Kim Jong-uns Nuklearpläne: Steht Nordkorea kurz vor einem Atomwaffentest?

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Experten befürchten den ersten nordkoreanischen Atomtest seit 2017. Wie wahrscheinlich ist das – und kann die Eskalation noch verhindert werden?

Am 3. September 2017 bebte die Erde in Nordkorea. Im unterentwickelten Nordosten des Landes stürzten Häuser zusammen, Dutzende Menschen starben oder wurden verletzt. So zumindest berichteten es wenig später Medien aus dem Süden der geteilten koreanischen Halbinsel. Es war keine Naturkatastrophe, die die Schäden verursachte – sondern ein Befehl von Kim Jong-un: Nordkoreas Diktator hatte einen Atombombentest angeordnet. Gegen 12 Uhr mittags Ortszeit ging die Bombe hoch, Schätzungen zufolge mit einer Sprengkraft von bis zu 250 Kilotonnen, dem 20-fachen der Atombombe, die 1945 Hiroshima in Schutt und Asche legte.

Es war der sechste und bislang letzte Atombombentest des nordkoreanischen Regimes. Seitdem fragen sich weltweit Politiker und Beobachter besorgt: Wann wird Kim Jong-un seine Wissenschaftler erneut anweisen, den roten Knopf zu drücken? Im November erst warnte der Geheimdienst des Südens, es könnte irgendwann in diesem Jahr so weit sein; wenig später dann hieß es aus Seoul, schon Anfang des Jahres sei mit neuen Provokationen des Nordens zu rechnen, möglicherweise vor den südkoreanischen Parlamentswahlen im April.

Auch die USA sind alarmiert. In einem Ausblick auf die Bedrohungslage für die kommenden zwölf Monate hieß es im März 2023, Nordkorea „bereitet sich wahrscheinlich auf den Test einer Atombombe vor“. Laut der Expertin Sue Mi Terry von der US-Denkfabrik Center for Strategic and International Studies (CSIS) wäre ein Test vor der US-Präsidentschaftswahl im November denkbar. „Das würde die Biden-Regierung so aussehen lassen, als hätte sie in der Nordkorea-Frage versagt, und wäre daher für Trump hilfreich“, sagte Terry Anfang Januar auf einer Veranstaltung des CSIS.

Nordkoreas Diktator Kim Jong-un und seine Tochter Ju-ae beobachten im Dezember den Start einer Interkontinentalrakete.
Nordkoreas Diktator Kim Jong-un und seine Tochter Ju-ae beobachten im Dezember den Start einer Interkontinentalrakete. © AFP

„Wenn Kim Jong-un einen Test wollte, hätte er ihn schon letztes Jahr durchführen können“

Ramon Pacheco Pardo, Korea-Experte am Londoner King‘s College, glaubt hingegen, dass nicht einmal Kim Jong-un selbst weiß, wann der nächste Test stattfinden soll. „Wenn er einen Test wollte, hätte er ihn schon letztes oder vorletztes Jahr durchführen können“, sagte Pacheco Pardo im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau. „Und wenn er keinen Test will, dann hätte er das offen kommuniziert, um sich als verantwortlicher Akteur einer Atommacht zu präsentieren.“

Unstrittig ist, dass Kim aufrüstet. Kurz vor Weihnachten testete Nordkorea zum fünften Mal innerhalb eines Jahres eine ballistische Interkontinentalrakete (ICBM), was dem Land durch UN-Beschlüsse verboten ist; und am Freitag erst erklärte das Regime, ein atomwaffenfähiges Unterwasser-System erprobt zu haben. Im vergangenen September verabschiedete Nordkoreas Abnickparlament zudem ein neues Gesetz, das einen präventiven Atomschlag ermöglicht. Auch einer friedlichen Wiedervereinigung mit dem Süden erteilte Pjöngjang unlängst eine Absage.

Für die beiden renommierten Experten Robert Carlin und Siegfried Hecker ist die Situation derart ernst, dass sie sich zu einer dramatischen Warnung veranlasst sahen: „Die Lage auf der koreanischen Halbinsel ist so gefährlich wie seit Anfang Juni 1950 nicht mehr“, schrieben Carlin und Hecker vor wenigen Tagen in einem Beitrag für die Denkfabrik Stimson Center. Im Juni 1950 begann der Korea-Krieg, der drei Jahre später mit einem Waffenstillstand, aber keinem Friedensvertrag endete.

