Neuer Kurs der Amerikaner - Er verachtet Schwäche: "Für Trump sind wir Schmarotzer - und jetzt ist Payback Time"

Vor mir liegt ein verstörendes Dokument, im Hintergrund singt zufällig David Bowie. In seinem Lied „Space Oddity“ geht es um Major Tom, den Astronauten, der den Kontakt zur Bodenstation auf der Erde verliert und nun alleine durchs Weltall schwebt. Major Tom ist auf sich gestellt, keiner kann ihn noch retten.

Das Dokument, das vor mir liegt, wurde vor einiger Zeit vom „Center for Strategic and International Studies“ (CSIS) in Washington D.C. veröffentlicht. Das ist ein renommierter, unabhängiger Thinktank, dessen Schwerpunkt auf Fragen der Außenpolitik liegt. Die aktuelle Analyse befasst sich mit der transatlantischen Allianz in der Trump-Ära und ist betitelt: „Die bevorstehenden Kollisionen“.

  • Malte Lehming war von 2000 bis 2005 Chef des Washingtoner Büros des Tagesspiegels

Transatlantiker haben seit der Wahl von Donald Trump einen schweren Stand. Traditionell besteht ihre Rolle darin, schönzureden, was manchmal hässlich aussieht. Deshalb muss der Erregungspegel gedimmt werden: Alles halb so wild, Streit gab’s immer, auch der Jetzige wird enden.

Diesmal aber klappt es mit dem Schönreden nicht. Major Tom ist verloren, er kehrt nie wieder zur Erde zurück. Die Trump-Regierung sei bereit, heißt es in dem CSIS-Paper, „äußerst selbstbewusst und konfrontativ aufzutreten und auch Schritte zu unternehmen, die das transatlantische Bündnis erheblich schwächen oder untergraben könnten“.

Dabei geht es nicht um einen einzigen Streitpunkt, wie bei der Nato-Nachrüstung oder dem Irak-Krieg, sondern um eine ganze Palette: Ukraine, Klima, Handel, den Internationalen Strafgerichtshof, das Völkerrecht, UN-Organisationen, Nahost, soziale Netzwerke, Rüstungsausgaben, die Grundfeste der liberalen Demokratie. „Immer wieder und ständig werden die Vereinigten Staaten und Europa aufeinanderprallen.“

„Für Europa grundsätzlich inakzeptabel“

Ein Verdacht drängt sich auf: Werden die USA unter Trump zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg zum Gegner Europas? Zu einem durchtriebenen Rivalen, der keine Skrupel kennt und gegenüber einstigen Partnern seine Muskeln spielen lässt?

Etwas hektisch, aber auch hilflos werden Maßnahmen diskutiert, um den großen transatlantischen Bruch zu verhindern. Europa könnte mehr Flüssiggas und Waffen von den USA kaufen, so heißt es, mehr für die Verteidigung ausgeben, Zugeständnisse in den Handelsbeziehungen machen.

Das bringt alles nichts, resümiert die CSIS-Analyse, „und zwar aus dem einfachen Grund, weil die Trump-Regierung entschlossen scheint, die Partnerschaft in einer Weise umzugestalten, die für Europa grundsätzlich inakzeptabel ist“.

Zudem befinde sich der alte Kontinent in einem erbärmlichen Zustand. „Europa wird von wirtschaftlicher Schwäche und Stagnation geplagt. Der Kontinent ist so unsicher wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr, und er ist sowohl in Bezug auf seine Sicherheit als auch auf seine Energieversorgung so abhängig von den USA wie eh und je.“

"In Trumps Weltbild sind Europäer Schmarotzer: Sie haben die längsten Ferien, die kürzesten Arbeitszeiten, unterirdisch verlegte Stromkabel und kostenlose Gesundheitsversorgung" Malte Lehming

Trump verachtet Schwäche. Er fühlt sich durch sie herausgefordert, mit aller Macht zuzuschlagen. In seinem Weltbild und dem seiner Anhänger sind Europäer Schmarotzer: Sie haben die längsten Ferien, die kürzesten Arbeitszeiten, unterirdisch verlegte Stromkabel, eine funktionierende Infrastruktur, kostenlose Gesundheitsversorgung und kostenlose Universitätsstudien.

