Ukraine macht Druck im Ferien-Paradies: Putins Schwarzmeer-Flotte versucht unterzutauchen
Russland pflegt auf der Krim eine alte militärische Tugend: Tarnen, Täuschen und Verschwinden. Die Schwarzmeer-Flotte setzt sich immer weiter ab.
Sewastopol – Als „seltsam“ erscheint aktuell das Verhalten von Wladimir Putins Marine im Schwarzen Meer – seine Kommandeure spielen Verstecken. Die Ukraine rückt ihnen offenbar immer dichter auf den Pelz. Schiff für Schiff geht verloren, und die russische Schwarzmeer-Flotte greift zu drastischen Mitteln; und nebenbei in die Mottenkiste der passiven Kriegführung. Die Schwarzmeer-Flotte versucht ihren Häschern zu entgehen oder zumindest unterzutauchen. Die Ukraine macht weiter Druck auf der Krim; und das mit Erfolg, wie jetzt der britische Geheimdienst bestätigt hat.
„Zwei Landungsschiffe der Ropucha-Klasse, Panzer und ein Geheimdienstschiff der Juri-Iwanow-Klasse-Klasse erlitten Kollateralschäden durch Angriffe der Ukraine auf ein Kommunikationszentrum der Russen in Sewastopol, dem Stützpunkt der russischen Schwarzmeer-Flotte, wie die Briten auf X (vormals Twitter) veröffentlichten. Der britische Geheimdienst wies darauf hin, dass durch Angriffe dieser Art russische Schiffe von höherem taktischen Wert dadurch gezwungen werden, andere Hafen-Infrastrukturen zu nutzen. Die russische Schwarzmeer-Flotte muss wieder einmal zusehen, dass sie Land gewinnt.
Sewastopol gleitet Russland als Stützpunkt auf der Krim langsam aber sicher aus der Hand
Die Berichte darüber häufen sich – zum Teil mit sonderbarem Inhalt. Bereits Ende vergangenen Jahres war massiv öffentlich geworden, dass Russland Sewastopol als Stützpunkt auf der Krim langsam aber sicher aus der Hand gleitet. Beispielsweise schreibt die Neue Zürcher Zeitung: „Russland hat in jüngster Zeit zahlreiche Kriegsschiffe von Sewastopol in weiter östlich gelegene Häfen am Schwarzen Meer verlegt. Das geht aus Satellitenbildern von Anfang Oktober hervor, die ein amerikanischer Marineexperte ausgewertet hat. Das Flaggschiff der russischen Schwarzmeer-Flotte, die ,Admiral Makarow‘, eine weitere Fregatte desselben Typs, alle drei einsatzfähigen U-Boote der Kilo-Klasse, sechs Landungsschiffe und eine Reihe kleinerer Schiffe befinden sich nun im Hafen Noworossisk an der russischen Schwarzmeerküste. Weitere Kriegsschiffe wurden nach Feodosija im Osten der Halbinsel Krim verlegt.
Allein das wäre noch kein Stirnrunzeln wert, aber Putins Admiräle lassen schon seit geraumer Zeit auch zu Pinsel und Farbe greifen und kopieren einen Trick, mit dem auch das deutsche Schlachtschiff Bismarck in den ersten Jahren des Zweiten Weltkrieg ihrem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen versucht hatte: Die russische Marine verfolgt damit, für ihre Verhältnisse, einen radikal neuen Ansatz, um ihre wertvollsten Kriegsschiffe vor ukrainischen Angriffen zu schützen. Auf der Fregatte Admiral Essen wurde ein trügerisches Tarnschema angewendet. Dadurch wird versucht, ukrainische Drohnenpiloten in die Irre zu führen – über den Erfolg darf gemutmaßt werden. Immerhin spricht das Magazin Naval News davon, die russische Marine versuche sich an die neuen Realitäten des Krieges anzupassen.