„Ein Test würde der Weltgemeinschaft verdeutlichen, dass Nordkorea eine Atommacht ist“

Läuft all das also auf die ultimative Provokation hinaus, auf einen siebten Atomwaffentest? Erste Anzeichen jedenfalls gibt es. So hat Nordkorea laut der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA vor Kurzem einen zweiten Atomreaktor in Betrieb genommen. IAEA-Direktor Rafael Grossi sprach Ende Dezember von einem „Grund zur Sorge“. Denn der Leichtwasserreaktor, der sich auf dem Gelände der Nuklearanlage Yongbyon nördlich der Hauptstadt Pjöngjang befindet, könne waffenfähiges „Plutonium erzeugen, das bei der Wiederaufbereitung abgetrennt werden kann“.

Wie viele Atombomben Nordkorea aktuell bereits besitzt, ist unklar. Schätzungen reichen von wenigen Dutzend bis mehr als 100 Nuklearsprengköpfen. Experte Pacheco Pardo glaubt, dass Nordkorea derzeit daran arbeitet, diese Sprengköpfe so zu verkleinern, dass sie auf Interkontinentalraketen montiert werden können. Ein siebter Atomtest könnte dem Regime wichtige Erkenntnisse dazu liefern. Möglich sei aber auch, dass Kim schlichtweg eine Atombombe mit größerer Sprengkraft testen wolle. „Ich erwarte aber keinen großen technologischen Sprung, weil die Nuklearwaffen des Nordens, nach allem, was wir wissen, bereits sehr fortgeschritten sind“, so Pacheco Pardo. Er vermutet, dass es Kim vor allem um eine politische Botschaft gehe: „Ein Test würde der Weltgemeinschaft noch einmal verdeutlichen, dass Nordkorea eine Atommacht ist und dass daran nicht mehr gerüttelt werden kann.“

Welche Rolle spielen China und Russland?

Aufhalten ließe sich ein siebter Atomtest wohl kaum. Seit dem gescheiterten Treffen von Kim Jong-un und dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump in Hanoi im Februar 2019 gibt es keinerlei Fortschritte mehr bei den Abrüstungsverhandlungen mit Nordkorea. „Ich glaube nicht, dass der Westen viel machen kann“, sagt Pacheco Pardo. Er verweist darauf, dass es den Vereinten Nationen schon 2006 nicht gelungen sei, Nordkoreas ersten Atomtest, den damals Kims Vater Kim Jong-il 2006 durchführen ließ, zu verhindern.

Nennenswerte diplomatische Kontakte unterhält Nordkorea Land heute nur noch mit China und Russland. Peking allerdings betont regelmäßig, China habe zwar gute Beziehungen zu seinem Nachbarland; das bedeute aber nicht, dass man auch Einfluss ausüben könne auf Kim Jong-un. Auch das Verhältnis zwischen Pjöngjang und Moskau ist komplex: Wladimir Putin ist auf Waffenlieferungen aus Nordkorea angewiesen, um den Ukraine-Krieg am Laufen zu halten, Kim Jong-un auf russische Hochtechnologie. Es liege nun an Peking und Moskau, Kim Jong-un aufzuzeigen, wo ihre roten Linien liegen, sagte der ehemalige US-Geheimdienstler Sydney Seiler auf der CSIS-Veranstaltung. „Ich habe allen Grund zu glauben, dass China keine Instabilität und keinen Krieg auf der koreanischen Halbinsel will“, so Seiler. „Ich bin mir aber nicht so sicher, ob auch Wladimir Putin so vehement dagegen ist.“

Für Ramon Pacheco Pardo machen diplomatische Vorstöße ohnehin keinen großen Unterschied. „Nordkorea hat schon Atomwaffen, und Raketen hat es auch. Es kann also einfach weitermachen wie bisher“, sagt er. Auch, weil es sich die benötigen Technologien und Materialien über weltweite Schmuggelnetzwerke besorgen könne. „Und das können auch Russland und China nicht unterbinden.“

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