Trump-Absprache mit Putin? - Neue Realitäten zwischen USA und Russland: Wie Nordeuropa für Fall der Fälle plant
Schwedens Außenministerin machte am Mittwoch noch einmal klar, was in Europa keine Regierung ernsthaft infrage stellt: „Russland hat den Krieg mit dem Angriff auf die Ukraine begonnen“, sagt Maria Malmer Stenergard dem Fernsehsender TV4. „Russland kann ihn jederzeit beenden.“
Auf Realitäten in dieser einfachen Deutlichkeit hinzuweisen, wird dieser Tage immer notwendiger. Am Dienstagabend behauptete US-Präsident Donald Trump bei einem Auftritt auf seinem Anwesen Mar-a-Lago in Florida, dass es die Schuld des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sei, dass der völkerrechtswidrige Angriff auf dessen Land weiterhin andauere.
- Tony Lawrence leitet das Programm „Verteidigungspolitik & Strategie“ beim International Centre for Defence and Security (ICDS) in Tallinn und forscht insbesondere zur Verteidigungsfähigkeit der Nato und den baltischen Staaten sowie Aspekte der Abschreckung.
Trumps Aussage reiht sich ein in eine Woche der Unsicherheiten: In der vergangenen Woche überraschte der Republikaner Europa und die Ukraine mit der Ankündigung, gemeinsam mit Russland Friedensgespräche beginnen zu wollen – ohne vorab seine europäischen Partner oder die überfallene Ukraine zu informieren.
In Nordeuropa verstören die aufgewärmten Beziehungen der beiden Supermächte besonders. Die baltischen Länder warnen seit Langem vor den Auswirkungen eines Diktatfriedens für Estland, Litauen und Lettland – und befürchten eine nächste Phase des Krieges.
Trumps Russlandstrategie könnte die europäische Friedensordnung erheblich beeinflussen, sagt der Politikwissenschaftler Tony Lawrence dem Tagesspiegel: „Unsere Sicherheit wird sicherlich geschwächt, wenn ein amerikanischer Präsident bereit ist, mit Putin zu kuscheln“. Ob dies aber „einen Krieg bedeutet oder nicht, wird zu einem großen Teil von unserem eigenen Handeln abhängen.“ Am Tallinner International Centre for Defence and Security leitet Lawrence das Programm „Verteidigungspolitik & Strategie“
Die baltischen Länder wollen darauf vorbereitet sein und rüsten auf. Am Mittwoch kündigte Estlands Verteidigungsminister Hanno Pevkur an, bereits im kommenden Jahr mehr als vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Verteidigungsausgaben investieren zu wollen. Bisher waren für 2026 nur Ausgaben in Höhe von 3,7 Prozent des BIP vorgesehen.
Die gestiegenen Investitionen „berücksichtigen den zusätzlichen Bedarf unserer Verteidigungskräfte, der sich aus unserer eigenen Militärplanung“ ergebe, sagte Pevkur dem Radiosender „Vikerraadio“.
- 3,43 Prozent des Bruttoinlandsprodukts investierte Estland bereits 2024 in Verteidigung. Nach Polen Spritzenreiter der Nato.
Seine Amtskollegin aus Litauen warnte zudem am Montag bereits vor Moskaus militärischer Schlagkraft. Die „Fähigkeiten Russlands sind bereits dreimal so groß wie zu Beginn der groß angelegten Invasion in der Ukraine vor drei Jahren“, sagte Dovilė Šakalienė in einem am Montag veröffentlichten Interview mit der Nachrichtenseite 15min. „Und all dies geschah im Kontext eines aktiven Krieges.“
Sollten sich die militärischen Verluste auf russischer Seite, beispielsweise durch Friedensgespräche, erheblich reduzieren, beschleunigt sich Šakalienė zufolge die Ballung der militärischen Fähigkeiten „für die nächste Phase des Krieges, möglicherweise mit anderen Ländern“.
