Millionen Arbeitslose werden nie richtig integriert - Schuld ist ein kaputtes System

In Deutschland erhalten ca. 5,5 Millionen Menschen Leistungen nach dem SGB II. 3,9 Millionen gelten als grundsätzlich erwerbsfähig, wobei die Definition durchaus kritisch betrachtet werden kann. Davon wiederum sind ungefähr 1,86 Millionen arbeitslos, maximal 900.000 Personen langzeitarbeitslos. Der Ausländeranteil beträgt dabei ca. 48 Prozent, wobei der Ukrainekrieg hier eine massive Verschiebung verursacht hat. Alle Zahlen können monatlich leicht schwanken.

Jobcenter sollen Arbeitslose vermitteln - in der Praxis zeigt sich anderes Bild

Unstrittig gibt es aber eine große Anzahl, die grundsätzlich arbeiten könnte, dieses aber – aus unterschiedlichen Gründen – nicht tut. Gemäß des gesetzlichen Auftrags sollen sie dabei von den Jobcentern aktiv in den Arbeitsmarkt vermittelt werden. Doch trotz der Vorgabe, Erwerbsfähige in Arbeit zu bringen, zeigt sich in der Praxis ein anderes Bild. 

Das Hauptaugenmerk liegt oft nicht auf der direkten Arbeitsvermittlung, sondern auf der Verwaltung. Viele erfolgreiche Vermittlungen scheitern zudem, wie jüngste Medienberichte zeigen, häufig nach wenigen Monaten.

Das irritiert, denn ist es nicht die Kernaufgabe der Jobcenter an dieser Stelle, Hilfestellung zu leisten? Doch warum gestaltet sich die Wirklichkeit auf eine andere Art und Weise, und hat die Bevölkerung vielleicht ein völlig falsches Bild davon, was Jobcenter wirklich können und sollen? Eine interessante Frage, die in der Folge näher betrachtet werden soll.

Die Realität der Vermittlung

Vorab erscheint es allerdings erst einmal äußerst wichtig, darauf hinzuweisen, dass das System Jobcenter primär darauf angelegt ist, den Lebensunterhalt der Leistungsberechtigten zu sichern.

Eine wichtige soziale Aufgabe, aber bereits aus diesem Grund ist nur ein kleiner Teil der Mitarbeiter tatsächlich mit der Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt befasst. Die Mehrheit der Ressourcen fließt in die Leistungsabwicklung und die Verwaltung.

An dieser Stelle, und dies sei eingeräumt, verlässliche Zahlen zu erhalten, ist schwierig. Ein Bericht der Bundesagentur für Arbeit aus dem Jahr 2023 zeigt aber, dass lediglich 24.500 Mitarbeiter, davon nicht wenige in Teilzeit, der gesamten BA von rund 114.000 Beschäftigten in die Vermittlung von Arbeitsuchenden eingebunden sind. Für die Jobcenter als Teilbereich waren keine verlässlichen Zahlen in Erfahrung zu bringen, aber die Angaben scheinen zumindest als Anhaltspunkt akzeptabel zu sein.

Hunderte Kunden für einzelne Vermittler

Die Kapazitäten für die Vermittlung sind daher begrenzt, und auf einen Vermittler kommen nicht selten Hunderte von Kunden. Mehr als vereinzelte Termine im Jahr sind daher gar nicht möglich, und bei diesen muss es nicht unbedingt immer um die Arbeitsmarktintegration gehen. Zwar gibt es immer wieder auch Spezialvermittler, die sich auf einen bestimmten Personenkreis (z.B. junge SGB-II-Empfänger) konzentrieren, aber auch hier sind die Handlungsvariablen überschaubar.

Die Möglichkeiten für eine erfolgreiche Vermittlung präsentieren sich daher weitaus kleiner, als es in der Öffentlichkeit häufig suggeriert wird, denn gerade bei SGB-II-Empfängern existieren nicht selten gravierende Vermittlungshemmnisse – etwa fehlende Qualifikation, gesundheitliche Einschränkungen, mangelnder Wille oder Sprachbarrieren. Sie sind häufig schlicht nicht fit für den Arbeitsmarkt. Ein Teil von ihnen hat sich auch entkoppelt und gar kein Interesse mehr an einer Integration. Doch genau hier liegt das Problem. Die Jobcenter sind schlichtweg überlastet. Termine sind oft zu kurz, finden gar nicht statt, die Ressourcen sind begrenzt, und der Fokus liegt häufig auf der administrativen Seite der Arbeit. Dafür können die zahlreichen Sachbearbeiter nichts; es ist das System.

Externe Träger übernehmen einen Großteil der Verantwortung

Um die Lücken zu füllen, werden immer wieder externe Träger und private Anbieter beauftragt. Diese übernehmen Maßnahmen wie Weiterbildungen, Coaching oder das Vermitteln von Praktika. Doch auch hier zeigt sich ein Problem: Diese Träger arbeiten in der Regel mit befristeten Verträgen oder konzentrieren sich auf einzelne Vermittlungshemmnisse, was eine nachhaltige Betreuung erschwert. Viele der betroffenen Personen, soweit sie sich nicht entziehen, absolvieren nach diesen Maßnahmen zwar Praktika oder kurzzeitig Beschäftigungen, fallen aber nach wenigen Monaten wieder ins System zurück. Die Rückfallquote ist alarmierend: Fast die Hälfte der „erfolgreich“ vermittelten Personen sind nach wenigen Monaten wieder auf Bürgergeld angewiesen.