„Trotz der Versuche Russlands, seine Verluste zu begrenzen, zeigt die Ukraine weiterhin Erfolg dabei, die Fähigkeit der Schwarzmeer-Flotte zu schwächen und ihre Macht in diese Region hineinzutragen.“
Die Fregatten der Admiral-Grigorowitsch-Klasse des Projekts 11356P sind bisher eine tragende Säule der russischen Angriffe auf die Ukraine gewesen – sie können jeweils acht Kalibr-Landangriffs-Marschflugkörper tragen und wirken damit auf erhebliche Entfernungen. Diese entsprechen im Allgemeinen dem amerikanischen Tomahawk und werden häufig auf Ziele tief in der Ukraine abgefeuert. Fregatten wie die Admiral Essen gelten als die leistungsstärksten Kriegsschiffe der russischen Schwarzmeer-Flotte und fungieren als Flaggschiffe, seit der Kreuzer Moskwa schon relativ früh nach Ausbruch des Ukraine-Krieges versenkt wurde. Die Schiffe sind daher ein lohnenswertes Ziel für ukrainische Angriffe mit unbemannten Waffen, die sich bisher als überaus schlagkräftig erwiesen haben.
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Die russische Marine versucht nun, ihre Schiffe auf See besser zu tarnen, indem sie ihre Konturen auflöst – beispielsweise dadurch, dass sie Bug und Heck „ausgraut“, um eine kleinere Schiffsklasse vorzutäuschen – mit der Bismarck wurde das auch versucht, wie Naval News schreibt: „Dies vereinte Elemente sowohl einer trügerischen als auch einer störenden Tarnung. Der hier relevante trügerische Teil war ein falscher Bug und ein falsches Heck, die in dunkler Farbe bemalt waren. Es gab sogar eine gefälschte Bugwelle und ein Kielwasser, die der offensichtlichen Verkürzung des Rumpfes entsprachen. Dies war ein Versuch, Beobachter über die Größe und damit über die Identität des Schiffes zu verwirren. Auf Satellitenbildern aus Noworossisk wurde die Admiral Essen dann enttarnt, die grauen Flächen waren keine Spiegelung des Lichts, sondern ein ungewohntes Farbschema. Russland ist in der Defensive angekommen.
Russland nimmt Bedrohungen ernster – Schiffe drehen am Bosporus wieder ab
Die Deutschen nutzten im Zweiten Weltkrieg gern die Methode der falschen Perspektive in ihren Mustern. Teile des Rumpfs und der Aufbauten wurden in allem von Hellgrau bis Beinah-Schwarz gestrichen und Wellen wurden auf Bug und Heck aufgemalt. Die Farben an den Schiffsenden kontrastierten mit dem Rest des Rumpfs und sollten die feindliche Perspektive auf die Schiffsdimensionen durcheinanderbringen. Die angedeuteten Wellen auf dem Stahl sollten ein klares Bild über die Geschwindigkeit des Schiffes erschweren.
Russische Schiffe scheinen im Schwarzen Meer also vorsichtiger zu agieren, nachdem eine Reihe ukrainischer Drohnenangriffe Putins Marine in der Region dezimiert haben, berichtet auch Newsweek: Bei einem kürzlichen „interessanten Vorfall“, wie Newsweek schreibt, schien sich eine Gruppe russischer Schiffe dem Bosporus zu nähern, bevor sie unerwartet umkehrten, anstatt zur von Russland kontrollierten Krim überzusetzen, so ein Sprecher der ukrainischen Marine, wie Newsweek berichtet. Russland hatte zwei Schiffe geschickt, um andere Einheiten, möglicherweise Frachtschiffe, zu eskortieren.