Ähnliches ließ Anfang der Woche der Geheimdienst Lettlands verlauten. In dem Bericht schätzt der Staatssicherheitsdienst die Wahrscheinlichkeit einer direkten Konfrontation zwischen Russland und der Nato in diesem Jahr zwar als gering ein. Sollte der Krieg in der Ukraine jedoch „eingefroren“ werden, könnte Moskau seine „Militärpräsenz an der Nordostflanke der Nato, einschließlich des Baltikums, innerhalb der nächsten fünf Jahre“ ausbauen.
- 3,15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts investierte Lettland 2024 in Militärausgaben.
Tony Lawrence glaubt ebenfalls, dass die baltischen Staaten „aufgrund ihrer Lage besonders anfällig“ sind. Ein „Diktatfrieden“ zu russischen Bedingungen in der Ukraine wird ihm zufolge die Sicherheit in ganz Europa beeinträchtigen. „Russland würde einen Sieg für sich beanspruchen“, sagt der Politologe dem Tagesspiegel. „Und vielleicht auch weitere territorialen Eroberungen in Betracht ziehen.“
Dänemark und Schweden wollen aufrüsten
Auch Dänemarks Geheimdienstler gehen in ihrem aktuellen Jahresbericht davon aus, dass Russland bis 2030 „zu einem groß angelegten Krieg auf dem europäischen Kontinent ohne Beteiligung der USA bereit“ sein würde. Auch, weil die Nato-Bündnispartner im selben Zeitraum nicht ähnlich hochrüsten könnten.
Wohl auch deshalb kündigte Dänemarks sozialdemokratische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen am Dienstag eine Reihe neuer Initiativen an, um „die Kampfkraft der dänischen Verteidigung zu erhöhen“ und das Tempo der Ausrüstung zu beschleunigen.
Frederiksen nannte die Zahl von 50 Milliarden Kronen (6,7 Milliarden Euro), die in diesem und dem kommenden Jahr investiert werden sollen. „Ich habe eine deutliche Botschaft ans Verteidigungsministerium: Kauf, kauf, kauf neues Material“, sagte die Regierungschefin am Mittwochnachmittag auf einer Pressekonferenz in Kopenhagen.
"Jetzt müssen wir sowohl die Landesverteidigung ausrüsten als auch die Ukraine unterstützen können" Pål Jonson, Schwedens Verteidigungsminister
Nach Informationen des Dänischen Rundfunks sollen mit dem Geld insbesondere Luftabwehrsysteme gekauft werden, über die Dänemark bisher nicht verfügt. Für Tony Lawrence ist der Plan Dänemarks ein Schritt in die richtige Richtung: „Wir müssen die Bedrohung ernst nehmen und unsere eigenen Investitionen in die Verteidigung erhöhen, um sie abzuwehren.“
Ohne konkret zu werden, forderte auch Stockholms Verteidigungsminister Pål Jonson mehr Militärausgaben. „Die Herausforderung, die wir haben, ist die Lieferrate der Verteidigungsindustrie. Jetzt müssen wir sowohl die Landesverteidigung aufrüsten als auch die Ukraine unterstützen können“, sagt der schwedische Konservative am Dienstag in einem Interview mit TV4.
Das größte Land Nordeuropas hatte sich zuletzt offen für die Entsendung möglicher Friedenstruppen in die Ukraine gezeigt. Diese müssten Jonson zufolge aber „gegen die Aufrüstung im eigenen Land abgewogen“ werden.
Der Politikwissenschaftler Tony Lawrence erwartet auch bei laufenden Friedensgesprächen viele „kleine Provokation“, aber auch „groß angelegte Angriffe“ in Europa. Russland habe die Absicht, das europäische Sicherheitsumfeld umzugestalten: „Unsere Aufgabe ist es, ihm diese Möglichkeit zu verwehren.“ Im Baltikum und Nordeuropa scheint diese Botschaft angekommen zu sein.
Von Maxi Beigang
Das Original zu diesem Beitrag "Neue Realitäten zwischen Washington und Moskau: Wie sich Nordeuropa auf den Fall der Fälle vorbereitet" stammt von Tagesspiegel.