratsamtes erklärt, habe man sich nach dem Schimmelbefall 2015/2016 samt teurer Sanierung der Halle für die Auslagerung entschieden. So seien die Duschen in der Halle schlicht nicht für die ständige Nutzung ausgelegt, die Lüftungsmöglichkeiten eingeschränkt.
Rund um die Uhr ist ein Sicherheitsdienst vor und in der Turnhalle präsent. Wie ein Mitarbeiter erklärt, lassen sich Konflikte – nicht selten durch sprachlich oder kulturell bedingte Missverständnisse ausgelöst – meist durch ein deeskalierendes Gespräch klären. Positiv ist laut Denisov, Geiss und Jooß ferner, dass die Security-Leute dank ihrer Sprachkenntnisse oft als eine Art Dolmetscher agieren würden und auch bei kleineren Alltagsproblemen helfen. Polizeieinsätze wegen etwaiger Straftaten sind laut Niedermeier entgegen der Wahrnehmung mancher Nachbarn die Ausnahme. Dass die Halle umzäunt und bewacht ist, bedeute nicht, dass die Bewohner eingesperrt wären. Im Gegenteil: Sie könnten sich jederzeit frei bewegen, teilt eine Mitarbeiterin des Landratsamtes mit. Vielmehr diene die Absicherung ihrem eigenen Schutz, beispielsweise vor Leuten, die sich als Presse ausgeben würden, um in der Halle unerlaubterweise zu fotografieren.
Die anfängliche Idee, dass Asylbewerber bei gesundheitlichen Problemen einen Hausarzt aufsuchen sollen, hat sich laut Landratsamt wegen Überlastung der Praxen und Sprachbarrieren bald wieder zerschlagen. So gebe es nun einmal pro Woche eine Art Sprechstunde in der Turnhalle, bei der kleinere akute Fälle direkt versorgt werden (Pflaster, Schmerzmittel, etc.) und eine möglicherweise notwendige Weiterbehandlung bei einem Facharzt abgeklärt und eventuell in die Wege geleitet wird.
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Wie lange die Asylbewerber in der Berufsschulturnhalle bleiben, kann niemand genau sagen. Ein Afghane, der sich als einziger für ein Interview zur Verfügung stellt, sagt, dass er schon seit einem Jahr hier sei. Der 21-Jährige erklärt in verständlichem Deutsch, dass er aktuell die Schule besucht und für sein Hobby, die Sportart „Parcours“, dreimal pro Woche mit dem Zug nach München fährt. Sein Traum wäre eine eigene kleine Wohnung, wie sie ein Freund von ihm kürzlich in Miesbach gefunden habe. Auf die Frage, wie es ihm in der Turnhalle gehe, reagiert er ausweichend und nervös: „Alles gut, ich habe, was ich brauche.“ Dass dies bei Weitem nicht alle Bewohner so sehen, wissen Jooß, Niedermeier, Denisov und Geiss nur zu gut. Sie betonen, dass die Integrationsarbeit durch die große Zahl an zu versorgenden Menschen viel zu kurz komme, Familien mit Kindern kaum eine Chance auf einen Kita-Platz hätten. Bei Abverlegungen in dezentrale Einrichtungen, die das Landratsamt stets händeringend sucht, würden Frauen und Kinder aber priorisiert, erklären die Mitarbeiter der Kreisbehörde.
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