Ein genauer Blick auf die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit von 2024 bestätigt dies: Runde 48 % Prozent der Personen, die nach einer Vermittlung eine Arbeitsstelle angetreten haben, befinden sich bereits nach drei Monaten wieder im Leistungsbezug. Konkret konnten in diesem Jahr nur 401.000 von 837.000 Menschen in den Arbeitsmarkt länger verankert werden. Es gibt daher Erfolge, aber eben auch zu viel des Scheiterns.

Der sogenannte „Drehtür-Effekt“ ist kein Einzelfall, sondern vielmehr die traurige Realität vieler Eingliederungsbemühungen.

Warum scheitern so viele Vermittlungen?

Ein Grund für diese hohe Rückfallquote liegt in der Art und Weise, wie das System funktioniert. Jobcenter sind auf die schnelle Bearbeitung von Anträgen und die kurzfristige Zuweisung von Maßnahmen angewiesen. Die eigentliche „Vermittlung“ in den Arbeitsmarkt wird dabei oft zur Nebensache. Nicht aus Inkompetenz, nicht aus mangelndem Willen, sondern es gibt zu wenig Zeit für intensive Betreuung und Nachbereitung, auch wenn der Gesetzgeber dieses eigentlich mit Ergänzungen des § 16 SGB II geschaffen hat. 

Das System ist unterfinanziert, und der Werkzeugkasten, der eigentlich aus Fordern und Fördern bestehen musste, wurde vom Gesetzgeber in den letzten Jahren sehr ausgedünnt. Das soll sich nun ja ändern, aber beschlossen ist noch nichts. Stattdessen wird daher weiter auf standardisierte Maßnahmen und kurzfristige Arbeitsverhältnisse gesetzt. Menschen, die daran kein Interesse haben und dies nicht unklug zu offen zeigen, haben dagegen wenig zu befürchten.

Externe Vermittlung: Ein System auf wackeligen Beinen

Bei den externen Trägern, die häufig von Jobcentern beauftragt werden, gibt es ebenfalls große Herausforderungen. Sie übernehmen oft den Großteil der Arbeit, wenn es um Qualifizierungen, Arbeitsgelegenheiten oder Coaching geht. Das System setzt allerdings auf kurzfristige Verträge, die dann im Bieterwettstreit wieder verloren gehen können. Dies bedeutet, dass sie in der Regel nicht in der Lage sind, eine langfristige Betreuung oder stabile berufliche Integration zu gewährleisten. Bis die betroffene Person aufgebaut ist, ist der Auftrag vorbei, und das Spiel beginnt häufig beim nächsten Auftragnehmer von vorne. Die Träger sind daher nicht selten nicht dazu in der Lage, eine längerfristige Perspektive zu bieten – was den Jobcentern und den betroffenen Personen langfristig nicht hilft. Eine gemeinsame Datenbank oder kontinuierliches Arbeiten ist selten. Die Kunden bleiben soziale Ware, deren vorherige Erfolge verpuffen.

Ein System, das langfristig, rundum und nachhaltig betreut, wäre hier erfolgreicher. Es könnte auch jene klar identifizieren, die gar kein Interesse an der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit haben. Und ja, solche Dinge werden und wurden bereits erfolgreich erprobt, als Beispiel seien hier die rehapro-Förderungen des BMAS genannt, der Autor selbst war hier beteiligt. Nur kommt Derartiges, trotz des wissenschaftlich messbaren Erfolgs, selten über Modellprojekte hinaus. Alles bleibt beim Alten.

Fazit: Die Herausforderung der nachhaltigen Vermittlung

Die Jobcenter haben eine wichtige Aufgabe – sie sollen Menschen in Arbeit bringen und ihnen helfen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Doch die Realität zeigt, dass das System mehr auf Verwaltung und kurzfristige Maßnahmen setzt als auf nachhaltige Vermittlung und individuelle Unterstützung. Der überwiegende Teil der Ressourcen fließt in die Bearbeitung von Anträgen, die den Bürgergeldbezug regeln, und nicht in die dauerhafte Integration von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt. Das ist erst einmal kein Problem dieser Institutionen, sondern eine politische Entscheidung, denn die Handlungsspielräume und die Finanzierung werden an anderer Stelle festgelegt.

Obwohl es viele Menschen gibt, die durch das System hindurchgehen und wieder ins Arbeitsleben finden, bleiben viele von ihnen auf der Strecke – sei es durch überlastete Jobcenter, durch fehlende Nachbetreuung oder durch die Struktur externer Träger, die keine langfristige Lösung bieten können.

Das Ergebnis: Der „Drehtür-Effekt“ bleibt bestehen, und viele Menschen kehren innerhalb weniger Monate wieder in den Leistungsbezug zurück.

Es braucht mehr als schnelle Lösungen und kurzfristige Maßnahmen. Was wirklich fehlt, sind langfristige Perspektiven und eine intensive, nachhaltige Betreuung, die den Menschen nicht nur einen Job vermittelt, sondern sie auch auf diesem Weg unterstützt und begleitet. Es bedarf eine grundsätzlichen Reform. Diese ist, es soll nicht verschwiegen werden, teuer, aber immer noch billiger als eine lebenslange Subvention von Millionen von Menschen.

Andreas Herteux ist Wirtschafts- und Sozialforscher, Herausgeber und Autor des Standardwerks zur Geschichte der Freien Wähler (FW) und Gründer der Erich von Werner Gesellschaft. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.