Ukraine hat offenbar die Gestaltungsmacht im Schwarzen Meer gewonnen
So eine Eskorte käme selten vor, vielleicht einmal im Monat, sagte Dmytro Pletenchuk, ein Sprecher der ukrainischen Marine laut der ukrainischen Nachrichtenagentur Unian im ukrainischen Fernsehen. „Aber irgendwann haben sie einfach umgedreht und sind zurückgefahren.“ Weil das Motiv für die Kehrwende im Dunkeln blieb, spekulierte Pletentschuk, dass die Schiffskommandanten möglicherweise über eine „Bedrohung“ informiert worden seien. Pletentschuk sah darin eine Wertschätzung der kontinuierlichen Nadelstiche gegen die Schwarzmeer-Flotte. „Diese Schiffe wurden gezwungen, sich entlang der türkischen Grenze zu bewegen und versteckten sich praktisch in türkischen Hoheitsgewässern. Sie nahmen also nicht den kürzesten Weg, den sie normalerweise nehmen würden, sondern flohen zu ihren Verstecken“, fügte der Sprecher hinzu.
„Trotz der Versuche Russlands, seine Verluste zu begrenzen, zeigt die Ukraine weiterhin Erfolg dabei, die Fähigkeit der Schwarzmeer-Flotte zu schwächen und ihre Macht in diese Region hineinzutragen“, erklärte der britische Geheimdienst nach Angaben der Ukrainska Prawda. Allerdings trüge der Schein der russischen Defensive im Schwarzen Meer ein wenig. Russland könne die Ukraine immer noch von den östlichen Teilen des Schwarzen Meeres aus angreifen; aber die Entwicklung verdeutliche, dass die Ansätze der Verteidigung der Russen, um den unkonventionellen Ansatz der Ukraine in der Seekriegsführung abzumildern, nicht wie beabsichtigt funktioniere, konstatiert das britische Verteidigungsministerium weiter. Der Ukraine-Krieg nähert sich auf der Krim einer Wende.
Die Krim scheint die Komfortzone russischer Marine-Offiziere geworden zu sein
Nach Recherchen des ZDF hatte die kleinste der vier russischen Flotten bereits mit dem Untergang der Moskwa ihren Schrecken zu verlieren begonnen: Das Schiff operierte ohne Begleitschutz, fuhr ohne Hauptradar, und einige Luken standen sperrangelweit offen, obwohl die ein Übergreifen von Feuer im Schiff hätten verhindern sollen. Offenbar blieb aber auch danach der marode Zustand von Material und Personal bestehen – mit den entsprechenden Folgen, als der Krieg Russlands gegen die Ukraine seine aktuellen katastrophalen Ausmaße annahm. Trotz der ursprünglichen Pläne, eine Landungsoperation in Odessa durchzuführen, war die Flotte wohl außerstande, den Kampf der russischen Bodentruppen im Februar und März 2022 effizient zu unterstützen, da ukrainische Schiffsabwehrraketen befürchtet wurden, wie ZDF schreibt. Auch die Findigkeit ukrainischer Ingenieure bezüglich des Baus von schwimmenden Drohnen hatte die russische Admiralität offenbar unterschätzt.
Die Gründe liegen wohl in zwei gegenläufigen Bewegungen, die sich gegenseitig ergänzen und der Ukraine nützen. Berichten zufolge zieht die Ukraine den Takt der Zerstörung der verbleibenden etwa 40 russischen Kriegsschiffe im Schwarzen Meer immer mehr an. Hinzu kommt: Das ZDF will erkennen, dass ein gewisser Schlendrian das Personal der Schwarzmeer-Flotte durchzieht – weil im Gegensatz zu den Häfen der anderen drei russischen Flotten, beispielsweise der Nordflotte mit ihrem U-Boot-Hafen nahe Murmansk, die Krim eine Komfortzone darstellt.
„Dies zog sowohl Offiziere an, die über die notwendigen Verbindungen verfügten, um hier eingesetzt zu werden, als auch ältere, oft zu alte Kommandanten, die ihren Dienst an einem günstigen Ort beenden wollten. Alles in allem ist die Schwarzmeer-Flotte im Gegensatz zur rauen und anspruchsvollen Nordflotte immer mehr zu einer Art Urlaubsort für Uniformierte innerhalb der russischen Marine geworden.“