Aber alles nur, weil die USA sie jahrzehntelang zum Nulltarif beschützt haben, sagt Trump. Jetzt ist „Payback Time“, es wird abgerechnet, die Schmarotzer werden zur Kasse gebeten. Geopolitische Erwägungen spielen keine Rolle. Die internationalen Beziehungen sind ausschließlich eine Frage des Geschäfts.

Angst vor Russland? Europa soll sich selbst verteidigen oder die USA für alle Auslagen entschädigen, die zum Schutz des Kontinents getätigt werden. Und zwar großzügig und mit Zinsen. Werden die Europäer darauf eingehen? Was sollen sie sonst tun?

Trump droht und erpresst, nicht nur in Richtung Europa, sondern auch im eigenen Land. Die „New York Times“ berichtet über die „Demoralisierung und Angst der Demokraten“. Die Spenden für die Partei und die ihr nahestehenden Organisationen seien drastisch zurückgegangen. Die Spender seien „frustriert über fehlende Visionen der Demokraten und befürchteten zugleich Vergeltungsmaßnahmen eines rachsüchtigen Präsidenten“, schreibt die Zeitung.

Schwarzseher machen sich schnell unbeliebt

Es gibt historische Ereignisse, die einem zunächst die Sprache verschlagen – der Mauerbau, die Ermordung von Jitzchak Rabin, die Terroranschläge vom 11. September 2001, Russlands Überfall auf die Ukraine, das Hamas-Massaker vom 7. Oktober. Die Liste ist notgedrungen unvollständig. Es sind plötzliche Ereignisse, die keinen Zweifel lassen über die Reichweite ihrer Konsequenzen.

Es gibt auch Ereignisse, die das Ergebnis eines längeren Prozesses sind. Dazu zählt die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. Deren Tragweite zu verstehen, gelingt erst nach und nach. Schwarzseher machen sich schnell unbeliebt.

Auch ich würde die täglichen Meldungen über Trumps per Dekret verordnete Übergriffigkeiten gerne ausblenden. Oder seine Kurznachrichten, die er auf der Plattform „Truth Social“ verbreitet: „Wer sein Land rettet, verstößt gegen kein Gesetz.“

Diesen Satz, der oft Napoleon zugeschrieben wird, hat sich Trump vor kurzem zu eigen gemacht. Mit anderen Worten: Gesetzesverstöße, die einem höheren Zweck dienen, sind in Ordnung. Zu anderen Zeiten würde das großflächig in allen Medien als Angriff auf den Rechtsstaat gewertet. Inzwischen wird es lediglich registriert.

Im Stück „Leerlauf“ schreibt Kurt Tucholsky: „Nun wird es ja wohl immer so gewesen sein, dass das Kleine fröhlich weiterlief, während das Große sich auflöste und neu gestaltete – es ist wohl immer so gewesen, dass Weltereignisse den Hauskram des täglichen Lebens nicht erstickten, und dass die angebrannte Milch das Erlebnis ,Napoleon‘ bei vielen verdrängte – für den Tag. Große Dinge ereignen sich nicht mittags um zwölf Uhr zehn. Sie wachsen langsam.“

Wie brav, wie harmlos, wie zivil!

Ja, es stimmt: Ronald Reagan war auch nicht gerade beliebt, als am 10. Oktober 1981 mehr als 300.000 Menschen auf der Hofgartenwiese in Bonn gegen die Stationierung amerikanischer Pershing-2-Raketen protestierten. „Wir wollen Sonne statt Reagan“, skandierten sie.

In ähnlicher Weise ramponiert war auch das Image von George W. Bush, als er nach 11. September 2001 den „Krieg gegen den Terror“ ankündigte, der „nicht eher zu Ende sein wird, bis jede weltweit tätige terroristische Gruppe gefunden, am weiteren Vorgehen gehindert und besiegt worden ist“, wie er in einer Rede vor dem Kongress sagte.

