Vatikan-Insider seziert den Machtkampf der Kardinäle und nennt 4 Papst-Namen

Wenn Diego Giovanni Ravelli, der Zeremonienchef des Vatikans, heute in der Sixtinischen Kapelle gegen 18 Uhr „Extra omnes“ (Alle raus) befiehlt, wird ein äußerst spannendes Konklave beginnen. Dann müssen bis auf die wahlberechtigten Kardinäle alle die Papstkapelle verlassen. Zum ersten Mal wird die Fraktion der europäischen Kardinäle in der Minderheit sein und zum ersten Mal werden die Wähler aus 71 Ländern kommen; noch nie waren so viele Nationen vertreten. 

In den Palästen des Vatikans zeichnete sich in den vergangenen Tagen ab, was dann geschehen soll: Eine Koalition der Kurie wird versuchen, mit Unterstützung der Traditionalisten einen Überraschungssieg zu erringen, in einem der ersten drei Wahlgänge.

Konklave: Kardinäle der Kurie bringen ihren Papst-Spitzenkandidaten ins Gespräch

Während der Treffen der Kardinalskongregationen versuchten die Kardinäle der Kurie mit Erfolg, ihren Spitzenkandidaten, Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, ins Gespräch zu bringen. Nach Schätzungen der Kurienmitglieder im Vatikan dürfte er zwischen 40 und 50 Stimmen im ersten Wahlgang bekommen. Aber er braucht 89 Stimmen. 

Warum die Kurie Kardinal Parolin wünscht, lässt sich in Gesprächen hinter den Kulissen in Erfahrung bringen. Die Spitze des Vatikans will Ruhe.

Über Andreas Englisch

Andreas Englisch, geboren 1963 in Werl in Nordrhein-Westfalen, arbeitet seit 1987 als Korrespondent in Italien und berichtet aus dem Vatikan.

Er ist Autor von 18 Büchern, darunter 16 Bestsellern über die Päpste, den Vatikan und Italien, die in elf Sprachen übersetzt wurden. Er lebt als freier Autor mit seiner Familie im römischen Stadtteil Trastevere.

Nach dem revolutionären Pontifikat von Papst Franziskus mit zahlreichen epochalen Neuerungen, wie der Einführung von Segensfeiern für homosexuelle Menschen und die Möglichkeit für Frauen in katholischen Kirchen zu taufen, wollen die Kurialen eine Atempause.

Parolin wäre perfekt für Traditionalisten

Parolin wäre perfekt. Er kennt den Apparat, steht allen drastischen Änderungen, so auch den Forderungen des Synodalen Wegs in Deutschland, äußerst kritisch gegenüber und wäre ein Garant für ein ereignisarmes Pontifikat. 

Die progressiven Kardinäle werden ihm kaum ihre Stimme geben, dazu ist er zu konservativ, aber im Lager der Traditionalisten findet er mit Sicherheit Sympathien. In den Beratungen hinter den Kulissen schälte sich so ein Kompromiss heraus: Pietro Parolin wird Papst, Kardinal Peter Erdö aus Ungarn Staatssekretär und den entscheidenden Posten des Substituten, einer Art Regierungschef, wird Gabriele Giordano Caccia bekommen, ein enger Vertrauter Parolins. Derzeit ist er Gesandter bei den UN in New York. 

Das Problem dieser Koalition besteht darin, dass sie sehr wahrscheinlich nicht reichen wird. Die Traditionalisten kommen mit Ach und Krach auf 20 Stimmen, damit würde Pietro Parolin bei 70 Stimmen stecken bleiben und wäre „verbrannt“.

Die Stunde der zersplitterten progressiven Kardinäle

Dann würde die Stunde der zersplitterten progressiven Kardinäle schlagen. Ihr wichtigstes Argument besteht darin, dass sowohl der Chefdiplomat Parolin als auch der Kirchenrechtler Peter Erdö völlig uncharismatisch sind. 

Die immer wieder erhobene Forderung der Kardinäle während der Beratungen, dass junge Menschen begeistert werden müssten, würde das Gespann Parolin Erdö kaum bewältigen können. Hinzu kommt, dass die Bilanz Parolins in seinen diplomatischen Bemühungen, einen Waffenstillstand in der Ukraine und im Konflikt in Gaza Einfluss zu erreichen, gescheitert sind. 

Der charismatische Kardinal von Marseille, Jean Marc Aveline (66), sowie der Patriarch von Jerusalem, Pizzaballa, könnten dann versuchen, 89 Stimmen auf sich zu vereinigen. 

Aveline gilt als perfekter Papst

Aveline gilt als perfekter Papst, wegen seiner erfolgreichen pastoralen Arbeit mit Schwachen, Armen und Immigranten. Sein wichtigstes Handicap bestand darin, dass er schlecht Italienisch spricht, aber wie sich in Rom jetzt zeigte, hat er seine Sprachkenntnisse verbessert.

Kardinal Pierbattista Pizzaballa gilt wegen seiner Erfahrungen in Israel, Gaza, Jordanien und Syrien als politisch perfekter Kandidat. Allerdings ist er mit seinen 60 Jahren noch sehr jung. 

Der lange als Top-Kandidat gehandelte Kardinal Luis Tagle aus Manila, scheint nach der Verbreitung eines Videos, in dem er den Hit von John Lennon „Image“ singt, chancenlos. Er hätte die Zeile „stell dir vor, es gäbe keinen Himmel und keine Religion“ nicht singen sollen.

Sollten die Traditionalisten diese Koalition der Progressiven verhindern können, müssten sich die beiden Lager auf einen Kompromiss-Kandidaten einigen. Dann könnte ein echter Außenseiter wie der beliebte spanische Kardinal Cristobal Lopez Romero eine Chance haben. Er ist Erzbischof in Rabat, in Marokko, und wäre perfekt für den Dialog der katholischen Kirche mit dem Islam.