Guantánamo, Abu Ghraib und die Mär von den angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen, die den Sturz von Saddam Hussein rechtfertigen sollte, verschärften die transatlantischen Spannungen. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2003 hatte sich Außenminister Joschka Fischer zuvor noch eindrucksvoll gegen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und die Irak-Politik der USA gestellt. Fischers „Ich bin nicht überzeugt“ wurde legendär.

Wie brav, wie harmlos, wie zivil das im Nachhinein klingt! Das westliche Bündnis durchlebte eine Krise, das war’s. Denn es gab eine Option: Deutschland und Europa konnten sich heraushalten. Selbst die Stationierung amerikanischer Atomraketen hatte keinen Einfluss auf das tägliche Leben der Menschen. Folglich ebbte die Friedensbewegung zahlenmäßig ab.

Die Folgen der Trump-Regierung dagegen werden radikal sein. Sie reichen in den USA von einem ideologisch gleichgeschalteten Umbau der Bundesbehörden und der Schaffung eines denunziatorischen gesellschaftlichen Klimas bis zu Angriffen auf Minderheitsrechte und Migranten, auf die Gewaltenteilung und die liberale Demokratie.

Deutschland und Europa wiederum werden als Ausdehnungsplätze des Rechtspopulismus ins Visier genommen. Das schließt die offene Unterstützung von Parteien wie die AfD ebenso ein wie Spaltungsversuche der EU.

Ganz erheblich werden finanzielle Belastungen durch die militärische Absicherung eines möglichen russisch-ukrainischen Waffenstillstands sein sowie durch Wiederaufbauhilfen zerstörter ukrainischer Infrastruktur. Hinzu kommen Einbußen durch den sich abzeichnenden Handelskonflikt, der ein Exportland wie Deutschland besonders hart treffen könnte.

„Ewige Feindschaft gegen jede Form der Tyrannei“

Während meiner letzten Reise nach Washington, im vergangenen Herbst, zusammen mit meiner Familie, besuchten wir das Jefferson-Memorial in Washington D.C. Wir standen dort vor dem Zitat aus einem Brief vom 13. September 1800, den Jefferson an Benjamin Rush geschrieben hatte, einen anderen Gründervater der USA: „Ich habe auf dem Altar Gottes ewige Feindschaft gegen jede Form der Tyrannei über den menschlichen Geist geschworen.“

Jefferson ist der maßgebliche Autor der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten. Sie ist ein herausragendes Dokument der politischen Philosophie und ein Fundament der Menschenrechtslehre. Alle Menschen seien gleich geschaffen und mit unveräußerlichen Rechten ausgestattet worden, heißt es in der Präambel. Dazu gehörten Leben, Freiheit und das Streben nach Glück.

Formuliert wird auch ein Widerstandsrecht. Wenn eine Regierungsform „diesen Endzwecken verderblich wird“, sei es „das Recht des Volkes, sie zu verändern oder abzuschaffen, und eine neue Regierung einzusetzen“. Und weiter: Falls eine unumschränkte Herrschaft errichtet werden soll, sei es das Recht der Menschen, „ja ihre Pflicht“, eine solche Regierung zu stürzen.

Wird Trump eine „unumschränkte Herrschaft“ errichten? Vielleicht. Werden Amerikaner es dann als ihre Pflicht ansehen, ihn zu stürzen? Unwahrscheinlich.

Major Tom singt: „Planet Earth is blue / And there‘s nothing I can do.“ Es ist ein Wortspiel. Der Begriff „blue“ kann sowohl eine Farbe als auch einen Gemütszustand bezeichnen. Im zweiten Fall hieße die Übersetzung: „Der Planet Erde ist traurig / und ich kann nichts dagegen tun.“

Von Malte Lehming

Das Original zu diesem Beitrag "Der Präsident verachtet Schwäche: Unter Trump werden die USA zum Gegner Europas" stammt von Tagesspiegel.